Die Hits von morgen schon heute erkennen
Die Auswahl der richtigen Musik fĂŒr den richtigen Zeitpunkt ist eine Kunst. Die DJ-Szene boomt wie nie zuvor, die Aufgabe der DJs wird vielfach als ebenso wichtig wahrgenommen wie die Produktion der Musik, die sie auflegen, viele von ihnen sind Weltstars. Kein Wunder: Noch nie war so viel Musik im Umlauf, noch nie gab es eine solche FĂŒlle an Stilrichtungen und Kombinationen daraus.
Punktgenaue Empfehlungen
FĂŒr elektronische Musikdienste ist das eine Herausforderung: WĂ€hrend klassische Radiosender einfach einen Track nach dem anderen spielen, sollen sie automatisiert Empfehlungen abgeben, welche Musik zu dem eben gehörten Track passt, zu der Person, die zuhört und zum jeweiligen Anlass. Diese FĂ€higkeit ist zum Teil wesentlicher Bestandteil des GeschĂ€ftsmodells: Werbekunden wollen punktgenau ihre Zielgruppe erreichen. Und je besser die Automatik der Empfehlungen funktioniert, desto effektiver kann auch Werbung platziert werden. Bekannt sind solche Methoden der automatisierten Auswahl von Inhalten im Alltag etwa von Youtube oder Amazon, aber auch von Musikdiensten wie Spotify, nach dem Prinzip: Kunden, die A kaufen, kaufen auch B.
Hörverhalten verstehen
Die elektronische Umsetzung der DJ-Kunst ist das Forschungsgebiet von Markus Schedl vom Institut fĂŒr Computational Perception an der Johannes Kepler UniversitĂ€t Linz. In seinem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt erforscht er, wie sich Hörerinnen und Hörer, aber auch MusikstĂŒcke modellieren lassen und wie diese Modelle zur automatisierten Auswahl von Musik verwendet werden können. Es geht dabei nicht allein darum, das aktuelle Hörverhalten richtig zu verstehen. Auch Trends sollen frĂŒhzeitig erkannt werden, um den Hit von morgen im besten Fall vorhersagen zu können.
Social-Media-Daten analysieren
Um mehr ĂŒber das Hörverhalten zu lernen, greift man auf Daten verschiedener Social- Media-Plattformen zurĂŒck, wie etwa Twitter. âTwitter bietet den Service an, ein bis zwei Prozent aller Tweets abzusaugen. Zuerst mĂŒssen wir lernen, welche Tweets Musikhör-Events beinhaltenâ, sagt Schedl. Es werden nur Tweets verwendet, die einen KĂŒnstler- oder Songnamen beinhalten. Zudem ist es wichtig, den Aufenthaltsort der Person zu kennen, das Hörverhalten variiert regional stark. âIn den USA ist das VerhĂ€ltnis zwischen Hiphop und Rock etwa zwei zu eins. In SĂŒdamerika kehrt sich das VerhĂ€ltnis um. Auch manche Klischees bestĂ€tigen sich: Nirgends wird, relativ gesehen, so viel Reggae gehört wie auf Jamaika.â
Die Ergebnisse werden dann mit traditionellen Musik-Charts verglichen. Es zeigt sich, dass in manchen LĂ€ndern das Hörverhalten sehr Ă€hnlich dem weltweiten Durchschnitt ist: In den USA, GroĂbritannien und Griechenland etwa wird von Twitter-Benutzern ĂŒberwiegend Musik gehört, die auch in den globalen Charts ganz oben ist. Pakistan oder Vietnam dagegen bewegen sich weit abseits des Mainstreams. FĂŒr diese Zuordnung sind GPS-Daten in den Tweets essenziell. Ziel der Untersuchung ist dabei nicht nur, die reine Bekanntheit von Songs und Musikgruppen zu bestimmen, sondern eine feinere Unterscheidung zu treffen: Ist ein Song schon lĂ€nger bekannt? Oder ist er âheiĂâ, erreicht also gerade jetzt eine erhöhte Aufmerksamkeit? Auch diese Informationen lassen sich aus Tweets oder Inhalten anderer Online-Plattformen gewinnen. Einige Unternehmen sind bereits auf diese Art von Musik-Klassifizierung spezialisiert.
Kulturdimensionen einbeziehen
Eine weitere aktuelle Frage, mit der sich Computerwissenschafter Schedl befasst, ist der Einfluss kulturwissenschaftlicher Faktoren auf das Hör- und Musiksuchverhalten. Dazu wurden LĂ€nder anhand ihrer âKulturdimensionâ charakterisiert. Eine charakteristische GröĂe ist dort zum Beispiel die âIndulgenceâ, was grob als AffinitĂ€t zu Freizeit und MuĂe ĂŒbersetzt werden kann. "Es zeigte sich, dass solche Menschen, die eher partyfreudig sind und einen positiven Lebensstil haben, einen engeren Musikgeschmack habenâ, so Schedl.
Finden, ohne zu suchen
Ein drittes Projektziel ist die Entwicklung neuer, innovativer Musik-Interfaces. Diese sollen sich prĂ€zise an der Persönlichkeit der jeweiligen Person orientieren: Will diese nur vertraute Musik hören? Oder ist sie experimentierfreudig und offen fĂŒr Neues? Auch der Einsatzzweck ist entscheidend: Wird Musik fĂŒr einen selbst ausgewĂ€hlt oder geht es um eine Wiedergabeliste fĂŒr eine Party? Ein wichtiger Begriff ist hier die âSerendipitĂ€tâ, quasi die Möglichkeit, etwas anderes zu finden, als man eigentlich gesucht hatte. Die Auswahl solcher bisher unbekannter Titel ist eine besondere Herausforderung fĂŒr Methoden zur automatischen Musik-Auswahl. âIn Summe konnten wir mehr als eine Milliarde Listening-Events fĂŒr unsere Forschungen sammeln und analysierenâ, sagt Schedl. âDas ermöglicht uns, detaillierte Benutzerprofile hinsichtlich Faktoren wie Offenheit fĂŒr Neues oder Orientierung am Mainstream zu erstellen.â
GoldgrÀberstimmung
Der Ăberbegriff fĂŒr Forschungen dieser Art lautet âSocial Media Miningâ. âMiningâ steht fĂŒr den Abbau wertvoller Ressourcen. TatsĂ€chlich herrscht in diesem Bereich GoldgrĂ€berstimmung. Fast alle groĂen IT-Konzerne sammeln intensiv Nutzerdaten, allen voran Google und Facebook, aber auch Amazon oder Microsoft. Viel Entwicklungsarbeit in diesem Bereich passiert hinter verschlossenen TĂŒren, viele der Praktiken werden als intransparent, wenn nicht sogar gefĂ€hrlich kritisiert. Ăffentlich finanzierte Grundlagenforschung wie jene von Markus Schedl zeigt die hier vorhandenen Möglichkeiten auf.
Zur Person Markus Schedl ist assoziierter Professor am Institut fĂŒr Computational Perception an der Johannes Kepler UniversitĂ€t Linz (JKU). Er interessiert sich besonders fĂŒr Empfehlungssysteme, Data Mining und Multimedia Retrieval.
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