Portraitbild des Publizisten Karl Tschuppik beim Heurigen in Wien
Karl Tschuppik zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Zwischenkriegszeit. Unter anderem war er Chefredakteur des Prager Tagblatts und der Stunde, der ersten Boulevardzeitung Österreichs. © Österreichische Nationalbibliothek

Nicht allen Autor:innen wird die Erinnerung zuteil, die sie verdient haben. Würde man Menschen, die nicht zufälligerweise Expert:innen für die Publizistik der Zwischenkriegszeit sind, auf Karl Tschuppik ansprechen, würde man wohl fragende Blicke ernten. Dabei war Tschuppik ein österreichischer Publizist von europäischem Format: In Prag, Wien und Berlin kommentierte er ab 1910 über mehr als 20 Jahre und drei Staatsformen hinweg das politische Leben. Und trat dabei konsequent für die Demokratie und gegen Nationalismus und Kleingeisterei ein. Ein Projekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, hat es sich zum Ziel gemacht, die Arbeit des „zu Unrecht vergessenen Unbequemen“ in einer kommentierten Edition zugänglich zu machen.

Im Zentrum dieses Projekts steht der Literaturwissenschaftler Walter Schübler von der Universität Salzburg. Bei Publizist:innen wie Tschuppik, deren Werk auf Dutzende Druckorte verteilt ist, heißt es zuerst einmal: sehr viel suchen. „Es ist die sprichwörtliche Kärrnerarbeit“, sagt Schübler, ein systematisches Blättern, Kurbeln und Klicken. „Blättern von Zeitungen, Kurbeln von Mikrofilmen und Klicken von Digitalbeständen.“ Das Werk von Tschuppik sei nicht nur auf circa 90 Zeitungen, Zeitschriften und Magazine verteilt. Er schrieb auch unter knapp zwei Dutzend Pseudonymen und Kürzeln. Im Moment steht das Projekt bei circa 2.900 Texten, erst unlängst seien wieder 60 aufgetaucht. Bibliografiert wird weiterhin laufend, hauptsächlich geht es aber im Moment darum, die Texte zu digitalisieren und einzurichten. Danach müssen die Texte für die Ausgabe ausgewählt werden, die das Wirken des Publizisten sowohl der Wissenschaft als auch interessierten Lai:innen zugänglich macht. „Der Schwerpunkt wird auf dem politischen Kommentator Tschuppik liegen“, sagt Schübler. Und wenn man dann die Auswahl hat, muss diese auch noch kommentiert werden.

Die Perspektive des hellsichtig Liberalen

„Tschuppik macht aus, dass er auch als Leitartikler nie über den Dingen stand“, so Walter Schübler. „Er schrieb konsequent aus der Sicht des Bürgers und trat vehement gegen alles auf, was die bürgerlichen Freiheiten beschränken sollte.“ Politisch habe Tschuppik ganz links begonnen und sei dann immer mehr in die Mitte gerückt. Gesellschaftspolitisch sei er aber immer liberal gewesen. „Für Tschuppik war es wichtig, die zivilisatorischen Standards, die er unter dem Begriff ‚Europa‘ zusammenfasste, zu verteidigen.“ Der Autor landete deshalb 1933 auf der ersten schwarzen Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Nationalsozialisten: Sein Werk sei geeignet, „die deutsche Volksordnung in ihrer Art und Rasse aufzulösen, die Kraft und Bedeutung großer Führergestalten zugunsten der Masse infolge des Gleichheitsgedankens zu verneinen und deren Größe in den Schmutz zu ziehen“.

Prager Kreise intrigieren

Tschuppik lebte das ganze Jahr in Hotels, weshalb er der Nachwelt, abgesehen von seinen Texten und ein wenig Korrespondenz, wenig hinterließ. Von seinem Leben sind vor allem die Eckdaten und beruflichen Stationen bekannt. Geboren wurde er 1876 in Melnik in Böhmen in ein deutschnationales Milieu. Ende des 19. Jahrhunderts begann er für das Prager Tagblatt zu schreiben, dessen Chefredakteur er 1910 wurde. „Von da an tritt Tschuppik als politischer Kommentator in Erscheinung“, sagt Schübler. Er macht das Prager Tagblatt zur großen liberalen Tageszeitung der Monarchie. Ende 1917 wird er seines Postens enthoben: Chauvinistische Prager Kreise hatten gegen ihn intrigiert. Tschuppik übersiedelte daraufhin nach Wien. 1923 wird er Chefredakteur der Stunde, der ersten Boulevardzeitung Österreichs, die er trotz des reißerischen Stils prodemokratisch und gegen Rechtsextremismus positioniert. Ab Mitte der 20er-Jahre fällt die Zahl der Veröffentlichungen von Tschuppik jäh ab. 1926 geht er nach Berlin und widmet sich mehr und mehr seinen Habsburger-Biografien in Buchform. 1933 kehrt er nach Wien zurück, wo er 1937 schließlich stirbt.

Aus der Vergessenheit in den Kanon

„Allein die Zahl der Nachrufe auf Tschuppik zeigt, dass seine Zeitgenossen über seine überragende Bedeutung einig waren“, sagt Schübler. Anders als andere Autor:innen seiner Zeit sei er wenig in Kaffeehäusern gewesen, sondern mehr in Heurigen. Er hatte sogar testamentarisch verfügt, dass bei seinem Begräbnis Heurigenmusik gespielt werden sollte. Und so versammelten sich am 22. Juli 1937 die Menschen am Grinzinger Friedhof und lauschten dem Lied „Es wird ein Wein sein und wir wer’n nimmer sein“. Daraufhin geriet Tschuppik in Vergessenheit. 1982 hat Klaus Amann unter dem Titel „Von Franz Joseph zu Adolf Hitler“ einen Sammelband mit Tschuppik-Texten herausgegeben. Nachdem Walter Schübler in den vergangenen Jahren daran gearbeitet hat, das Leben Tschuppiks noch weiter auszuleuchten, geht es eben jetzt darum, sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „So ein Mann muss auch heute präsent sein“, sagt der Biograf und Literaturwissenschaftler.

Zur Person

Walter Schübler hat ein Übersetzerstudium in Wien absolviert und über Rabelais dissertiert. Der Publizist mit Schwerpunkt Biografik lebt in Wien. Von 2005 bis 2018 arbeitete Schübler vorwiegend im Rahmen von FWF-geförderten Projekten über Werk und Vita Anton Kuhs. Seit 2019 widmet er sich dem österreichischen Publizisten Karl Tschuppik. „Karl Tschuppik: Das journalistische Werk“ ist ein Folgeprojekt Walter Schüblers zur Personalbibliografie des österreichischen Publizisten. Beide Forschungsprojekte werden mit Mitteln des Wissenschaftsfonds FWF finanziert.

Publikationen

Bibiana Amon. Eine Spurensuche. Edition Atelier 2022

„Komteß Mizzi“. Eine Chronik aus dem Wien um 1900. Wallstein Verlag 2020

Anton Kuh, Biographie. Wallstein Verlag 2018