Hochwasser wie hier zuletzt im Juli 2021 in Salzburg werden vor allem in Nordwesteuropa zunehmen. Sie sind auf globale Änderungen der Wettersysteme zurĂŒckzufĂŒhren, wie aktuelle Datenanalysen internationaler Forschungsnetzwerke zeigen. © Daniel Scharinger / APA / picturedesk.com

Naturkatastrophen nehmen laut gĂ€ngiger Meinung zu. Insbesondere Hochwasser scheinen hĂ€ufiger als frĂŒher aufzutreten und schuld daran ist die AtmosphĂ€re, die wĂ€rmer ist und mehr Wasser aufnehmen kann. Dadurch regnet es stĂ€rker und es kommt zu Überflutungen. So zumindest lautet die populĂ€re ErklĂ€rung fĂŒr die VerĂ€nderungen des Wetters. Doch der Hydrologe GĂŒnter Blöschl widerspricht: „Wenn wir unsere Messdaten anschauen, sehen wir zwar, dass es im Westen Europas tatsĂ€chlich mehr Hochwasser gibt. Doch im Osten Europas, wo Schnee einen wichtigen Einfluss hat, nehmen die Hochwasser eher ab.“ In Wirklichkeit ist die Situation also wie so oft etwas komplizierter. Blöschl will im Rahmen einer Forschungskooperation von Instituten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Licht ins Dunkel bringen. Der Wissenschaftsfonds FWF finanziert dabei den österreichischen Teil des Projekts.

Geschichte der Hochwasser

VerĂ€nderungen in der HĂ€ufigkeit von Hochwassern sind prinzipiell nicht ungewöhnlich. In der Geschichte gab es immer wieder hochwasserreiche und hochwasserarme Zeiten. „Man kann zeigen, dass wir uns derzeit in Mittel- und Nordwesteuropa in einer hochwasserreichen Periode befinden, und es sieht nicht so aus, als ob sie aufhören wĂŒrde.“ Doch ist diese Zunahme der HĂ€ufigkeit vom Menschen verursacht? Um das zu klĂ€ren, betrachtet GĂŒnter Blöschl an der Technischen UniversitĂ€t Wien die natĂŒrlichen Zyklen der HochwasserhĂ€ufigkeit. „DafĂŒr haben wir bereits in frĂŒheren Projekten historische Daten in Europa ausgewertet und die Hochwassergeschichte Europas in den vergangenen 500 Jahren quantitativ dargestellt.“ Der Vergleich sei wichtig, weil vor 500 Jahren der menschliche Einfluss noch zu vernachlĂ€ssigen war.

Die Daten, mit denen Blöschls Team arbeitet, sind dabei sehr heterogen. „Wir haben viele verschiedene Daten aus Fernerkundungsdaten ĂŒber Bodenfeuchte und Schnee. ZusĂ€tzlich haben wir die traditionellen meteorologischen und hydrologischen Daten, die eine viel lĂ€ngere zeitliche Abdeckung haben. Besonders wichtig fĂŒr uns ist die Messung des Wasserstands der FlĂŒsse“, erklĂ€rt der Wasserexperte. Letzteren könne man besonders genau messen.

Regionale Hochwasserperioden (1960–2010): In Blau Regionen mit Anstieg der HochwasserhĂ€ufigkeit, in Rot mit abnehmendem Hochwasser. © TU Wien

ZusĂ€tzlich zu den aktuellen Daten und den Datensammlungen der vergangenen 60 Jahre gibt es aber auch historische Aufzeichnungen, die wichtige Informationen enthalten. Dazu hat Blöschls Gruppe mit einer Historikerin gearbeitet, die in Archiven nach Angaben ĂŒber Hochwasser gesucht hat. „Wir konnten sehen, dass in der Vergangenheit, abgesehen von den vergangenen drei Jahrzehnten, die kalten Perioden die hochwasserreichen waren, nicht die warmen“, berichtet der Forscher.

Blöschl betont, dass die ErwĂ€rmung der AtmosphĂ€re also nicht unmittelbar fĂŒr die Zunahme von Hochwassern verantwortlich ist. Der Effekt, dass die AtmosphĂ€re mehr Wasser aufnimmt, sei real, aber der Einfluss auf die regionalen Hochwasser dennoch gering. Wichtiger sei die VerĂ€nderung der Wettersysteme. „Die Hochwasser, die in Nordwesteuropa zunehmen, etwa in England oder Deutschland, tun das nicht, weil es wĂ€rmer ist, sondern weil Zugbahnen der Wettersysteme, die Hochwasser auslösen, sich weiter in den Norden verschoben haben. Das hĂ€ngt nur Ă€ußerst indirekt mit der Lufttemperatur zusammen“, erklĂ€rt der Hydrologe. Viel stĂ€rker sei der Einfluss der Luftdruckverteilung und die Ausdehnung der RegenfĂ€lle ĂŒber Afrika. „Es ist eher eine globale Änderung der Zirkulationsmuster, die den Unterschied macht“, sagt Blöschl. Diese sei zu einem gewissen Grad durch den Klimawandel bedingt.

KohÀrente Datenbasis

Die Arbeiten des aktuellen FWF-Projekts sind eine Fortsetzung von Arbeiten, die Blöschl in den vergangenen zehn Jahren im Rahmen eines ERC Advanced Grant des EuropĂ€ischen Forschungsrats durchgefĂŒhrt hat. „Wir waren dort in der glĂŒcklichen Situation, dass wir wirklich wissenschaftliches Neuland beschritten haben“, sagt der Forscher. FrĂŒher sei der Stand der Wissenschaft zur VerĂ€nderung der HochwasserhĂ€ufigkeit sehr heterogen gewesen. Sein Team habe erstmals eine konsistente Datenbasis geschaffen. „Der Vorteil dieser kohĂ€renten Datenbasis ist, dass wir nicht einzelne Messstellen herausgreifen, sondern tausende Stationen zusammen betrachten. Und da sind plötzlich, wie von Geisterhand, rĂ€umliche Muster aufgetaucht, die vorher unsichtbar waren“, erzĂ€hlt der Forscher.

Blöschl betont den stark internationalen Charakter dieser Forschungen. Im aktuellen Projekt ist seine Gruppe in Wien fĂŒr die langfristigen Zyklen zustĂ€ndig, die Gruppe in Stuttgart interessiert sich fĂŒr die rĂ€umliche Verteilung, wĂ€hrend man sich in Frankfurt mit atmosphĂ€rischen Fragen und der Kopplung mit dem Ozean beschĂ€ftigt. DarĂŒber hinaus ist Blöschl, der bis vor Kurzem PrĂ€sident der Internationalen Hydrologischen Gesellschaft war, in Kontakt mit Forschungsteams aller europĂ€ischen LĂ€nder. Das Netzwerk sei sehr gut, man stelle sich gegenseitig seine Daten zur VerfĂŒgung. FĂŒr alle sei das Gesamtbild Europas interessant.

Hochwasser nehmen zu

KĂŒnftig wird sich der derzeitige Trend verstĂ€rken. Das kann Blöschl aus seinen Daten mit hoher VerlĂ€sslichkeit schließen. „Österreich liegt im Übergangsbereich zwischen dem Nordwesten und dem SĂŒden von Europa. Wir sind – das ist die gute Nachricht – von Änderungen weniger stark betroffen als beispielsweise England, aber wir sind betroffen“, sagt Blöschl. „Hochwasser werden nördlich des Alpenhauptkamms zunehmen. SĂŒdlich des Alpenhauptkamms, etwa in KĂ€rnten, ist die Situation ungefĂ€hr gleichbleibend.“ In kleineren FlusstĂ€lern abseits von Donau, Salzach oder Drau könne es aber sehr wohl zu starken Zunahmen kommen. Wirklich stark betroffen sind England und die Niederlande. „Das ist der Administration dieser LĂ€nder bekannt“, betont der Forscher. Man bereite sich darauf vor – nicht zuletzt dank der Erkenntnisse der Forschenden um Blöschl und ihres internationalen Kollegiums.


Zur Person

GĂŒnter Blöschl ist Hydrologe und Leiter des Instituts fĂŒr Wasserbau und Ingenieurhydrologie an der Technischen UniversitĂ€t Wien. Er ist Gastprofessor an internationalen UniversitĂ€ten wie der Tsinghua-UniversitĂ€t in Peking und war von 2017 bis 2021 PrĂ€sident der Internationalen Hydrologischen Gesellschaft. Er ist TrĂ€ger zahlreicher Auszeichnungen, zuletzt erhielt er 2018 den Prince Sultan Bin Abdulaziz International Prize for Water. Er interessiert sich fĂŒr die Vorhersage von Hochwasser und DĂŒrren, Skalierungsprobleme und den Einfluss des Klimawandels auf den Wasserkreislauf. Das internationale Projekt „Langfristige VariabilitĂ€t extremer Hochwasserereignisse“ (2020–2023) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 375.000 Euro finanziert.


Publikationen

Bertola M., Viglione A., Vorogushyn S., Lun D., Merz B., Blöschl G.: Do small and large floods have the same drivers of change? A regional attribution analysis in Europe, in: Hydrology and Earth Systems Sciences, Vol. 25, 1347–1364, 2021

Bertola M., Viglione A., Lun D., Hall J., Blöschl G.: Flood trends in Europe: are changes in small and big floods different?, in: Hydrology and Earth Systems Sciences, Vol. 24, 1805–1822, 2020

Doris Duethmann and GĂŒnter Blöschl. Why has catchment evaporation increased in the past 40 years? A data-based study in Austria, in: Hydrology and Earth Systems Sciences, Vol. 22, 5143–5158, 2018

Blöschl G., Hall J., Parajka J., Perdigão R. et al.: Changing climate shifts timing of European floods, in: Science 2017