Der kleine Virenanteil wurde daraufhin in einem sogenannten Anreicherungsverfahren konzentriert und isoliert. Wieder wurde diese angereicherte Viren-RNA mit bekannten Sequenzen in einer Datenbank abgeglichen, um sie wie bei einem Puzzle zu einem möglichst großen Anteil eines Genoms zusammenzusetzen. Eine Positivkontrolle zeigte, dass das Verfahren grundsätzlich funktioniert: Von einer nicht historischen Probe eines Masern-Krankheitserregers, einem RNA-Virus, konnten auf diese Weise zwei Drittel des Genoms rekonstruiert werden, beim DNA-Virus Mpox, den früheren „Affenpocken“, gelang dies sogar für die gesamte Erbinformation.
RNA-Nadel im DNA-Heuhaufen
Das Ergebnis aus den knapp 100 Proben zeigte, wie viel Glück es braucht, rekonstruierbare RNA-Fragmente zu finden. „Es wurden RNA-Viren gefunden, die Bakterien infizieren, sogenannte Bakteriophagen, die aber für die Forschungsfrage wenig relevant sind. Manche Ergebnisse waren zudem wenig vertrauenswürdig und mutmaßlich falsch positive Befunde“, zählt Kuhlwilm auf. „Was wir dagegen mit hoher Sicherheit identifizieren konnten, ist ein mit den Masern verwandter Erreger: das sogenannte Hundestaupevirus, das üblicherweise Katzen und Hunde befällt. Doch auch hier gab es nur einige Fragmente, die insgesamt lediglich ein Prozent des Virengenoms ausmachen.“
Doch auch DNA-Viren wurden nur in einer Handvoll Proben gefunden. Für Kuhlwilm zeigen die Ergebnisse, dass Museumsproben nur bedingt gute Ziele für die Suche nach RNA-Viren sind. „Viele der alten Präparate stammen nicht aus der Wildnis, sondern aus Zoos. RNA lässt sich am besten aus Fellen extrahieren, gerade diese Objekte sind eher selten vorhanden im Vergleich zu Knochen“, erklärt der Wissenschaftler. Es bräuchte wohl ein Screening mit viel mehr und noch gezielter ausgewählten Proben, um die Erfolgschancen zu erhöhen – eine Aufgabe für etwaige zukünftige Forschungsprojekte.
In den Wissenschaften ist es sehr oft so, dass man zwar nach einer Sache sucht, zufällig aber eine ganz andere findet. So auch hier. Denn ein Forschungsergebnis aus dem Projekt liefert überraschenderweise Einblicke in die Herkunft von Museumspräparaten. „Bei einem beprobten Objekt eines Orang-Utans aus einem Bonner Museum konnte die DNA eines Mpox-Virus gefunden werden“, erzählt Kuhlwilm. „Die Datenbankdaten verwiesen eigentlich auf ein Wildtier, wir konnten aber rekonstruieren, dass das Tier im Zuge eines Mpox-Ausbruchs starb, der Mitte der 1960er-Jahre im Rotterdamer Zoo den Bestand dezimierte.“ Der Fund zeigt, dass bei den Museumsproben grundsätzlich Potenzial für die Untersuchung der Virenevolution vorhanden ist. Immerhin waren nicht menschliche Primaten in Gefangenschaft schon mehrmals Ausgangspunkt von Krankheiten, die auf Menschen übergriffen.