Junger Mann mit Regenbogenfahne am Rücken geht die Straße entlang
Suizidversuche sind unter Jugendlichen besonders häufig, vor allem wenn sie einer sexuellen Minderheit angehören. Aktuelle Studien bestätigen, dass Medien wichtige Partner in der Prävention von Suizid sein können. © Sharon McCutcheon/Pexels

Mit seinem Forschungsprojekt zielt Thomas Niederkrotenthaler, Leiter der Unit Suizidforschung & Mental Health Promotion an der Medizinischen Universität Wien, auf den Kreuzungspunkt zweier Tabuthemen: Sexualität und Suizid. Dafür hat er einen guten Grund: Suizid ist die zweithäufigste Todesursache für Jugendliche in Österreich. An der Schwelle zum Erwachsenwerden, wenn die (sexuelle) Identität erforscht und gefestigt wird, sind insbesondere Jugendliche gefährdet, die einer sexuellen Minorität, abgekürzt mit LGBTQI+ (für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, queer, intersexuell, +), angehören. Das zeigt eine vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte, randomisiert-kontrollierte Studie, deren Ergebnisse nun vorliegen: Von den teilnehmenden Jugendlichen gaben 18 Prozent an, im Jahr davor einen Suizid versucht zu haben.

Mit ihrem Gefühl, niemanden zu kennen, der so ist und fühlt wie sie selbst, vielleicht darüber hinaus in einem ablehnenden Umfeld aufzuwachsen, können sich Jugendliche heute zumindest online umsehen und im Internet auf die videobasierte Kampagne Es wird besser stoßen. Die Maßnahme zur Suizidprävention wurde 2010 in den USA ins Leben gerufen und ist seit 2013 auch in Österreich im Aufbau. Gemeinsam mit der Dissertantin Stefanie Kirchner untersuchte Thomas Niederkrotenthaler, ob die „Es wird besser“-Videos in der besonders vulnerablen Zielgruppe präventiv wirken können. Zunächst sah es nicht danach aus. Doch die groß angelegte Studie förderte neue Erkenntnisse für die mediale Suizidprävention insgesamt zutage.

Robuste Analyse in drei Schritten

Die Inhaltsanalyse der 192 verfügbaren deutschsprachigen Videos offenbarte, dass das Ziel der „Suizidprävention in einer vulnerablen Gruppe“ – ohne konkrete Vorgaben – beliebig wirken kann und nicht alle Minderheiten-Gruppen zu Wort kommen: „Bekennende LGBTQI+-Erwachsene erzählen in den Videos meist über ihr Coming-out und was sie davor beschäftigt hat. Nur selten geht es aber auch um andere Stressfaktoren, wie etwa suizidale Gedanken oder den Versuch, sich selbst zu töten. Wie es besser geworden ist, wird mal mehr, mal weniger konkret herausgearbeitet“, lautet das Fazit des Public-Health-Forschers.

Maja Höggerl über ihr Coming-out in der Videokampagne "Es wird besser".

Im zweiten Schritt der Analysen diskutierten LGBTQI+-Jugendliche in Fokusgruppen die Wirkung ausgewählter Videos auf sie selbst und versuchten die Wirkung auf suizidale Peers abzuschätzen. Ihre Empfehlungen zur verbesserten Gestaltung wurden teilweise sogar wortgleich von den Fokusgruppen mit Fachleuten für Suizidprävention und Medien-Promotion bestätigt. Um wirksam zu sein, müsste sich das Publikum mit den Personen in den Videos identifizieren können. Also sollten jedenfalls alle Minderheiten vorkommen und ihre persönlichen Geschichten erzählen, die nicht zu positiv, aber auch nicht angsteinflößend sind. Zudem könnte auf professionelle Hilfsangebote verwiesen werden.

Medien werden seit Jahren aufgefordert, sorgsam statt sensationslüstern über Suizid zu berichten. Die präventive Wirkung wurde 2010 von Thomas Niederkrotenthaler und seinem Team als „Papageno-Effekt“ benannt. Der Vogelfänger aus der Oper „Die Zauberflöte“ will sich erhängen, als er befürchtet, seine Papagena nicht zu bekommen. In letzter Sekunde stürmen drei Knaben mit einem magischen Glockenspiel herein und fordern ihn auf, sein Leben nicht wegzuwerfen. „Medien sind gerade für LGBTQI+-Jugendliche im Coming-out, also der Phase, wenn sie ihre Sexualität öffentlich machen und leben, sehr relevant. Ein geeignetes Video von einem Menschen, mit dem sie sich identifizieren, könnte daher so ein magisches Glockenspiel sein“, betont Thomas Niederkrotenthaler.

Überraschungseffekt über die Bande

An der nun zu drei Zeitpunkten durchgeführten Online-Befragung beteiligten sich 516 junge Menschen, die über Vereine und Beratungsstellen rekrutiert worden waren. Für die kontrollierte randomisierte Studie wurde der Testgruppe das originale „Es wird besser“-Video mit einer Protagonistin und einem Protagonisten (Rudi beziehungsweise Alice) gezeigt. Die Kontrollgruppe sah einen eigens angefertigten Beitrag, in dem Rudi oder Alice neutral über gesunden Lebensstil (Ernährung, Sport etc.) sprachen. Am Zentrum für Public Health wurde damit erstmals auch ein Input hinsichtlich suizidpräventiver Wirkung getestet, der Suizidalität nicht im Detail anspricht. Die Fragebögen wurden spezifisch ausgewählt, um zu messen, wie hilfreich die Videos sind. Parameter wie Suizidalität, Eigenakzeptanz, Depressivität, Homophobie im Umfeld, der Status im eigenen Coming-out oder die Definition der sexuellen Identität wurden abgefragt. Die vulnerablen Jugendlichen wurden unmittelbar nach dem Zeigen der Videos befragt und vier Wochen später noch einmal.

Ein kleiner signifikanter Effekt im Sinne einer Reduktion der Suizidalität zeigte sich unmittelbar nach dem Ansehen des Original-Videos im Vergleich zur Kontrollgruppe. Der Parameter „Selbstakzeptanz“ wurde besser eingeschätzt. Entscheidend für die abnehmende Gefährdung war dabei, wie sehr sich die Befragten mit der gezeigten Person oder der Geschichte identifizieren konnten. Die neue Erkenntnis für die medial vermittelte Suizid-Prävention lautet also: Die Zielgruppe, die sich mehr identifizieren kann, profitiert mehr von Medieninputs im Sinne einer Reduktion von Suizidalität. Zudem können auch Narrative, die allgemeiner auf die Bewältigung von Lebenskrisen abzielen, Suizidalität verringern. Der präventive Effekt basiert wohl wesentlich auf den Narrativen von anderen LGBTQI+-Personen und nicht nur auf dem Ansprechen von Suizid. „In einer Folgestudie wollen wir weiter untersuchen, inwieweit im Vergleich zum derzeit verbreiteten Narrativ der leidenden, suizidgefährdeten Person eher resilienzbetonte Narrative anders wirken, etwa mit der Botschaft ‚Ich bin o. k., ich kann es bewältigen und du kannst es auch‘“, erklärt Thomas Niederkrotenthaler.


Zur Person

Thomas Niederkrotenthaler ist stellvertretender Leiter der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin und Leiter der Unit Suizidforschung & Mental Health Promotion im Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien. Er forscht zu psychischer Gesundheit mit Fokus auf Epidemiologie und zur Wirkung von Medien auf Suizid-Prävention. Er ist Vizepräsident der International Association for Suicide Prevention und Vorsitzender der Wiener Werkstätte für Suizidforschung. Das Projekt „Die Wirkung von ‚Es wird besser‘-Suizidpräventionsvideos für LGBQ-Jugendliche“ läuft bis Ende 2021 und wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 140.000 Euro gefördert.


Präventionskampagne: https://eswirdbesser.at


Publikationen

Kirchner, S., Till, B., Plöderl, M. et al.: Perceptions of LGBQ+ youth and experts of suicide prevention video messages targeting LGBQ+ youth: qualitative study, in: BMC Public Health 20, 1845, 2020

Kirchner, S., Till, B., Plöderl, M., & Niederkrotenthaler, T.: It Gets Better Videos for Suicide Prevention in LGBTIQ+ Adolescents: Content Analysis of German-Language Videos, in: Crisis: The Journal of Crisis Intervention and Suicide Prevention, 2020