Die nĂ€chste industrielle Revolution ist da. Was bedeutet das fĂŒr Ăsterreich?

Die Digitalisierung hat lĂ€ngst alle Lebensbereiche erfasst und unseren Alltag grundlegend verĂ€ndert. Eine von vielen erwartete ökonomische Krise, ausgelöst durch den Einsatz von Maschinen, die ArbeitsplĂ€tze verdrĂ€ngen, ist zwar bislang weitgehend ausgeblieben, doch die nĂ€chste UmwĂ€lzung steht bereits bevor. Miteinander kommunizierenden, sogenannten smarten Maschinen wird prophezeit, fĂŒr einen noch tiefer greifenden gesellschaftlichen Wandel zu sorgen. Wie dieser aussehen könnte und was das fĂŒr ein Land wie Ăsterreich bedeutet, untersucht ein Team um den Ăkonomen Heinz Dieter Kurz in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt.
Technologien mit enormen Auswirkungen
âDie neuen Informations- und Kommunikationstechnologien werden zu den sogenannten General Purpose Technologies gezĂ€hlt, also Technologien mit allgemeiner Anwendbarkeit â, erklĂ€rt Projektleiter Kurz. Historische Beispiele sind das Rad, die Dampfmaschine oder die ElektrizitĂ€t. âSie sind dadurch charakterisiert, dass sie die FĂ€higkeit haben, die ArbeitsproduktivitĂ€t sehr stark zu erhöhen, und dass sie einen sehr breiten Anwendungsbereich haben. Das heiĂt, sie betreffen das gesamte ökonomische und soziale System. Ein anderes Merkmal ist, dass sie ein groĂes Potenzial fĂŒr weitere technologische Erfindungen aufweisen.â Solche Technologien, kurz GPT genannt, haben enorme Auswirkungen, sagt Kurz: âDas betrifft die Ăkonomie insgesamt und damit auch die Strukturen, die in ihr herrschen.â Ein eindimensionaler Zugang zu solchen tiefgreifenden Entwicklungen genĂŒgt also nicht. âWir nĂŒtzen multiple Methoden. Die Fragestellung ist weder rein technisch noch rein ökonomisch, sondern hat sozioökonomische und kulturelle Aspekte. Diese Technologien wĂ€lzen das gesamte System um, da bleibt kein Stein auf dem anderenâ, betont der Forscher.
Altes Wissen wird verdrÀngt
Kurz spricht in diesem Zusammenhang von âschöpferischer Zerstörungâ. âDer Begriff stammt vom groĂen Ăkonomen Joseph Schumpeter. Er hat eine Zeitlang in Graz gelehrt, war in Ăsterreich Finanzminister, bevor er schlieĂlich an die Harvard University gegangen ist. Er war mitverantwortlich dafĂŒr, dass Harvard in den Wirtschaftswissenschaften zu Weltruhm gelangt istâ, erklĂ€rt Kurz. Mit dem Begriff sei gemeint, dass neues Wissen, das sich in gewissen Produkten materialisiert, nicht einfach an die Seite des alten tritt, sondern das alte verdrĂ€ngt. âSolche Ereignisse sind in der Regel nicht fĂŒr alle Personen der Gesellschaft von Vorteil, sondern nur fĂŒr einige, wĂ€hrend sie möglicherweise fĂŒr andere von groĂem Nachteil sindâ, erklĂ€rt der Forscher. An der aktuellen Entwicklung der IT-Branche ist das laut Kurz gut sichtbar. Er weist auf die wichtige Rolle hin, welche die Politik hier spielt: âDas Internet und viele andere der heute wichtigen Technologien im Informations- und Kommunikationssektor sind ursprĂŒnglich durch staatliche Förderungen entstanden.â Die Politik könne also durchaus eingreifen und quasi die Rolle eines Unternehmers einnehmen.
Auswirkungen auf Ăsterreich
Kurz und sein Team nutzen unter anderem netzwerkanalytische Instrumente und modellbasierte empirische Analysen, um herauszufinden, wie Ăsterreich auf die VerĂ€nderung reagieren kann. Ergebnisse legen nahe, dass Ăsterreich, was die TransformationskapazitĂ€t in Bezug auf die digitale Revolution betrifft, im internationalen Vergleich im stĂ€rkeren Mittelfeld liegt. FederfĂŒhrend sind jedoch andere LĂ€nder: âDas Besondere an diesen Technologien ist, dass mittlerweile fast monopolartige Institutionen in den USA, aber inzwischen auch in China entstanden sindâ, berichtet Kurz. Ein kleines, wissensbasiertes Land wie Ăsterreich könne hier, abgesehen vom Besetzen von Nischen, nicht viel tun. âHierzulande wird kein Gigant der Informations- und Kommunikationstechnologie entstehenâ, so der Forscher, der betont, dass Ăhnliches auch fĂŒr Europa als Ganzes gelte. âDie EU versucht hier mit VerspĂ€tung, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Es ist fraglich, ob die Kosten des Aufbaus einer eigenen IT-Industrie nicht möglicherweise zu groĂ sind.â In einzelnen Bereichen, beispielsweise in der Entwicklung mikro- und nanoelektronischer Komponenten und Systeme ist Ăsterreich sehr stark in das europĂ€ische Forschungsnetzwerk ECSEL eingebunden. Hier kann Ăsterreich eine wichtige Rolle spielen. Zentral ist jedoch eine Strategie der Politik. âEs gibt eine Polarisierungshypothese, dass höher qualifizierte ArbeitskrĂ€fte ihre Chancen auĂerordentlich verbessern können, wenn sie imstande sind, mit den neuen Technologien umzugehenâ, sagt Kurz. Routinearbeiten wĂŒrden durch KĂŒnstliche Intelligenz immer stĂ€rker wegrationalisiert, wenngleich dieser Effekt bisher in Ăsterreich nicht so stark sei, wie man das vermutet habe. âDoch das kann sich sehr schnell Ă€ndernâ, gibt der Forscher zu bedenken.
Fehler haben langfristige Folgen
Heinz Kurz fordert, dass die Politik die unternehmerische Rolle des Staates wahrnimmt: âMein persönlicher Eindruck ist, dass Ăsterreich da allerhand verschlĂ€ft.â Es sei eine Segregation in der Gesellschaft zu befĂŒrchten, wie es sie noch nie gegeben hat. Kurz fordert fĂŒr Schulen die Bereitstellung der Hardware und eine StĂ€rkung der digitalen Bildung: âIch kenne etliche Familien mit mehreren Kindern, die verfĂŒgen nur ĂŒber einen Computerâ, erzĂ€hlt Kurz. Die Pandemie zeige das Problem besonders drastisch auf, wenn es darum geht, diese Kinder im Homeschooling zu unterrichten. Corona beschleunigt das Auseinanderdriften in der Bildung. âDas hat langfristige Folgen, die kaum absehbar sind.â Bisher sind die Probleme noch nicht akut. âGröĂere Arbeitslosigkeit, die durch technische Neuerungen bedingt wĂ€re, sieht man bislang nichtâ, bestĂ€tigt der Ăkonom. Dennoch drĂ€nge die Zeit. âEs wird zur Freisetzung von ArbeitskrĂ€ften kommen. Die Frage ist, wie viele neue Jobs entstehen werden. Und das wird wesentlich von der Wirtschaftspolitik abhĂ€ngenâ, prophezeit der Forscher.
Zur Person Heinz Dieter Kurz ist Ăkonom und ehemaliger Leiter des von ihm gegrĂŒndeten Schumpeter-Zentrums an der UniversitĂ€t Graz. Der vielfach international ausgezeichnete Forscher interessiert sich fĂŒr ökonomische Theorie, aber auch die Geschichte des ökonomischen Denkens. Er ist Autor zahlreicher FachbĂŒcher und populĂ€rer Schriften ĂŒber Ăkonomie und schreibt fĂŒr renommierte Tageszeitungen. Das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Forschungsprojekt âWie smarte Maschinen Ăsterreichs Wirtschaft verĂ€ndernâ wird mit rund 400.000 Euro gefördert und lĂ€uft noch bis April 2021.
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