Austrian Finance Minister Gernot BlĂŒmel presents the draft budget for 2022.
Der damalige Finanzminister Gernot BlĂŒmel prĂ€sentierte im Herbst des Vorjahres den Budgetentwurf fĂŒr 2022. Nach Milliardenhilfspaketen in der Coronapandemie strebt Österreich eine Budgetkonsolidierung an – mit einem Nulldefizit bis 2025. © BKA/Wenzel CC BY 2.0

Das Budget wird gern als „in Zahlen gegossene Politik“ bezeichnet. Es enthĂ€lt die GegenĂŒberstellung erwarteter Einzahlungen und ErtrĂ€ge, wie zum Beispiel aus Steuern, sowie der höchstzulĂ€ssigen Auszahlungen und Aufwendungen, etwa fĂŒr Transferzahlungen und Personal. In Österreich wird der Budgetentwurf traditionell von dem:der Finanzminister:in zu Jahresende fĂŒr das kommende Jahr prĂ€sentiert. Neben Regierung, Nationalrat und BundesprĂ€sident hört seit 2008 auch der Politikwissenschaftler Johannes Karremans genau zu, wie die Einnahmen und Ausgaben gerechtfertigt werden: „Mein Forschungsinteresse ist, wie nationale Regierungen bei immer mehr internationaler wirtschaftlicher Verflechtung auf die AnsprĂŒche ihrer WĂ€hler:innen reagieren und gleichzeitig den Vorgaben internationaler Institutionen wie der EuropĂ€ischen Union gerecht werden können.“ Mit UnterstĂŒtzung des Wissenschaftsfonds FWF hat Karremans fĂŒr den Zeitraum 2008 bis 2020 verglichen, wie sich die Regierungen der EU-Staaten Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien im Budgetdiskurs zwischen den Polen „responsive“ (auf die WĂ€hler:innen) oder „responsible“ (auf die Institutionen) ausgerichtet haben.

Ein bindender Fiskalpakt

Infolge der Finanzkrise hat die EU 2011 bis 2013 die ZĂŒgel angezogen und den Fiskalpakt mit der Auflage einer Schuldenbremse fĂŒr die MitgliedslĂ€nder verabschiedet. Zur Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik wurde 2011 weiters das EuropĂ€ische Semester eingefĂŒhrt, in dem die EuropĂ€ische Kommission zudem die nationalen Haushalts- und Reformprogramme prĂŒft. FĂŒr sein Postdoc-Projekt an der UniversitĂ€t Salzburg formulierte Johannes Karremans die These, dass die neuen Regeln in den LĂ€ndern zu strengeren Steuerregimen und mehr Ausgabendisziplin fĂŒhren wĂŒrden. Folglich hĂ€tten sie nicht die Möglichkeit, „responsive“ zu sein. Österreich und Deutschland gehörten dabei bereits zu den LĂ€ndern, in denen Ausgabendisziplin Teil der Wachstumsstrategie war, wĂ€hrend Italien, Frankreich und Spanien grĂ¶ĂŸere Schwierigkeiten hatten, die Vorgaben einzuhalten.

Die Budgetrede ist kein Debattenbeitrag, sondern eine gut vorbereitete Argumentation, die sich neben dem Parlament auch an die EuropĂ€ische Kommission, die Medien, den Finanzmarkt etc. richtet: „Ich codiere die Budgetreden Satz fĂŒr Satz und kann mit der von mir entwickelten Methode nationale BudgetplĂ€ne vergleichen. Es ist zwar unmöglich zu erfassen, was Regierungen wirklich denken, aber mit meiner Methode kann ich die Kriterien festmachen, nach denen Regierungen ihre Politik vom Parlament bewerten lassen. Die Methode funktioniert ĂŒber den Vergleich“, erlĂ€utert der Politikwissenschaftler. Zudem sieht sich Karremans die Regierungsprogramme an und misst letztlich, wie stark sich eine Regierung im Budgetdiskurs responsive oder responsible ausrichtet.

Erst Disziplin, dann Fokus auf Zufriedenheit

TatsĂ€chlich stellten die Regierungen der fĂŒnf verglichenen LĂ€nder zwischen 2009 und 2013 die fiskalische Disziplin und die Notwendigkeit, Schulden zu reduzieren, in den Mittelpunkt ihrer Rechtfertigungen. Folge dieser Politik war letztlich in allen fĂŒnf LĂ€ndern eine große Unzufriedenheit der WĂ€hler:innenschaft. „Ab 2014 unterscheiden sich die inhaltlichen Motive, aber in allen fĂŒnf LĂ€ndern kommt eine Politik der ResponsivitĂ€t zurĂŒck, jeweils passend zur Parteiideologie. Auch die EuropĂ€ische Kommission rĂŒckt vom AusteritĂ€tsprinzip ab und lockert die Vorgaben zu Staatsausgaben. Mit Corona – Stichwort „Koste es, was es wolle“ – hat sich das ganze Paradigma noch weiter verschoben“, kommentiert der vergleichende Politikwissenschaftler die Entwicklung.

Ein wichtiger Moment im Demokratiezyklus

Mit dem Fokus auf die Budgetrede sieht sich der Wissenschaftler als einziger „diesen Moment zwischen den Wahlen im Zyklus einer Demokratie an, wo sich Regierungen fĂŒr ihre Budgetpolitik rechtfertigen – entweder mit Wahlversprechen oder der Verantwortung fĂŒr den Staatshaushalt. Gemeinsam mit allen anderen wissenschaftlichen Perspektiven machen wir uns so ein Bild von der Demokratie.“ Österreich sieht der Politikwissenschaftler zwischen 2012 und 2018 relativ balanciert, es habe sich auch wĂ€hrend der Eurokrise sowohl an den institutionellen Vorgaben als auch am Wahlvolk orientiert.

„Die Ungleichheit ist in Österreich geringer als in Deutschland. Den Grund dafĂŒr sehe ich im Regierungshandeln wĂ€hrend der Eurokrise, wo ein Ausgleich zwischen Fiskaldisziplin und Aufmerksamkeit fĂŒr soziale Belange verfolgt wurde. In Deutschland war die Haushaltspolitik dagegen zwischen 2009 und 2013 beinahe vollstĂ€ndig von einer Sparpolitik geprĂ€gt und die wachsende Ungleichheit wurde im Haushaltsdiskurs bagatellisiert.“ Binnen zehn Jahren schwenkten alle fĂŒnf untersuchten EU-Staaten um: von der Defizitreduktion fĂŒr robuste FinanzmĂ€rkte, die Ausgaben finanzieren, hin zu einem grĂ¶ĂŸeren Defizit durch Staatsausgaben als Investition in kĂŒnftiges Wachstum. Ein Nebenprodukt dieser Strategie ist, dass sie sich so alle mehr Raum fĂŒr die Einhaltung von Wahlversprechen schaffen.


Zur Person

Johannes Karremans ist Research Fellow am European University Institute in Florenz (Italien). Davor war er als Postdoc am Department fĂŒr Politikwissenschaft der UniversitĂ€t Salzburg und leitete dort das im Rahmen des Lise-Meitner-Programms vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Projekt zum Vergleich der Budgetdiskurse in der Eurozone. Er absolvierte sein PhD-Studium am European University Institute (2017), den Master an der Vrije Universiteit Brussel (2012) und den Bachelor an der VU Amsterdam.


Publikationen

Karremans J.: This Time Wasn’t Different: Responsiveness and Responsibility in the Eurozone between 2007 and 2019, in: Journal of Common Market Studies 2021

Karremans J., Kaltenleithner J.: Is Austrian budgetary policy still “political”? A cross-time comparison of budget speeches, in: Austrian Journal of Political Science, Vol. 50, 2021

Garzia D., Karremans J.: Super Mario 2: comparing the technocrat-led Monti and Draghi governments in Italy, in: Contemporary Italian Politics, Vol. 13, 2021

Karremans J.: Political alternatives under European economic governance: evidence from German budget speeches (2009–2019), in: Journal of European Public Policy, Vol. 28, 2020