Wolkenbild
Wie sich Wolken auf das Klima auswirken, ist noch weitgehend unklar, ebenso wie vom Menschen produzierte Emissionen zur Wolkenbildung beitragen. Forschergruppen haben neue Methoden entwickelt, um diese ZusammenhĂ€nge besser zu verstehen. © Davies Designs Studio / unsplash

Lukas Pichelstorfer, Physiker und Erwin-Schrödinger-Stipendiat des Wissenschaftsfonds FWF, will mit seinem Computermodell eine WissenslĂŒcke auf dem Gebiet der AtmosphĂ€renchemie schließen: zwischen dem bekannten Ursprung flĂŒchtiger organischer Substanzen und ihrem Endprodukt Kohlendioxid. Aber auch zwischen theoretischer und experimenteller AtmosphĂ€renchemie sowie bekannten Reaktionspfaden und gemessenen MolekĂŒlen. Der Abgleich der theorie-basierten Simulationsergebnisse mit experimentell erhobenen Daten soll das Modell verifizieren. In der Folge könnten verschiedene Auswirkungen der flĂŒchtigen organischen Kohlenwasserstoffe auf Klima und LuftqualitĂ€t ermittelt werden.

Von VOC zu HOM

 Jeder kennt flĂŒchtige organische Verbindungen (VOC), zum Beispiel in Form von aromatischen Kohlenwasserstoffen. Wir riechen sie an der Tankstelle (Benzol) oder als Lösungsmittel in Lacken und Farben (Toluol), aber auch im Nadelwald (Pinene). Die AtmosphĂ€renchemie unterscheidet flĂŒchtige Kohlenwasserstoffe mit anthropogenem (AVOC) und solche mit biogenem Ursprung (BVOC). Egal aus welcher Quelle: Eine zu hohe Konzentration von flĂŒchtigen organischen Verbindungen hat meist eine gesundheitlich nachtrĂ€gliche Wirkung. Die Folgen reichen von Augen- ĂŒber Atemwegsirritationen bis zu Krebserkrankungen. Allen gemeinsam ist, dass VOC in der AtmosphĂ€re weiter reagieren. Am Ende der atmosphĂ€rischen Reaktionsketten „verbrennen“ aromatische Kohlenwasserstoffe zum Treibhausgas CO2. Dazwischen ĂŒbernehmen die vom Menschen produzierten Gase (AVOC) weitere klimarelevante Funktionen. Die ursprĂŒnglich flĂŒchtigen Substanzen reichern sich nach einer Erstreaktion immer weiter mit Sauerstoff an und werden in der Fachsprache HOM (highly oxygenated molecules) genannt. Diese HOM unterscheiden sich in ihren Eigenschaften von den flĂŒchtigen AusgangsmolekĂŒlen fundamental. Sie können zur Bildung von Partikeln beitragen, an denen wiederum Wolken kondensieren. Oder die LuftqualitĂ€t beeinflussen. Wolken haben einen großen, aber teilweise noch unerforschten Einfluss auf das Klima: „Ein besseres VerstĂ€ndnis fĂŒr die Rolle von VOC bei ihrer Entstehung ist daher auch fĂŒr die Klimaforschung relevant. Wie sich die LuftqualitĂ€t durch emittierte VOC verĂ€ndert, ist wiederum fĂŒr BallungsrĂ€ume wichtig“, erlĂ€utert Pichelstorfer.

So beeinflussen flĂŒchtige organische Gase (VOC) Klima und LuftqualitĂ€t: Emittierte VOC können nach einer Erstreaktion in der AtmosphĂ€re sowohl zur Neubildung von Partikel als auch deren Wachstum beitragen. Dies ist ein wesentlicher Mechanismus zur Bildung von Wolkenkondensationskernen. FĂŒr die LuftqualitĂ€t sind sowohl die gasförmigen Substanzen als auch Partikel relevant. © Lukas Pichelstorfer

Masse bekannt – Struktur fraglich

Solche HOM-MolekĂŒle können seit einigen Jahren mit hoch entwickelten Massenspektrometern eingefangen, jedoch noch nicht genau beschrieben werden: „Man kann sie messen, weiß aber weder genau, wie sie entstehen, noch wie ihre Struktur aussieht, und diese legt die Eigenschaften des MolekĂŒls fest“, erklĂ€rt der Forscher und weiter: „Wir entwickeln ein Modell an der Schnittstelle zwischen theoretischer und experimenteller Chemie, das rechnerisch die wahrscheinlichsten Reaktionspfade samt Abzweigungen verfolgt und die nachgewiesenen MolekĂŒle erklĂ€ren soll. Im nĂ€chsten Schritt soll das Modell die experimentell ermittelten Massenpeaks aus dem Spektroskop reproduzieren und die Eigenschaften der auf diesem Weg gebildeten möglichen MolekĂŒle ermitteln“, erklĂ€rt Lukas Pichelstorfer, der derzeit am Institute for Atmospheric and Earth System Research der UniversitĂ€t Helsinki forscht. Die Herausforderung liegt darin, theoretische Grundregeln fĂŒr Reaktionen so einzuspeisen, dass der Code je nach Input und Bedingungen neu und automatisiert erzeugt werden kann. Begonnen hat der Forscher mit Benzol, als Prototyp fĂŒr einen aromatischen Kohlenwasserstoff, und rund 1700 Differentialgleichungen, die voneinander abhĂ€ngen und das Reaktionssystem beschreiben. Derzeit werden die simulierten MolekĂŒle aus dem Modell mit Messungen unter kontrollierten, aber variierenden Bedingungen verglichen. „Ein Modell fĂŒr die Bildung von HOM durch Reaktion von AVOC in der AtmosphĂ€re gibt es noch nicht. Das ist ein heißes Forschungsthema. Die Testfrage fĂŒr das Modell lautet immer: HĂ€lt die simulierte Theorie der gemessenen Praxis und der angenĂ€herten RealitĂ€t des Geschehens in der AtmosphĂ€re stand“, erlĂ€utert Pichelstorfer. DafĂŒr kooperiert der Schrödinger- Stipendiat des FWF mit Kollegen und Kolleginnen an verschiedenen UniversitĂ€ten. Die Implementierung des Codes aus seinem Programm in bestehende Aerosoldynamik-Modelle und chemische Transportmodelle wird Aufschluss ĂŒber den Beitrag von HOM hinsichtlich der Neubildung und des Wachstums von Partikeln in Messkammern und in der Natur liefern.

AtmosphÀrenchemie in Echtzeit

Parameter wie Temperatur, Luftdruck, Sonnenlicht, die Konzentration verschiedener Gase und vieles mehr sind Stellschrauben der AtmosphĂ€renchemie. Das Team plant bereits Reality Checks in Istanbul (TĂŒrkei) und Nanjing (China). Dort sollen „AtmosphĂ€renstĂŒcke“ ĂŒber der Stadt beschrieben und verfolgt werden. Was darin chemisch und physikalisch ablĂ€uft, wie die LuftqualitĂ€t ist, wie giftig die entstehenden Substanzen sind und wie viele Kondensationskeime fĂŒr Wolken auf diesem Weg entstehen, soll mit den Modellen errechnet werden. Schon jetzt arbeitet die Gruppe mit StĂ€dteplanerinnen und StĂ€dteplanern zusammen, um Empfehlungen abzugeben, wo man aufgrund starker von Menschen erzeugter Luftbelastung besser weder Krankenhaus noch Pflegeheim oder Kindergarten baut.


Zur Person Lukas Pichelstorfer ist Aerosol-Physiker und arbeitet experimentell und rechnergestĂŒtzt. Die Masterarbeit in Physik an der UniversitĂ€t Wien schrieb er ĂŒber heterogene Keimbildung. FĂŒr die Dissertation an der UniversitĂ€t Salzburg modellierte er die Aerosol-Dynamik in der menschlichen Lunge. Seit 2019 erkundet der Schrödinger-Stipendiat des Wissenschaftsfonds FWF an der UniversitĂ€t Helsinki die Auswirkungen von flĂŒchtigen organischen MolekĂŒlen in der AtmosphĂ€re.


Publikationen

Roldin, P., Ehn, M., Kurtén, T. et al.: The role of highly oxygenated organic molecules in the Boreal aerosol-cloud-climate system, in: Nature Communications 10, 2019
Xavier, C., Rusanen, A., Zhou, P., Dean, C. et al.: Aerosol mass yields of selected biogenic volatile organic compounds – a theoretical study with nearly explicit gas-phase chemistry, Atmospheric Chemistry And Physics, 19, 2019
Olenius, T., Pichelstorfer, L., Stolzenburg, D. et al.: Robust metric for quantifying the importance of stochastic effects on nanoparticle growth, in: Scientific Reports, 8, 2018
Pichelstorfer, L., Stolzenburg, D., Ortega, J. et al.: Resolving nanoparticle growth mechanisms from size- and time-dependent growth rate analysis, in: Atmospheric Chemistry And Physics, 18, 2018