Skull of an orangutan in the Museum Koenig Bonn
Schädel eines Orangutans im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig Bonn, aus dem ein Mpox-Genom gewonnen werden konnte. © Olivia Cheronet

Im Licht der vergangenen Covid-19-Pandemie ist es von großem Interesse, die Evolution von Krankheitserregern besser zu verstehen – gerade von solchen, die potenziell sowohl Tiere als auch Menschen befallen. Könnte man die Erbinformation von historischen, vielleicht 100 Jahre alten Coronaviren aus einem nahen tierischen Verwandten des Menschen untersuchen, wäre das hinsichtlich der Mutationsraten und Anpassungsstrategien des Virus, seines Gefahrenpotenzials und der Wahrscheinlichkeit für weitere Übersprünge auf den Menschen extrem aufschlussreich.

Coronaviren speichern ihre Erbinformation jedoch nicht in einer DNA, wie das etwa in menschlichen Zellen der Fall ist. Wie viele andere Viren basieren sie auf den viel instabileren RNA-Molekülketten, die beispielsweise für die Umsetzung genetischer Informationen in Organismen wichtig sind. Im Vergleich zur DNA ist es sehr viel schwieriger, RNA-Fragmente in historischen, lange konservierten Proben zu finden. Ein Forschungsteam rund um Martin Kuhlwilm vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien wagte sich an das schwierige Unterfangen. Die Forschenden testeten einen neuen systematischen Ansatz für dieses Problem.

In einem Projekt, das im Rahmen des 1000-Ideen-Programms des Wissenschaftsfonds FWF gefördert wurde, konzentrierten sich die Wissenschaftler:innen auf Museumsobjekte von Menschenaffen. Bei den nächsten evolutionären Verwandten ist die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen – Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragbar sind – besonders hoch. Felle, Schädel und chemisch konservierte Präparate, die aus den vergangenen 100 Jahren stammen, wurden auf virale Rückstände untersucht. Dabei war das Ergebnis zwar nicht ganz wie erhofft, führte aber durchaus zu Überraschungen.

1000-Ideen-Programm für risikoreiche Forschung

RNA besteht – anders als die DNA-Doppelhelix – oft nur aus einem Basenstrang und weist auch sonst chemische Unterschiede auf. Ihr instabiler Charakter führt nicht nur dazu, dass RNA-Viren sehr hohe Mutationsraten aufweisen und sich deshalb schnell an neue Wirte anpassen können. Im Gegensatz zur stabileren und langsam mutierenden DNA zerfällt die RNA auch sehr viel schneller. „Unser Ansatz war doppelt riskant. Nicht nur die Zerfallsraten der RNA-Rückstände machten das Unterfangen schwierig. Es war auch nicht klar, ob die Tiere, deren Überreste wir untersuchten, überhaupt von RNA-Viren befallen waren“, resümiert Kuhlwilm. Das 1000-Ideen-Programm, das besonders unkonventionelle, kreative und riskante Ansätze im Bereich der Grundlagenforschung unterstützt, war dafür also das richtige Förderinstrument.

Hoffnung gab, dass zuletzt die Erfolgsmeldungen zu isolierter RNA aus historischen Proben häufiger wurden. So konnten etwa einer Studie zufolge RNA-Moleküle des Tasmanischen Tigers in historischen Proben nachgewiesen werden – eine Spezies, deren letztes bekanntes Exemplar 1936 starb. Historische Viren mit dem stabileren DNA-Genom, etwa frühere Varianten von Adeno- oder Poxviren, sind im Vergleich dazu ungleich öfter nachweisbar.

Die Postdoktorandin Sojung Han bei der Probenentnahme im Anthropologischen Museum Zürich.
Die Postdoktorandin Sojung Han bei der Probenentnahme im Anthropologischen Museum Zürich. © Sojung Han

Proben aus Museen in Österreich, Deutschland und der Schweiz

Insgesamt untersuchten Kuhlwilm und Kolleg:innen an die 100 Proben von Museumsobjekten, die von Menschenaffen stammen. Sie kamen neben Museen in Frankfurt und Zürich auch aus der pathologisch-anatomischen Sammlung im Wiener Narrenturm, dem Naturhistorischen Museum Wien und einer eigenen Sammlung der Universität Wien. Neben Fellen und Schädeln beprobte man auch Formalin- und Ethanolpräparate, und sogar solche, die in unbekannten Lösungen konserviert sind.

Das Gewebe wurde homogenisiert und in Lösung gebracht, die in den Proben oft millionenfach vorhandenen RNA- und DNA-Fragmente wurden sequenziert, um sie anhand von spezialisierten Datenbanken bestimmen zu können. „Bei einem Schimpansen stammen bestenfalls etwa 30 Prozent der Fragmente von dem Tier selbst, einige Prozent von Bakterien, ein großer Teil ist nicht zuordenbar und meist ist deutlich weniger als ein Prozent auf Viren zurückführbar“, gibt Kuhlwilm ein Beispiel für ein typisches Ergebnis.

Schimpansenfell liegt ausgebreitet auf einem Tisch
Fell eines Schimpansen im Naturhistorischen Museum Wien von dem eine Probe entnommen wurde. © Sojung Han

Der kleine Virenanteil wurde daraufhin in einem sogenannten Anreicherungsverfahren konzentriert und isoliert. Wieder wurde diese angereicherte Viren-RNA mit bekannten Sequenzen in einer Datenbank abgeglichen, um sie wie bei einem Puzzle zu einem möglichst großen Anteil eines Genoms zusammenzusetzen. Eine Positivkontrolle zeigte, dass das Verfahren grundsätzlich funktioniert: Von einer nicht historischen Probe eines Masern-Krankheitserregers, einem RNA-Virus, konnten auf diese Weise zwei Drittel des Genoms rekonstruiert werden, beim DNA-Virus Mpox, den früheren „Affenpocken“, gelang dies sogar für die gesamte Erbinformation.

RNA-Nadel im DNA-Heuhaufen

Das Ergebnis aus den knapp 100 Proben zeigte, wie viel Glück es braucht, rekonstruierbare RNA-Fragmente zu finden. „Es wurden RNA-Viren gefunden, die Bakterien infizieren, sogenannte Bakteriophagen, die aber für die Forschungsfrage wenig relevant sind. Manche Ergebnisse waren zudem wenig vertrauenswürdig und mutmaßlich falsch positive Befunde“, zählt Kuhlwilm auf. „Was wir dagegen mit hoher Sicherheit identifizieren konnten, ist ein mit den Masern verwandter Erreger: das sogenannte Hundestaupevirus, das üblicherweise Katzen und Hunde befällt. Doch auch hier gab es nur einige Fragmente, die insgesamt lediglich ein Prozent des Virengenoms ausmachen.“

Doch auch DNA-Viren wurden nur in einer Handvoll Proben gefunden. Für Kuhlwilm zeigen die Ergebnisse, dass Museumsproben nur bedingt gute Ziele für die Suche nach RNA-Viren sind. „Viele der alten Präparate stammen nicht aus der Wildnis, sondern aus Zoos. RNA lässt sich am besten aus Fellen extrahieren, gerade diese Objekte sind eher selten vorhanden im Vergleich zu Knochen“, erklärt der Wissenschaftler. Es bräuchte wohl ein Screening mit viel mehr und noch gezielter ausgewählten Proben, um die Erfolgschancen zu erhöhen – eine Aufgabe für etwaige zukünftige Forschungsprojekte.

In den Wissenschaften ist es sehr oft so, dass man zwar nach einer Sache sucht, zufällig aber eine ganz andere findet. So auch hier. Denn ein Forschungsergebnis aus dem Projekt liefert überraschenderweise Einblicke in die Herkunft von Museumspräparaten. „Bei einem beprobten Objekt eines Orang-Utans aus einem Bonner Museum konnte die DNA eines Mpox-Virus gefunden werden“, erzählt Kuhlwilm. „Die Datenbankdaten verwiesen eigentlich auf ein Wildtier, wir konnten aber rekonstruieren, dass das Tier im Zuge eines Mpox-Ausbruchs starb, der Mitte der 1960er-Jahre im Rotterdamer Zoo den Bestand dezimierte.“ Der Fund zeigt, dass bei den Museumsproben grundsätzlich Potenzial für die Untersuchung der Virenevolution vorhanden ist. Immerhin waren nicht menschliche Primaten in Gefangenschaft schon mehrmals Ausgangspunkt von Krankheiten, die auf Menschen übergriffen.

Zur Person

Martin Kuhlwilm ist Biologe und Evolutionsanthropologe an der Universität Wien. Bisherige Stationen seiner Karriere sind die Universität Halle-Wittenberg, das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und die Universitat Pompeu Fabra in Barcelona. Seit 2021 leitet er die Arbeitsgruppe „Computational Admixture Genomics Lab“ am Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Das Projekt „Historische Perspektiven zu RNA-Viren in Menschenaffen“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Förderprogramms „1000 Ideen“ mit 153.000 Euro gefördert.

Publikationen

Llanos-Lizcano A., Hämmerle M., Sperduti A. et al: Intra-individual variability in ancient plasmodium DNA recovery highlights need for enhanced sampling, in: Scientific Reports 2025

Hämmerle M., Guellil M., Trgovec-Greif L. et al.: Screening great ape museum specimens for DNA viruses, in: Scientific Reports 2024

Hämmerle M., Rymbekova A., Gelabert P. et al.: Link between Monkeypox Virus Genomes from Museum Specimens and 1965 Zoo Outbreak, in: Emerging Infectious Diseases 2024