Schweine sind nicht nur klug, sie mögen auch NĂ€he und BerĂŒhrung. Im Clever Pig Lab an der Forschungsstation Haidlhof können sie ihr natĂŒrliches soziales Verhalten in der freien Natur ausleben. © Ariane Veit

Jedes Mal, wenn Bello die Pfote gibt, bekommt er ein Leckerli. Da spielt er endlos lange mit. HĂŒndin Luna beobachtet das. Auch sie gibt die Pfote, allerdings ohne dafĂŒr belohnt zu werden. Luna durchschaut das unfaire Spiel rasch, sie fĂŒhlt sich benachteiligt und macht nicht mehr mit. Solche Experimente werden am Wiener Messerli Forschungsinstitut im „Clever Dog Lab“ durchgefĂŒhrt. Biolog:innen beobachten dort neben Hunden auch Kakadus, Bergpapageien und frei lebende Schweine in ihrem Verhalten.

Dass Tiere intelligent sind, ist lĂ€ngst bekannt. Nicht nur unsere nĂ€chsten Verwandten, die Menschenaffen, sondern auch Delfine, Wale oder Vögel sind Ă€ußerst klug. Selbst die wirbellosen Tintenfische können komplexe Probleme lösen. Gerade erst haben Forschende eine mögliche ErklĂ€rung dafĂŒr gefunden, wie sich die Intelligenz der KopffĂŒĂŸer entwickeln konnte. Es sind zum Teil erstaunliche Erkenntnisse, die die Wissenschaft seit den 90er-Jahren hervorgebracht hat. – Seit die Erforschung der sozialen Intelligenz von Nicht-Primaten an Fahrt aufgenommen hat. Tiere sind nicht nur intelligent, sie fĂŒhlen und kooperieren, sie trauern, streiten und haben einen Gerechtigkeitssinn, wie das Beispiel von Bello und Luna zeigt.

Die Sicht der Ethik

Was heißt das nun fĂŒr die Beziehung von Mensch und Tier und insbesondere fĂŒr das Selbstbild des Menschen als Krone der Evolution? Hier kommen Philosoph:innen wie Judith Benz-Schwarzburg ins Spiel. Die Wissenschaftlerin hat sich auf Tierethik spezialisiert und stellt sich die Frage: Was ist, wenn Tiere so etwas wie MoralfĂ€higkeit besitzen und warum ist das aus ethischer Sicht relevant? Hier ergĂ€nzt ihre Forschung die Arbeit der Kognitions- und Verhaltensforscher:innen am Messerli Forschungsinstitut fĂŒr Mensch-Tier-Beziehungen an der VeterinĂ€rmedizinischen UniversitĂ€t Wien. In einem aktuellen Forschungsprojekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, versucht ein Team unter ihrer Leitung zunĂ€chst den Charakter und die soziokognitiven Voraussetzungen moralischen Verhaltens bei Tieren nĂ€her zu bestimmen, um dann nach den ethischen Folgen zu fragen.

Empathie als moralische Emotion

In philosophischen Debatten zur MoralfĂ€higkeit bei Tieren rĂŒckt die Rolle der Emotionen in den Fokus. „Es gibt einen jahrhundertelangen Streit in der Philosophie, ob wir die RationalitĂ€t oder mehr die EmotionalitĂ€t betonen sollen“, erzĂ€hlt Benz-Schwarzburg. Rationalistisch geprĂ€gte Philosophen von Aristoteles ĂŒber Kant sahen nur den Menschen als moralisches Subjekt an, weil er die GrĂŒnde seines Handelns reflektieren kann und verantwortungsfĂ€hig ist. Das unterscheide ihn vom Tier.

„Wir gehen aber davon aus, dass moralisches Verhalten gar nicht so viel mit intellektueller Reflexion zu tun hat, sondern stark auf Emotionen basiert. Eine solche moralische Emotion ist etwa Empathie“, sagt Benz-Schwarzburg. Das bedeutet: Ein Tier, das aufgrund von Empathie handelt, ist hinreichend moralisch motiviert, um die Aussage treffen zu können, es handle moralisch. „Wir brauchen diese Beschreibung, um auch weite Teile von moralischer Interaktion zwischen Menschen zu erklĂ€ren, nicht nur bei kleinen Kindern und Heranwachsenden, wo es Abstufungen in der MoralfĂ€higkeit gibt, sondern auch bei Erwachsenen“, erklĂ€rt die Philosophin. Denn oft reflektieren wir nicht ĂŒber die GrĂŒnde unseres Verhaltens, handeln aber trotzdem moralisch: Wenn sich jemand spontan hilfsbereit zeigt, wenn man sich fĂŒr einen anderen freut oder im Extremfall ein ertrinkendes Kind rettet – ohne lange nachzudenken, ob und warum das gut und richtig ist.

NatĂŒrliches soziales Verhalten

ZurĂŒck ins Messerli-Institut und dieses Mal in das „Clever Pig Lab“ in Niederösterreich, wo bisher noch neuseelĂ€ndische Hausschweine auf einem mehrere Hektar großen GelĂ€nde frei leben – sie ĂŒbersiedeln demnĂ€chst in ein neues Zuhause. Dort lĂ€sst sich das ausgeprĂ€gte Sozialverhalten der Tiere gut beobachten. Schweine leben in Gruppen, sie berĂŒhren sich gerne, sind Ă€ußerst neugierig und kommunizieren stĂ€ndig. Der Bedeutung von BerĂŒhrung und FĂŒrsorge rĂ€umt die Doktorandin im Projekt, Birte Wrage, ĂŒbrigens eine besondere Rolle ein, die bisher in der Forschung noch nicht berĂŒcksichtigt wurde.

Die Philosophin Judith Benz-Schwarzburg forscht zur Frage, ob Tiere moralfĂ€hig sind und was das fĂŒr die Mensch-Tier-Beziehung bedeuten wĂŒrde. Hier ist sie bei den neuseelĂ€ndischen Kunekune-Schweinen im Clever Pig Lab in Niederösterreich zu Besuch. © Susana MonsĂł

Werden Schweine als Nutztiere gehalten, können sie ihr natĂŒrliches soziales Verhalten oft nicht mehr ausleben. Muttertiere werden unter anderem von ihren Ferkeln abgetrennt. Das stresst nicht nur die Tiere selbst, sie spĂŒren auch den Stress ihrer Artgenossen. Doch abgeschottet voneinander haben sie keine Möglichkeit, sich gegenseitig zu trösten. Um die Bedeutung solcher (gestörter) Interkationen von Tieren zu verstehen, stĂŒtzen sich Benz-Schwarzburg und ihr Team auf bereits bestehende ethische Theorien wie den von der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum entwickelten FĂ€higkeitenansatz. Dieser stellt FĂ€higkeiten wie beispielsweise Empathie in den Mittelpunkt der Idee eines gerechten, guten und gedeihenden Lebens – Konzepte, die sich auch auf Tiere ĂŒbertragen lassen.

FĂŒrsorge als Grundlage von MoralfĂ€higkeit

Wie auch die Menschen ĂŒben Tiere im Laufe ihrer Sozialisation richtiges Handeln in bestimmten Situationen. Aber auch im Individuum selbst gibt es diese Motivationsebene. Das ist aus Versuchen bekannt, wo bei Tieren gezielt die im Gehirn verortete EmpathiefĂ€higkeit „ausgeschaltet“ wurde. Können Menschen wie Tiere ihr normales soziales Verhalten nicht ausleben, verlieren sie ihre moralischen FĂ€higkeiten, sie werden aggressiv und asozial. Auch die FĂŒrsorgeethik, eine feministisch inspirierte Theorie, auf die sich Benz-Schwarzburg und Wrage ebenfalls beziehen, rĂŒckt deshalb die Aspekte des FĂŒr-einander-Daseins und insbesondere der Mutter-Kind-Beziehung als Grundlage von MoralfĂ€higkeit in den Mittelpunkt. Das aber stellt das VerhĂ€ltnis von Mensch und Tier vor ein Problem.

Soziale FÀhigkeiten von Tieren unterschÀtzt

Der Mensch hindert Tiere in vielerlei Hinsicht daran, ihre auf FĂŒrsorge aufbauenden moralischen Verhaltensweisen zu leben. „Nutztiere werden oft umgruppiert, da gehen nicht nur familiĂ€re Beziehungen verloren, sondern auch Freundschaften. Das spielt fĂŒr Tiere eine wichtige Rolle“, sagt Benz-Schwarzburg und ergĂ€nzt: „Wir wissen empirisch heute immer mehr, zum Beispiel, dass auch Ratten MitgefĂŒhl haben und Schweine in manchen kognitiven und emotionalen FĂ€higkeiten mit Hunden vergleichbar sind. Das zeigt, dass wir die komplexen sozialen FĂ€higkeiten von Tieren viel zu lange unterschĂ€tzt haben.“ Nicht zuletzt stellt das die Menschen mit ihrem Anspruch auf moralische Überlegenheit vor unangenehme Fragen zur Umgangsweise mit Tieren. „Es gibt viele Kontexte, die wir ignorieren und romantisieren“, bestĂ€tigt die Philosophin. Sie nennt die Heimtier- und Zootierhaltung als Beispiele. Was die Ethik dabei leisten kann? „Wir können ein Licht darauf werfen, wo fĂŒr selbstverstĂ€ndlich gehaltene Interaktionsformen brĂŒchig werden und aufzeigen, warum dies so ist.“

Es lĂ€sst sich erahnen, dass die Forschung in der Zukunft noch viel neues Wissen zutage fördern wird, was die Beziehung von Mensch und Tier grundlegend verĂ€ndern könnte. Ein breiter interdisziplinĂ€rer Diskurs kann dazu beitragen herauszufinden, welche Rechte, die wir Menschen zusprechen, auch fĂŒr Tiere relevant wĂ€ren.


Zur Person

Die Projektleiterin Judith Benz-Schwarzburg forscht in der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut der VeterinĂ€rmedizinischen UniversitĂ€t Wien, an der UniversitĂ€t Wien und der Medizinischen UniversitĂ€t Wien. Sie hat an der UniversitĂ€t TĂŒbingen in Philosophie promoviert und beschĂ€ftigt sich mit den soziokognitiven FĂ€higkeiten bei Tieren und ihrer Relevanz fĂŒr Tierethik und Tierschutz. Das Projekt „MoralfĂ€higkeit bei Tieren“ (2018–2023) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 400.000 Euro gefördert.


Publikationen

Wrage B.: Caring animals and care ethics, in: Biology & Philosophy, in Druck

MonsĂł S.: How to Tell If Animals Can Understand Death, in: Erkenntnis 87, 2022

MonsĂł S. & Wrage B.: Tactful animals: How the study of touch can inform the animal morality debate, in: Philosophical Psychology, 34 (1), 2020

MonsĂł S., Benz-Schwarzburg J., Bremhorst A.: Animal Morality: What it Means and Why it Matters, in: Journal of Ethics 22(3), 2018