Dokumentarfilm â Wenn Katastrophenhilfe schieflĂ€uft

Katastrophenhilfe ist humanitĂ€re Pflicht. Die logistische Umsetzung erfolgt oft hoch professionell und unzĂ€hlige Leben werden gerettet. Doch nicht immer kann das gerettete Leben weitergefĂŒhrt werden wie bisher: Katastrophen können LebensumstĂ€nde nachhaltig zerstören. Die Erkenntnis, dass aber auch die Katastrophenhilfe selbst dies bewirken kann, ist neu â und Ergebnis eines vom Wissenschaftsfonds FWF unterstĂŒtzten Projekts der FakultĂ€t fĂŒr interdisziplinĂ€re Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-Adria-UniversitĂ€t Klagenfurt. Dieses Projekt wĂ€hlten Forscher der Columbia UniversitĂ€t in New York unter vielen als besonderes âLehrbeispielâ aus und stellten es als Unterrichtsmaterial ins Internet. Nun wurde der Weg des Erkenntnisgewinns â und das persönliche Engagement von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, Betroffenen und Partnern â auch von Filmemacher Raphael Barth dokumentiert und in einem 100-minĂŒtigen Werk von eindrucksvoller IntensitĂ€t veröffentlicht.
Complex Disaster
Der Film erzĂ€hlt die Entstehung eines sogenannten "Complex Disasters" â dessen erstmalige Beschreibung und konzeptionelle Erfassung ein Hauptergebnis des Forschungsprojekts ist. Dazu die Projektleiterin Marina Fischer-Kowalski vom Institut fĂŒr Soziale Ăkologie des IFF: "Ein 'Complex Disaster' tritt dann ein, wenn nach einer Naturkatastrophe humanitĂ€re Interventionen die FĂ€higkeit einer indigenen Bevölkerung stark vermindern, sowohl den Wiederaufbau zu schaffen als auch nachhaltige Lebensweisen zu entwickeln, die ohne fortgesetzte Hilfe von auĂen möglich sind. Dies konnten wir nach dem Tsunami auf den Nikobaren erstmals wissenschaftlich dokumentieren, analysieren und kommunizieren." TatsĂ€chlich zeigte sich insgesamt eine Unvereinbarkeit der Logik humanitĂ€rer Hilfe mit dem Anspruch an den Wiederaufbau nachhaltiger Wirtschaftssysteme. FĂŒr einen solchen Wiederaufbau entwickelte das Team um Fischer-Kowalski in den Jahren nach dem Tsunami u. a. Computermodelle, die nun Informationen bieten, welche Wirtschaftsformen unterstĂŒtzenswert erscheinen, wenn man Kultur, Ressourcen und demografische Entwicklungen in einem Katastrophengebiet mitberĂŒcksichtigt.
Die zweite Flut
Doch wissenschaftliche Ergebnisse waren nur einer der Outputs der facettenreichen Arbeit des Projektteams. GestĂŒtzt auf diese half man auch bei konkreten Aufbauarbeiten vor Ort und konnte dabei enge Beziehungen zur Bevölkerung und genaue Kenntnisse ihrer Lebensweise nutzen. Bereits vor dem Tsunami hatte das Team-Mitglied Simron Jit Singh die lokale Kultur erforscht und dabei Freundschaft mit Prinz Rasheed Yusuf, Sprecher des angesehenen Nancowry Stammes-Rats, geschlossen, der nach dem Tsunami Singh um Hilfe bat. Gemeinsam mit dem Journalisten Denis Giles bemĂŒhten sich die beiden in der Folge um den Wiederaufbau. Ihre Misserfolge, die kleinen Fortschritte, ihr Lernen aus Fehlern und das Engagement unzĂ€hliger Wegbegleiter bilden nun auch den Inhalt eines vor Kurzem fertiggestellten Films: "Aftermath â Die Zweite Flut" ist ein Werk des österreichischen Filmemachers Raphael Barth. Der Film berichtet ĂŒber den Einfluss von Geld, Plastikflaschen und Fast Food auf eine traditionell vom Fischfang und der Verarbeitung von KokosnĂŒssen lebende indigene Kultur. Er schildert die UnfĂ€higkeit zahlreicher Non-Governmental Organisations (NGOs), ihre Hilfe nach dem Tsunami an die BedĂŒrfnisse dieser Kultur anzupassen â selbst als VertreterInnen der NikobaresInnen konkrete HilfswĂŒnsche Ă€uĂerten. Der Film beschreibt aber auch das Engagement von Simron Jit Singh, Prinz Rasheed und Denis Giles, eine eigene NGO zu grĂŒnden, die sich um die Selbsthilfe der lokalen Bevölkerung bemĂŒht, eine nachhaltige Wirtschaft als Ziel vor Augen hat und die Ausbildung junger NikobaresInnen organisiert. Eindringliche Worte und Bilder illustrieren so, was wissenschaftlich fundiert von Fischer-Kowalski in ihrem FWF-Projekt dokumentiert wurde. Die Kombination aus zielgerichteter Forschung und kreativer Visualisierung schafft eine neue QualitĂ€t in der Kommunikation wissenschaftlicher Arbeit und leistet einen wichtigen Beitrag dazu, verantwortliche Organisationen fĂŒr die langfristigen Konsequenzen von Katastrophenhilfe in traditionellen Wirtschaftssystemen zu sensibilisieren.
Zur Person
Marina Fischer-Kowalski ist GrĂŒnderin und langjĂ€hrige Leiterin des Instituts fĂŒr Soziale Ăkologie der FakultĂ€t fĂŒr interdisziplinĂ€re Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-Adria-UniversitĂ€t Klagenfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderen Soziale Ăkologie, Gesellschaftlicher Stoffwechsel, Theorien sozialen Wandels und gesellschaftliche Ressourcennutzung.