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Die Rolle der Emotionen in wissenschaftlichen und politischen Diskursen ist nicht zu unterschĂ€tzen. Im Bild: Meersbiologe Gerhard Herndl (li.) im GesprĂ€ch mit EU-Forschungskommissar Carlos Moedas. © Andrei Pungovschi/FWF

Dass Ärzte ihre HĂ€nde grĂŒndlich waschen und desinfizieren, ist heute meist eine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Die gesundheitlichen Risiken sind bekannt, und die AnsprĂŒche an die medizinischen Alltagspraktiken entsprechend hoch. Doch als das Wissen um die ZusammenhĂ€nge von Handhygiene und Krankheiten noch neu war, stieß es auf massiven Widerstand. Die neuen Fakten brachte erstmals der Mediziner Ignaz Philipp Semmelweis auf den Tisch. Seine Studien aus den Jahren 1846/1847 zeigten auf, warum die Sterblichkeitsrate von MĂŒttern an Kindbettfieber in der von Ärzten und Medizinstudenten gefĂŒhrten geburtshilflichen Abteilung am Allgemeinen Krankenhaus in Wien deutlich höher war, als in jener Abteilung, wo Hebammen die Geburten begleiteten. Im Wesentlichen hing  dies damit zusammen, dass die Ärzte im Gegensatz zu den Hebammen in der FrĂŒh zuerst die Toten obduzierten. Vor einer Geburt wurden die HĂ€nde dann nur gewaschen. Doch trotz der eindeutigen Belege, dass Hygienemaßnahmen hochwirksam waren, wurden die Erkenntnisse von fĂŒhrenden Medizinern lange nicht als wahr anerkannt. Der Grund, weshalb Ignaz Semmelweis mit dieser Tatsache scheiterte, sei die emotionale Art und Weise gewesen, wie der Mediziner um Anerkennung seines neuen Wissens bzw. der Fakten kĂ€mpfte – so lautet eine oft gehörte Argumentation. Warum diese ErklĂ€rung zu kurz greift, hat die Politologin und Firnberg-Stipendiatin Anna DurnovĂĄ in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt untersucht.

Trennung mit Folgen

An dieser wissenschaftlichen Kontroverse war fĂŒr die Forscherin auffĂ€llig, dass das emotionale Verhalten von Semmelweis in den Vordergrund gestellt wird. „Dabei wird ausgeblendet, dass es auf beiden Seiten – bei Semmelweis und seinen Gegnern – emotional wurde“, sagt DurnovĂĄ, „wobei heute viele dazu neigen, Emotionen als Zeichen von Nicht-Wissenschaftlichkeit zu betrachten.“ Die Tendenz, Wissenschaftlichkeit von Emotionen zu trennen, löst bei der Forscherin Unbehagen aus. Erstmals, als sie beobachtete, dass sich im Zuge der Diskussionen um „Post-Wahrheit“ seit 2016 vielerorts die Wissenschaftsgemeinden auf die Verteidigung der RationalitĂ€t einschworen und diese gegen Emotionen in Stellung brachten. Die Großdemonstration „March for Science“ wandte sich gegen eine „postfaktische Ära“ und plĂ€dierte etwa mit Blick auf die Klimapolitik von US-PrĂ€sident Donald Trump fĂŒr mehr wissenschaftliche Evidenz in der Politik. Dabei entstand jedoch ein einseitiges Bild von Wahrheit, das die Politologin als „rational, objektiv und in Opposition zu Emotionen beschreibt.“ Gerade die VernachlĂ€ssigung und Ausgrenzung von Emotionen ĂŒberlasse diese ihrer Ansicht nach aber Populisten und Wissenschaftsverweigerern und das „postfaktische Zeitalter“ sei die Folge davon.

Neue Erkenntnisse lösen Emotionen aus

DurnovĂĄ nimmt die ZusammenhĂ€nge zwischen Emotionen und Wissen in ihrer Forschungsarbeit hingegen gezielt in den Blick: „Neu daran ist, dass ich bei Kontroversen die emotionalen Stimmungen benennen und herausfiltern möchte. Auf diese Weise versteht man besser, wieso eine neue Erkenntnis diskutiert wird.“ Dazu analysierte die junge Wissenschafterin im FWF-Projekt die historische Kontroverse rund um die Handhygiene und verschiedene aktuelle Debatten. Dabei stellte sich heraus: Welche Emotionen dabei aus welchem Grund eine Rolle spielen, lĂ€sst RĂŒckschlĂŒsse auf gesellschaftspolitische Aspekte, wie etwa Machtinteressen, und auf gesellschaftliche Dynamiken zu. „Die These von Semmelweis und sein neues Wissen waren fĂŒr viele Ärzte lĂ€stig und unangenehm. Aus deren Sicht bedrohte es ihren Status und ihre Reputation. Außerdem hĂ€tten sie sich eine Mitverantwortung eingestehen und ihre Alltagspraktiken umkrempeln mĂŒssen“, erklĂ€rt DurnovĂĄ. FĂŒr die Politologin steht „lĂ€stig“ synonym fĂŒr eine wichtige emotionale Dynamik, die bis zur Delegitimierung einer neuen Erkenntnis als „unwahr oder unseriös“ fĂŒhren könne. Die Analyse von Diskursen ĂŒber Emotionen bringt somit ans Licht, was die Basis fĂŒr eine wichtige Unterscheidung schafft: Wird eine neue Erkenntnis als lĂ€stig empfunden, weil sie Machtinteressen oder ein Weltbild bedroht, oder ist sie wissenschaftlich gesehen Unsinn?

Wahrheit wird „verhandelt“

„Mich hat jener Knackpunkt interessiert, wo Neues entdeckt, aber noch nicht allgemein als wahr akzeptiert ist“, ergĂ€nzt die Forscherin, die am Institut fĂŒr Höhere Studien und der Karls-UniversitĂ€t Prag tĂ€tig ist. Ihrer Forschungsarbeit legt sie deshalb den Begriff der „Wahrheitsproduktion“ zugrunde. Dieses dynamische Konzept integriert sowohl Akteurinnen und Akteure (d.h. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler), als auch Emotionen und öffnet so den Blick fĂŒr den Umstand, dass Wahrheit immer auch verhandelt wird. Ihr Ansatz versteht Emotionen als Teil der Wahrheitsproduktion und hinterfragt: Warum und von wem wird was wie bezeichnet? Welche Emotionen beeinflussen die Akzeptanz von Fakten? Wird etwas nicht als wahr akzeptiert, muss der Grund dafĂŒr nicht in der vermeintlichen Ablehnung von Fakten oder der EmotionalitĂ€t von Einzelnen oder Gruppen liegen. „Studien zeigen, dass es nicht darum geht, dass den Gegnern die Fakten unbekannt sind, sondern dass sie sie nicht kennen wollen. Weil es hier um gesellschaftliche Stimmungen geht, kommen wir mit Fact-checking nicht weiter“, gibt die Forscherin im GesprĂ€ch mit scilog zu bedenken. Die Teilung einer Gesellschaft in „rational/wissenschaftlich“ versus „unwissenschaftlich/emotional“ birgt fĂŒr demokratische Systeme die Gefahr, dass Personen oder Gruppen aus dem Diskurs um Wahrheit gedrĂ€ngt und neue, unbequeme Erkenntnisse zudem leichter als illegitim dargestellt werden können. Zum Kern der Kontroversen vorzudringen und so Fehlentwicklungen argumentativ besser entgegensteuern zu können, wĂ€re nicht nur damals von Vorteil gewesen. Denn Fakten sind eben nur ein Teil des Problems. Emotionen machen es komplett.

Publikationen

Understanding emotions in post-factual politics: negotiating truth. Edward Elgar Publishing, 2019

Understanding Emotions in Policy Studies through Foucault and Deleuze, Politics & Governance, Volume 6, Issue 4, Pages 95-102, 2018

In den HĂ€nden der Ärzte. Ignaz Philipp Semmelweis – Pionier der Handhygiene. Wien, Residenzverlag 2015

Zur Person

Anna DurnovĂĄ erforscht die soziopolitischen ZusammenhĂ€nge von Emotionen und Wissen. Derzeit ist sie Fellow am Institut fĂŒr Höhere Studien Wien und außerdem am Institut fĂŒr Public and Social Policy der Karls-UniversitĂ€t Prag tĂ€tig. Ihr Ansatz, die politischen Aspekte am Fallbeispiel Semmelweis (siehe Publikationen) zu analysieren, stieß international auf großes Interesse und viel Resonanz.