Aufnahme des Kometen Neowise in Deutschland.
Der Staub in Kometen – wie zuletzt von dem mit freiem Auge sichtbaren Komet Neowise – ist älter als jedes auf der Erde gefundene Gestein. Noch werfen Erkenntnisse aus der Kometenforschung jedoch viele Widersprüche und immer neue Fragen auf. Einheitliche Standards für Laborversuche mit Kometen-Material sollen nun den Weg für Antworten ebnen. © Frank Lammel/Flickr

Kometen werden oft als Fenster in die Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems bezeichnet. Dabei gibt es Anzeichen, dass sie Materie enthalten, die sogar noch deutlich älter ist, wie Kometenforscher Günter Kargl erklärt: „Bei der Kometenmission Rosetta hat man Staubkörner gefunden, die über 4,5 Milliarden Jahre alt sind. In Planeten findet man so altes Material nicht.“ Der Staub in Kometen sei zum Teil noch eine Milliarde Jahre älter als die ältesten auf der Erde gefundenen Gesteine und wie in einer Zeitkapsel konserviert. Weltraumsonden wie Rosetta, die 2014 den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko besuchte und ihm zwei Jahre lang folgte, sollen diesen uralten Materialien auf die Spur kommen. Doch auch nach dem Erfolg der Rosetta-Mission, die viele neue Daten lieferte, sind Aufbau und Verhalten von Kometen immer noch nicht richtig verstanden. „Einige Messergebnisse von Rosetta waren für die Wissenschaft verwirrend“, sagt Kargl. „Das liegt daran, dass man gewisse Verhaltensmuster an der Oberfläche so nicht erwartet hat.“ Jetzt gehe es darum, die Abweichungen zu analysieren und die Modelle und Entstehungstheorien für Kometen an die neuen Erkenntnisse anzupassen.

Neue Laborversuche

„Um Kometen zu verstehen, braucht es ein Dreigespann an Zugängen: Messdaten von Kometenmissionen, mathematische Simulationen und Labor-Experimente“, sagt Kargl. Doch die Labor-Experimente, die geholfen haben, Rosetta vorzubereiten, sind nach der Mission nicht mehr aktuell. „Als bei der Präsentation der Rosetta-Ergebnisse immer neue Fragen auftauchten, sprach ich mit Kollegen darüber, dass es eigentlich nötig wäre, ein neues Laborprogramm aufzuziehen, nur eben mit Methoden der 2000er Jahre, mit besserer Messtechnik.“ Kargl initiierte daraufhin ein Projekt zwischen Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, deren österreichischer Part vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert und von Kargl geleitet wird. Das neue Projekt weckte die Aufmerksamkeit der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft, seither sei das Interesse daran förmlich explodiert, berichtet Kargl. „Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin ist eingestiegen, das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung aus Göttingen, aber auch die Chinese Academy of Science and Technology.“ Alle diese Institute sind auf eigene Kosten dabei und steuern auch Equipment bei.

Wie Zigarettenasche

Bei Laborversuchen mit Kometen-Material gebe es mehrere Herausforderungen, erläutert der Grundlagenforscher: „Zwangsläufig verwendet man im Labor nicht Material, das von Kometen kommt, sondern muss sich Analog-Materialien suchen. Diese haben nicht den Zweck, das Material eins zu eins abzubilden, sondern müssen für gewisse Prozesse ähnliches Verhalten zeigen.“ Das ist umso schwieriger, als die Konsistenz des Materials sehr stark variieren kann. „Frisches oder sehr trockenes Material von Kometen kann fast so locker wie Zigarettenasche sein. Durch Wärme und andere Prozesse, kann es aber auch so fest wie Beton werden. Es gibt eine unglaubliche Bandbreite“, erklärt der Forscher. Eines der Ziele des Projekts ist es, einen Standard für andere Laborversuche mit Kometen-Material zu entwickeln. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Teams sei nämlich derzeit nicht gegeben. „Wir wollen hier einen Standard schaffen. Für Mars und Mond hat die Nasa dafür gesorgt, dass es gewisse Standards gibt“, sagt Kargl. Wenn also ein Labor Bedingungen auf dem Mars untersuchen will, kann es auf Richtlinien zurückgreifen, wie Mars-Material auszusehen hat. „Für Kometen gibt es das noch nicht. Diese Lücke wollen wir schließen“, so der Forscher.

An den Grenzen der Physik

Der Fahrplan des seit zwei Jahren laufenden Projekts sieht vor, mit kleineren Experimenten eine Basis zu schaffen und eine Handvoll größerer Experimente vorzubereiten, die in einer großen Vakuumkammer der Projektpartner am Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik der Technischen Universität Braunschweig durchgeführt werden sollen. Viele kleinere Experimente wurden bereits durchgeführt und es gibt bereits interessante Ergebnisse, wie Kargl erklärt: „Wir sind mit einem Experiment in Graz in einen Bereich vorgedrungen, wo wir an die Grenzen der Physik stoßen. Es geht um den Gasfluss durch poröse Kometen-Materialien.“ Derzeit gebe es zwei verschiedene physikalische Modelle, um solches Verhalten zu beschreiben, doch keines bilde die Situation zufriedenstellend ab. „Beide Modelle brechen in dem Bereich zusammen“, sagt Kargl. Das Experiment liefert hier Daten, die auch außerhalb des eigentlichen Forschungsgebietes von Interesse sind. Eine weitere Aufgabe des Teams um Kargl ist der Bau eines Penetrometers. Das ist ein Stab, der in der Vakuumkammer von Braunschweig angebracht werden soll und ins Eis gedrückt werden kann, um die Festigkeit zu messen. Ein Team mit Kargl baute auch bereits für Rosetta ein solches Gerät. „Wir gehören zu den wenigen, die hier Erfahrung haben“, so Kargl.

Corona als Hindernis

Doch derzeit sorgt die Corona-Krise für ungewohnte Komplikationen. Manche der Experimente werden deshalb so adaptiert, dass Forschergruppen aus anderen Ländern online darauf zugreifen und sie steuern können. Das Projekt selbst ist dadurch nicht gefährdet, in Kürze steht das erste Groß-Experiment in der Braunschweiger Vakuumkammer an, das über mehrere Wochen laufen soll. Mit dem erst kürzlich entdeckten „Neowise“ ist aktuell wieder ein Komet mit freiem Auge auf dem Nachthimmel sichtbar. Noch immer ist nicht genau geklärt, wie und warum Gas und Staub aus dem Kometen austreten, um dessen typischen, spektakulären Schweif zu bilden. Doch schon bald könnten neue Erkenntnisse unser Verständnis der alten Himmelskörper bereichern.


Zur Person Günter Kargl ist Weltraumforscher am Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der studierte Geophysiker und Astronom ist Lektor an der Universität Graz und interessiert sich für experimentelle und Laborarbeit, insbesondere für die Entwicklung von Messgeräten für die Raumfahrt.