Die inneren Uhren von Zellen zurückstellen
Telomere sind sich wiederholende Gensequenzen an den Enden der Chromosomen. Sie schützen den genetischen Code bei der Zellteilung und fungieren als Indikatoren für die Zellalterung. Etwas vereinfacht gesagt: Je öfter sich die Zelle teilt, desto kürzer werden die Telomere. Sind diese verbraucht, geht die Zelle in den kontrollierten Zelltod. Die Telomere sind also vergleichbar mit Uhren, die das Alter der Zelle anzeigen. Ihre Länge ist allerdings nicht nur mit der Anzahl der Zellteilungen, sondern auch mit der Gesundheit des Organismus verknüpft. Eine gesunde Lebensweise geht dabei in der Regel mit langen Telomeren einher. Eine Forschungsgruppe um den Mediziner Markus Laimer hat nun in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt untersucht, wie sich sogenannte „bariatrische“ oder „metabolische“ Operationen, die gegen Übergewicht eingesetzt werden, auf die Länge der Telomere auswirken. Dabei zeigte sich, dass die Zelluhren nicht nur zum Stillstand kommen, sondern zum Teil sogar zurückgestellt werden. Wellenförmiger Prozess Vor einigen Jahren hielt man die Verkürzung der Telomere für einen linearen Prozess, der einfach die Anzahl der Zellteilungen widerspiegele, sagt Markus Laimer: „Es gab die vorherrschende Meinung, dass die Telomere regelmäßig abgeschnitten werden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn sie kurz genug sind, stirbt die Zelle.“ Das stimme so nicht mehr, erklärt der Forscher. „Das Gesamtbild ist viel komplexer, als wir bisher dachten. In den letzten Jahren hat man gesehen, dass das ein mitunter wellenförmiger Prozess ist. Es gibt Hinweise, dass es sich um ein Wechselspiel zwischen Verkürzung und Verlängerung handelt.“ Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass die Telomere bei Anwesenheit bestimmter gesundheitsschädlicher Faktoren verkürzt sein können. Laimer und sein Team konnten diesen Effekt in einer Studie nachweisen, die die Langzeitentwicklung nach bariatrischen Operationen untersucht hat. So nennt man Eingriffe, mit denen starkes Übergewicht bekämpft wird, etwa einen Magenbypass. „Für diese Eingriffe konnten bereits vielfältige positive Effekte auf Erkrankungen im Zusammenhang mit Übergewicht gezeigt werden. Es kommt dabei zu einem starken Gewichtsverlust, speziell in den ersten zwei Jahren“, sagt Laimer. Das gehe mit vielfältigen Effekten auf den Stoffwechsel einher, in Bezug auf Diabetes-Risiko, Blutwerte und Entzündungsneigung. „Diese Effekte scheinen sich auch auf die Telomerlänge auszuwirken“, erklärt Laimer weiter. Insbesondere konnte gezeigt werden, dass die Länge der Telomere nach bariatrischen Operationen zunahm, im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung. Langzeitstudie seit 1998 Die Studie von Laimers Team baut auf zwei Studien anderer Forschungsgruppen auf. Eine davon stammt aus dem Jahr 1998 und hatte das Ziel, die Folgen bariatrischer Operationen im Allgemeinen zu untersuchen. „Es war damals eine sehr weise Entscheidung, die Patientinnen und Patienten langfristig zu verfolgen“, sagt Laimer. Die Telomere seien allerdings nicht die ursprüngliche Motivation gewesen. Die Studie umfasste 142 Patientinnen und Patienten und hatte eine Laufzeit von zehn Jahren. Eine Kontrollgruppe aus unbehandelten übergewichtigen Personen aufzuziehen sei aus ethischen Gründen nicht möglich gewesen, denn solche Menschen nicht zu behandeln ist nicht akzeptabel. Um Vergleichsdaten zu erhalten, hat Laimers Team also die Telomere von normalgewichtigen Personen aus einer anderen laufenden Studie analysiert. Dabei zeigte sich, wie erwartet, eine Abnahme der Telomerlänge im Lauf der Zeit. Zur Untersuchung der Telomere wurden weiße Blutkörperchen beider Vergleichsgruppen entnommen, erklärt Laimers Kollege Andreas Melmer. „Die Methode, die wir verwendeten, heißt Polymerase-Kettenreaktion. Sie ermöglicht es uns, Kopien von Bausätzen für Gene – in diesem Fall der Telomere – herzustellen und zu vermehren. Diese können wir dann zum Leuchten bringen.“ Langfristige Verlängerung der Telomere erstmals gezeigt Neu sei, dass hier erstmals eine Zunahme der Telomerlänge im Zusammenhang mit Gewichtsreduktion gezeigt wurde, erklärt Laimer. Auch Blutfett- und Blutzuckerwerte wurden gemessen. „Es gab Kurzzeitstudien, die eine Verkürzung der Telomere bei Übergewicht zeigten. Bei kurzfristiger Gewichtsabnahme über ein oder zwei Jahre gab es keinen Effekt, ebenso wenig wie bei Gewichtsabnahme-Versuchen mit Medikamenten oder über Ernährungsberatung über einen längeren Zeitraum. Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass bariatrische Operationen, im Gegensatz zu anderen Methoden zur Gewichtsreduktion, die Telomere langfristig beeinflussen, ja, sogar verlängern“, fasst der Forscher die Ergebnisse zusammen. Laimer, der inzwischen von Innsbruck ans Universitätsspital nach Bern gewechselt ist, betont den interdisziplinären Charakter dieser dank FWF-Unterstützung unabhängigen medizinischen Grundlagenstudie und grenzt sie von Modellstudien ab, wie sie etwa an Mäusen durchgeführt werden: „Hier haben wir ein Ergebnis, das wirklich positive Effekte von Maßnahmen gegen Übergewicht an Menschen zeigt.“
Zur Person Markus Laimer ist Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsspital Bern und Dozent an der Universität Bern. Er interessiert sich für Fett- und Glukosestoffwechsel, Diabetes und Adipositas.
Publikationen