Das Weltraumteleskop Euclid erstellt die bisher grĂ¶ĂŸte und genaueste 3D-Karte des Universums von Galaxien, die bis zu 10 Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Die ESA-Mission wird wichtige Fragen zur Rolle der Schwerkraft und zur Natur des dunklen Universums erforschen. © ESA/ATG, CC BY-SA 3.0 IGO

Wabernde Gasnebel, glitzernde Sternhaufen und majestĂ€tische Galaxien – so zeigt sich unser Universum durch die Linsen moderner Weltraumteleskope wie Hubble und Webb. Das All erscheint von einer leuchtenden Struktur durchzogen. Doch was unseren Kosmos wirklich prĂ€gt, bleibt auf diesen Bildern unsichtbar.

Wie astronomische Messungen zeigten, liegt versteckt zwischen all den hĂŒbschen Sternen, Nebeln und Galaxien eine unbekannte Welt. Dieser als „dunkles Universum“ bekannte Teil des Kosmos hat zwei Bestandteile: dunkle Materie und dunkle Energie. Erst diese beiden KrĂ€fte ergeben gemeinsam mit der herkömmlichen Materie das Standardmodell der Kosmologie.

„Dieses Modell ist eine sehr gute Beschreibung des Universums, da es Beobachtungen auf unterschiedlichsten GrĂ¶ĂŸen- und Zeitskalen erklĂ€ren kann“, sagt die Astrophysikerin Laila Linke von der UniversitĂ€t Innsbruck. „Wir wissen, dass dieses Modell dunkle Materie und dunkle Energie enthalten muss, wir wissen aber nicht, worum es sich dabei handelt.“

Dunkle RĂ€tsel

Dunkle Materie liefert zusÀtzliche Schwerkraft, um etwa Galaxien und Galaxienhaufen zusammenzuhalten, die es ohne die rÀtselhafte Substanz nicht geben könnte. Dunkle Energie dagegen bewirkt die beschleunigte Expansion des Universums, wie Messungen an entfernten Sterneninseln zeigen. Doch völlig offen ist, was hinter den beiden KrÀften steckt. Fachleute haben zur dunklen Materie zahlreiche Theorien vorgeschlagen. Die Ideen reichen von unbekannten, massereichen Teilchen, die kaum mit Materie interagieren, bis hin zu einer Population aus verschiedenen schwarzen Löchern, die kurz nach dem Urknall entstanden ist.

Dunkle Energie lĂ€sst den Kosmos wie einen Kuchen aufgehen. Doch Versuche, diesen Überdruck etwa mit Einsteins „kosmologischer Konstante“ zu erklĂ€ren, ĂŒberzeugen bisher nicht: Der so vorhergesagte Wert fĂŒr die dunkle Energie liegt um viele GrĂ¶ĂŸenordnungen daneben. Weltweit jagen Wissenschaftler:innen nach Antworten auf die RĂ€tsel des dunklen Universums – eine Aufgabe, deren Bedeutung nicht ĂŒberschĂ€tzt werden kann, denn wie Berechnungen zeigen, macht die gewöhnliche Materie nur fĂŒnf Prozent aller im Kosmos enthaltenen Masse aus. Der Löwenanteil des Universums ist also dunkel.

Verzerrte Galaxien

Licht in das dunkle Universum zu bringen, diesem Ziel hat sich die Euclid-Mission der EuropĂ€ischen Weltraumagentur ESA verschrieben. Doch wie kommt die am ersten Juli dieses Jahres gestartete Sonde ihren unsichtbaren Beobachtungszielen nĂ€her? Linke erklĂ€rt: „Konkret wird Euclid Galaxien vermessen, und zwar ĂŒber etwa ein Drittel des Himmels hinweg.“ Euclid wird planmĂ€ĂŸig die Form von unglaublichen eineinhalb Milliarden Galaxien vermessen, die teils weit entfernt sind. Da große Distanz im All wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit gleichbedeutend mit einem Blick in die Vergangenheit ist, enthalten Euclids Daten auch Informationen ĂŒber die zeitliche Entwicklung des Alls.

Um den RĂ€tseln des kosmologischen Standardmodells auf die Schliche zu kommen, betrachten Fachleute vor allem die Formen der Galaxien: Wie bereits Hubble-Bilder eindrĂŒcklich zeigen, gleicht keine Galaxie der anderen. Dennoch lassen sich die Sterneninseln danach ordnen, wie weit sie vom Kreis abweichen. „Wir sprechen dabei von ElliptizitĂ€t“, erlĂ€utert Linke.

Jede Galaxie ist also mehr oder wenig eiförmig. Doch es gibt einen Haken: Ihre wahre Form können wir von der Erde, selbst mithilfe von Weltraumteleskopen, nicht wahrnehmen. Das liegt am Gravitationslinseneffekt: Passiert Licht auf seinem Weg zu uns eine Ansammlung von Materie, wird es von seinem Pfad abgelenkt, da die Masse den Raum krĂŒmmt und den Lichtstrahlen so neue Wege aufzwingt. Dieser Vorgang hat spektakulĂ€re Folgen: Galaxien, die hinter massereichen Galaxienhaufen liegen, schlagen wilde Bögen oder werden sogar mehrfach abgebildet. Da beinahe jede Sichtlinie zwischen extragalaktischen Objekten und der Erde an Massenansammlungen vorbeifĂŒhrt, ist praktisch jedes Bild verzerrt – wenn auch mitunter nur geringfĂŒgig.

Kosmologie der Vielen

Doch von der Verzerrung einer Galaxis lĂ€sst sich noch nichts ĂŒber das dunkle Universum lernen: „Galaxien können an sich elliptisch sein. An einzelnen Exemplaren sehen wir also nicht, wie viel davon durch Gravitationslinsen entstanden ist“, erklĂ€rt Linke. Daher werten die Astrophysikerin und ihr Team mehrere Sterneninseln gleichzeitig aus. „Wir messen die ElliptizitĂ€t vieler benachbarter Galaxien. Waren sie alle zufĂ€llig orientiert, fĂ€llt deren intrinsische ElliptizitĂ€t im Mittelwert weg“, so Linke. „Übrig bleibt also nur der Anteil, der auf Gravitationslinsen zurĂŒckgeht.“ Ist die Galaxiengruppe also in eine gemeinsame Richtung verschmiert – Fachleute sprechen von Scherung –, fĂ€llt das mit dieser Methode auf.

Damit lĂ€sst sich etwas ĂŒber die Verteilung der Masse im Kosmos aussagen – wertvolle Information, wie Linke weiß: „Dadurch können wir zwei Dinge verstehen: Zum einen, wie sich Strukturen im Universum gebildet haben. Und zum anderen können wir aus VerĂ€nderungen der Massenverteilung im Laufe der Zeit auf die Expansionsgeschichte des Alls schließen, die durch dunkle Energie bestimmt ist.“

Die Massenverteilung ist eine statistische GrĂ¶ĂŸe, die fĂŒr kosmologische Aussagen relevant ist. Kennt man sie fĂŒr jeden Abstand, wissen wir, wie sich Materie in der Vergangenheit geballt hat oder auseinandergedriftet ist. Doch um an die Parameter der Verteilung, wie etwa die Varianz, zu kommen, mĂŒssen Fachleute in den Datenbergen von Sonden wie Euclid wĂŒhlen.

Linke erklĂ€rt die bisherige Methode: „Ausgehend von einer Galaxie vergleichen wir die ElliptizitĂ€t vieler Galaxienpaare im gleichen Abstand. Damit wissen wir, wenn es an einem Punkt eine gewisse Verzerrung gibt, wie groß die Scherung an einem anderen Ort ist. Diese Information korreliert mit der Varianz der Massenverteilung.“

Neue Methode

Doch da die kosmische Massenverteilung nicht gaußförmig ist, sondern komplizierter aussieht, reicht die Varianz nicht aus, um sie zu charakterisieren. Es braucht mehr Information. Anstatt jeweils Paare zu bilden, gruppiert Linke daher die Galaxien zu Dreiergespannen. „Dadurch erhalten wir ein höheres Moment der Verteilung, das von den Parametern der Verteilung anders abhĂ€ngt“, sagt Linke. „Gemeinsam mit den Messungen an den Paaren lernen wir durch die DreiergrĂŒppchen mehr ĂŒber die Massenverteilung.“

Obwohl diese statistische Methode tiefe Einblicke in den Kosmos erlaubt, wurde sie bisher kaum eingesetzt. Der Grund: Um je drei Galaxien miteinander zu vergleichen, braucht es bei den gigantischen Galaxienkatalogen erhebliche Rechenleistung – die es bis vor Kurzem nicht gab. Linke konnte allerdings zeigen, dass dieses Problem mit Grafikkarten behebbar ist.

DarĂŒber hinaus fehlten jedoch praktische Algorithmen. Das soll sich im Rahmen des vom FWF geförderten ESPRIT-Projekts von Linke Ă€ndern. „Die Modelle der Statistik dritter Ordnung sind zudem komplizierter, es treten systematische Effekte auf, die bisher nicht berĂŒcksichtigt wurden. Das mĂŒssen wir jetzt einfach mal machen“, ergĂ€nzt Linke.

Momentan feilen die Astrophysikerin und ihr Team noch an ihren Methoden. Doch sobald Euclid erste Daten zur Erde schickt, werden wir ein neues Tool haben, den Datenmengen Informationen zur unsichtbaren Seite des Kosmos zu entlocken. Mögen einzelne Objekte noch so faszinierend sein, eines ist klar: In der Statistik liegt der SchlĂŒssel zum dunklen Universum.

Zur Person

Laila Linke ist Astrophysikerin am Institut fĂŒr Astro- und Teilchenphysik der UniversitĂ€t Innsbruck. Nach einem Physikstudium in Heidelberg promovierte Linke 2021 an der UniversitĂ€t Bonn in Astronomie. Dort war sie als Postdoktorandin tĂ€tig, bis sie 2023 nach Innsbruck wechselte, um sich weiter Fragestellungen rund um das dunkle Universum und die Entstehung von Galaxien zu widmen. Dabei arbeitet Linke nicht mit dem Teleskop, sondern analysiert Daten großer Himmelsdurchmusterungen am Computer, wobei sie neue Methoden entwickelt, um mithilfe von Gravitationslinseneffekten kosmologische Modelle zu prĂ€zisieren. Das Projekt „Kosmologie und Galaxienausrichtungen mit Lensing 3. Ordnung“ (2023–2026) wird vom FWF mit rund 316.000 Euro gefördert.