Die vielen Schichten von Bella Asmara

Asmara, die Hauptstadt des jungen Staates Eritrea, beherbergt weltweit eines der gröĂten geschlossenen Ensembles der Architektur der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Der Stadtkern wurde als Regierungssitz zur Zeit der italienischen Kolonialherrschaft in Ostafrika errichtet. Zwischen 1935 und 1941 entstand so auf dem klimatisch wohltemperierten Hochplateau eine moderne Stadtfantasie. WĂ€hrend die faschistische Architektur in Italien nicht durch SubtilitĂ€t besticht, fesselt das Kulturdenkmal am Horn von Afrika Architekturbegeisterte. Seit der UnabhĂ€ngigkeit des Staates Eritrea von Ăthiopien im Jahr 1991 feierten KunstfĂŒhrer und Architekturausstellungen Asmara als âSchlafende Schönheitâ, die es fĂŒr die Nachwelt zu erhalten gilt. FĂŒr Eritrea ist der Stadtkern mit kolonialer Architektur nicht nur ein devisenbringendes Tourismusziel, sondern auch akzeptierter, identitĂ€tsstiftender Teil der Geschichte der jungen Nation. UnterstĂŒtzt vom Wissenschaftsfonds FWF machte sich ein Team der FakultĂ€t fĂŒr Architektur der UniversitĂ€t Innsbruck daran, das Bild einer âZeitkapsel gefĂŒllt mit italienischem Dolce Vitaâ zu hinterfragen und um den postkolonialen Kontext zu ergĂ€nzen.
Historisches Baudenkmal & postkolonialer Lebensraum
DafĂŒr konnte am Institut fĂŒr Architekturtheorie und Baugeschichte auf Forschungsarbeiten ĂŒber Casablanca und Kinshasa aufgebaut werden: âKolonialstĂ€dte waren hĂ€ufig ProjektionsflĂ€chen fĂŒr moderne Fantasien und wurden als Zukunftsvision europĂ€ischer StĂ€dte errichtet. Asmara war eine frĂŒhe Autostadt mit damals mehr Ampeln, als die italienische Hauptstadt Româ, erklĂ€rt Projektleiter Peter Volgger. Angesichts der politischen UmbrĂŒche seit dem Ende der Kolonie Italienisch-Ostafrika muss Asmara aber nicht nur als historisch-baugeschichtliches, sondern auch als gegenwĂ€rtig-postkoloniales PhĂ€nomen begriffen werden. âWir wollten wissen, welche Rolle die Architektur heute fĂŒr die Menschen vor Ort spielt. Es ging uns um eine Theorieentwicklung, wie die koloniale Baugeschichte nachwirkt.â Als Basis dafĂŒr diente Michel Foucaults Konzept der Biopolitik, welches den Zugriff des Staates auf die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger ins Visier nimmt.
Aneignung der kolonialen Architektur
Das Stadtgebiet Greater Asmara ist eines der am schnellsten wachsenden in Ostafrika. Es besteht nicht nur aus Prachtboulevards und Villenvierteln. Eingefasst wird der Stadtkern von indigenen Siedlungen, mit MĂ€rkten und vereinzelten Rundbauten aus Stein (sogenannte Tukuls). Um die Stadt wĂ€chst ein Kakteenwald. Zwischen Februar 2013 und JĂ€nner 2015 bereitete das vierköpfige Forschungsteam aus Innsbruck die koloniale und postkoloniale Entwicklung der Stadt auf. Dazu bediente sich das Team der âbean dropâ-Methode, bei der zufĂ€llig kleinrĂ€umige Stadtteile ausgewĂ€hlt und modellhaft beschrieben werden. Die Forscherinnen und Forscher fuhren mit dem Taxi StraĂenzĂŒge ab, filmten und dokumentieren die Funktionen der GebĂ€ude. Die zentrale Frage des Projekts war, wie sich die eritreische Bevölkerung die koloniale Architektur angeeignet hat. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter befragten einfache Bewohnerinnen und Bewohner zu ihren Nutzungsgewohnheiten, ebenso wie offizielle Vertreterinnen und Vertreter der Regierung, der eritreischen Diaspora, des Stadtarchivs etc. Parallel dazu untersuchten sie die Arbeit internationaler Institutionen wie Weltbank, UNESCO und der EU vor Ort. Es zeigte sich: Nicht alle Teile der Stadt werden von allen gleich (berechtigt) genutzt. âDie eritreische Hauptstadt ist keine Frozen City, obwohl nichts verschwunden ist. Wir konnten 27 Schichten der Stadtentwicklung dokumentieren, die unterschiedlichen Funktionen zugeordnet werden könnenâ, fĂŒhrt Architekturtheoretiker Volgger aus. Die UniversitĂ€t Innsbruck finanzierte ergĂ€nzend zu den FWF-Projektmitteln die technische Ausstattung zum Scannen alter StadtplĂ€ne aus dem Archiv und fĂŒr die Verarbeitung von Satellitenbildern.
Forschung zeichnet Stadtentwicklung nach
Jede Schicht der Stadtentwicklung wurde mit einem âSchwarzplanâ dokumentiert, der nur Bauten zu einem Thema bzw. einer Typologie zeigt. Eine Schicht ist etwa das touristisch geprĂ€gte, âhedonistische Asmaraâ mit seinen Bars, Sportanlagen, Hotels und Pools. Weitere Schichten wĂ€ren das medizinische, das militĂ€rische, ethnische oder politische Asmara. Es lĂ€sst sich zeigen, dass die berĂŒhmten Asmara-Bars keine zeitlosen Ikonen immer gleicher Nutzung sind: âAufgrund der restriktiven Definition des öffentlichen Raums im Eritrea von heute ĂŒbernehmen sie neue Bedeutungen. So kann eine bestimmte Bar einem gewissen politischen Lager zugeordnet werden. Oder einen Lebensstil ermöglichen, der im Rest der Stadt nicht möglich istâ, fĂŒhrt Peter Volgger aus. Werden alle 27 SchwarzplĂ€ne ĂŒbereinandergelegt, ergeben sie die vollstĂ€ndige heutige Stadt. Die Forschungsergebnisse der UniversitĂ€t Innsbruck weisen aber ĂŒber den architekturtheoretischen Diskurs hinaus. âBella Asmaraâ verfĂ€llt langsam. Nach 30 Jahren BĂŒrgerkrieg ist schlicht kein Geld fĂŒr KonservierungsmaĂnahmen in der Staatskasse. 2017 erscheint das Buch âAsmara â Colonial City and Postcolonial Experiencesâ, das neben den Forschungsergebnissen auch konkrete Empfehlungen enthĂ€lt, um Greater Asmara in die UNESCO Welterbeliste aufzunehmen.
Zur Person Peter Volgger studierte Philosophie/Geschichte, Architektur und Kunstgeschichte in Innsbruck. Seit 2003 arbeitet er freiberuflich als Architekt. Er ist Assistenz-Professor am Institut fĂŒr Gestaltung an der UniversitĂ€t Innsbruck, lehrt am Institut fĂŒr Architekturtheorie und an der UniversitĂ€t Liechtenstein. Volgger ist Teil der â4 Arbate-Asmara-Gruppeâ.
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