Die Piratenfigur auf den Fahnen verschiedener Ideologien
Piraten als revolutionäre Abenteurer und gewaltbereite Kriminelle bevölkern Literatur und Populärkultur. Holzbein, Kopftuch und Papagei als Requisiten, auf die ihre Darstellung oft reduziert wird, überdecken jedoch die Vielschichtigkeit der Figur. Denn hinter ihrer Darstellung verstecken sich häufig gegensätzliche Auffassungen von nationaler, kultureller und geschlechterspezifischer Identität. Daher wird die Figur des Piraten nun in einem Projekt am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien einer genaueren literarischen Betrachtung unterzogen.
Vogelfrei wie Jack Sparrow
Das Projekt nimmt die Situation zur Hochblüte der Piraterie im späten 17. Jahrhundert als Ausgangspunkt der Betrachtung – eine Zeit also, als die politische und gesellschaftliche Situation der europäischen Kolonialmächte und der künftigen Vereinigten Staaten von großen Umbrüchen und Krisen gekennzeichnet war. Alexandra Ganser, Projektleiterin, dazu: "Zu dieser Zeit war der Pirat juristisch gesehen ein für nationale Gesetzgebungen nicht greifbares Subjekt, ein Gesetzloser. Diese Sonderstellung machte ihn gerade in der Zeit neu entdeckter und heiß umkämpfter Territorien und Kolonien zu einer beliebten Figur. Sein Geist wurde gerne heraufbeschworen, um eigene Vorstellungen der Rechtmäßigkeit von Besitztümern, Territorien und deren Bevölkerungen zu rechtfertigen."
Im Rahmen des Projekts wird nun untersucht, wie in der Piratenliteratur große politisch-gesellschaftliche Krisenszenarien diskutiert werden. Eine erste ist die Entdeckung Amerikas selbst: Die Literatur um 1700 stellt Piraten oft als Entdecker und ihre Plünderungen als wertvolle Beiträge für die europäische Wissenshoheit dar. Die Krise der Lösung von der britischen Krone bis hin zur Unabhängigkeitserklärung spiegelt sich auch in der Darstellung von Piraten als heroische patriotische Kämpfer wider, einem weiteren Schwerpunkt der Untersuchung.
Negativ assoziiert wurde der Pirat hingegen zum Beispiel in der Darstellung Englands als Pirat, der Amerika dessen natürliches Recht der Unabhängigkeit zu verweigern versucht. Die nun begonnene Studie soll herausarbeiten, wie dabei die Piratenfigur zur Untermauerung und Legitimierung der jeweils eigenen politischen Gesinnung dient. Zusätzlich wird in dem Projekt auch eine Brücke zur Gegenwart geschlagen: So soll aufgezeigt werden, wie Piraterie beispielsweise mit Fragen des intellektuellen Besitzes und Urheberrechtsverletzungen verknüpft wird oder mit unkonventionell agierenden politischen Parteien.
Gegen den Strom
Die methodische Herangehensweise, das sogenannte "kontrapunktische" Lesen ermöglicht Ganser dabei ein Lesen gegen den Strom. So können vorherrschende Ideologien sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig zeigt die Methode auch die Vielstimmigkeit der Texte. "Für manche Kritikerinnen und Kritiker wird der Pirat zum exzessiven Big Spender, durstig nach Profit und damit zum prototypischen Kapitalisten und Kolonialherren. Andere Denkschulen stellen den Piraten als Verfechter alternativer Lebensentwürfe und radikaler Demokratie und Gleichheit dar. Piratengemeinschaften werden dabei als Mikrogesellschaften gesehen, wo ethnische, soziale und Geschlechtsunterschiede als unwichtig erachtet werden", so Ganser.
Das FWF-Projekt zeigt, wie geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung es erlaubt, verborgene Geisteshaltungen hinter als bekannt erachteten Texten und Figuren zu entschlüsseln und einzuordnen. Die vielschichtige Bedeutung solcher Texte für die Bildung eines nationalen und kulturellen Zugehörigkeitsgefühls wird dabei aufgezeigt.
Zur Person
Alexandra Ganser-Blumenau forscht am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien. 2014 erhielt die Wissenschafterin ein Stipendium aus dem Elise-Richter-Programm des FWF, mit dem sie ihr Projekt "Crisis and Discourses of (Il)Legitimacy in American Narratives of Piracy, 1678-1865" durchführt.
Das Grundlagenprojekt nimmt die Situation zur Hochblüte der Piraterie im späten 17. Jahrhundert als Ausgangspunkt der Betrachtung – als die politische und gesellschaftliche Situation der europäischen Kolonialmächte und der künftigen Vereinigten Staaten von großen Umbrüchen und Krisen gekennzeichnet war.