Fotos fĂŒr den âFĂŒhrerâ

Freude glimmt in Norman Domeiers Augen auf: Im FrĂŒhjahr 2018 wird er eine Entdeckung in der Ăffentlichkeit platzieren. Viel verrĂ€t er nicht, nur so viel, dass es sich um die Anbahnung von FriedensgesprĂ€chen am Ende des Ersten Weltkriegs handelt. Und dass ein amerikanischer Journalist als âpostillon dâamourâ selbige hĂ€tte einfĂ€deln sollen. Streng geheim. Ein kleiner medialer und fachlicher Coup, den der deutsche Zeitgeschichteforscher landen will. Domeier ist derzeit im Rahmen eines Lise-Meitner-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF am Institut fĂŒr Zeitgeschichte der UniversitĂ€t Wien tĂ€tig. âJournalismus hat mich immer schon fasziniertâ, sagt er. Beinahe wĂ€re er selbst in diesem Fach gelandet. Letztlich waren Studium, Forschung und akademische Laufbahn dann aber doch stĂ€rker. âWobei ich da wie dort recherchiereâ, relativiert er und zieht Parallelen zwischen seiner und der journalistischen TĂ€tigkeit.
Eine vergebene Chance
Da wie dort braucht es eine SpĂŒrnase, ein Auge fĂŒr das kleine Detail, welches zu ungeahnten Erkenntnissen fĂŒhrt. Ein Detail, eine Bildunterschrift war es, die ihn zu seiner bisher wichtigsten Arbeit gefĂŒhrt hat. Zu jener ĂŒber die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und ihrer engen Zusammenarbeit mit dem einem BĂŒro von SS und AuswĂ€rtigem Amt zwischen 1942 und 1945. âIn einem Buch aus den 1980er-Jahren ĂŒber die Geschichte der Pressefotografie wurde ganz selbstverstĂ€ndlich auf die reibungslosen Kontakte zwischen Agentur und Nazi-Reich hingewiesenâ, berichtet der Historiker im GesprĂ€ch mit scilog. Es habe sich damals niemand dafĂŒr interessiert. Ein fataler Fehler, denn zu diesem Zeitpunkt hĂ€tten die Protagonisten dieser Geschichte alle noch gelebt, im besten Alter und bei bester Gesundheit. Im Kern geht es um eine Vereinbarung, die es der amerikanischen Agentur ermöglichte, ĂŒber ihre ehemaligen Mitarbeiter im deutschen âBĂŒro Lauxâ, exklusiv Bildmaterial aus dem Dritten Reich zu beziehen. Im Gegenzug lieferte AP ebenso exklusiv Fotos der Alliierten an Berlin. Auf beiden Seiten mit dem Wissen höchster Stellen, auf beiden Seiten abgesichert, unantastbar geradezu.
Des Diktators Bilderschau
âMan muss wissen, dass Hitler sich jeden Tag Fotos vorlegen lieĂ, die besten, die interessantesten, die bedeutendstenâ, schildert Norman Domeier. â Sozusagen der tĂ€gliche Instagram-Feed fĂŒr den Diktator. Die nachgeordneten Dienststellen reiĂen sich um diesen Schatz, suchen Zugang zu ihm, suchen ihn zu nutzen. SelbstverstĂ€ndlich auch zum Zwecke der Propaganda. âEs gibt eine Reihe amerikanischer Fotos, die von den Nazis bearbeitet oder in einen anderen Kontext gestellt wurdenâ, weiĂ der Historiker.

Zwischen 35.000 und 40.000 Fotos wurden im Lauf der Kriegsjahre ĂŒber Boten in Lissabon und Stockholm ausgetauscht. âDas war nicht der Basar, auf dem mit Zeitschriften oder Hollywoodfilmen gehandelt wurde, das war ein eigener, solider und perfekt eingerichteter Kanalâ, betont Domeier. Wie das NS-Regime die Bilder nutzte, das konnte er nachvollziehen. AusstĂ€ndig ist noch der Zugang der Amerikaner. âDie wussten, dass sie von den Deutschen Propagandabilder geliefert bekamen, die wussten auch, dass ihre Bilder zu Propagandazwecken benutzt wurden. Sie werden ihre Bilder ebenso genutzt und ausgewĂ€hlt habenâ, ist der Wissenschafter ĂŒberzeugt. Denn als die US-Armee 1945 den GeschĂ€ften des BĂŒro Laux und seinem Archiv nachgeht, da wird die Untersuchung auf Order Washingtons gestoppt.
Wechselspiel der IdentitÀten
âEs fragt sich nur, wurden auf dieser Route lediglich Fotos transportiert? Oder nutzten beide Seiten den Kanal auch anderweitig?â, das interessiert Domeier. Deswegen hofft er, dass AP endlich sein Archiv öffnen wird und die US-Amerikaner dem Forscher Zugang zu ihren Akten gewĂ€hren. Es weist diese Geschichte natĂŒrlich auch alle Facetten der NĂ€he und Anpassung, des Opportunismus, der kĂŒhlen GeschĂ€ftemacherei auf, die viele Biografien jener Zeit kennzeichnet. Wenn etwa deutsche Mitarbeiter der Bild- und Nachrichtenagentur flugs der Waffen-SS beitreten, um nach dem Mai 1945 diesen Beitritt in einen Akt geradezu heroischen Widerstands umzudeuten. Die LebenslĂ€ufe der Mitarbeiter des BĂŒro Laux, die lesen sich wie ein Filmskript, eine Crime-Story zwischen Bomben und Ruinen. Und wie verhĂ€lt es sich mit der Moral aus der Geschichte? Domeier hĂ€lt inne: âWir sollen und wir können Moral und Ethik eigentlich nur im Kontext der jeweiligen Zeit betrachten.â War es moralisch einwandfrei mit dem NS-Regime GeschĂ€fte zu machen? Oder stand hinter dem GeschĂ€ft mit exklusivem Bildmaterial noch ein anderer Gedanke? Domeier verwehrt sich Wertungen vorzunehmen. Er recherchiert, beschreibt, was war. Arbeitet als Historiker im besten Sinne wissenschaftlich und journalistisch. Und freut sich auf das FrĂŒhjahr und seinen nĂ€chsten kleinen Coup.
Zur Person Norman Domeier ist Akademischer Rat a. Z. am Historischen Institut der UniversitĂ€t Stuttgart. Nach Forschungsstipendien, die ihn unter anderem nach Washington DC, Tokio, Neu-Delhi und Moskau brachten, arbeitet er derzeit als Lise Meitner Fellow am Institut fĂŒr Zeitgeschichte der UniversitĂ€t Wien.
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