Fake News mit Schreibmaschine geschrieben, daneben liegen Sachbücher, im Hintergrund ein TV-Bildschirm
Was brauchen Qualitätsmedien, um in Zeiten von Fake News und sozialen Medien zu den Menschen durchzudringen? Ein Forschungsprojekt hat journalistische Erfolgsmodelle in fünf Ländern untersucht. © Jorge Franganillo/unsplash

Traditionelle Medienhäuser mit ihrem Qualitätsjournalismus sind weltweit unter Druck: Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen saugen auch in Europa immer mehr Werbegelder und Aufmerksamkeit ab, schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Vertrauensprobleme zwischen Medien und Publikum tun ein Übriges. Ein Team von Medienforschenden aus Österreich, Deutschland und der Schweiz hat den deutschsprachigen Medienmarkt im Vergleich mit England und Spanien eingehend untersucht. Herausgearbeitet wurde, wie mediale Innovationen demokratische Strukturen unterstützen können. Nach drei Jahren Forschungsarbeit konnten 100 konkrete Wege zum Ziel in Form von Fallbeispielen in allen fünf Ländern beschrieben und präsentiert werden. Die Ergebnisse wurden soeben in dem Band „Innovations in Journalism“ bei Routledge veröffentlicht.

Zu Projektbeginn 2020 wirkten sich auch im DACH-Raum die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Nachholbedarf bei der Digitalisierung auf die Medien aus. „Der angelsächsische und südeuropäische Raum waren mit diesen Entwicklungen schon viel früher konfrontiert und haben darauf reagiert“, erklärt Andy Kaltenbrunner, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft Medienhaus Wien, der das Projekt gemeinsam mit Matthias Karmasin, Institutsdirektor an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Dekan an der Universität Klagenfurt, leitete. Die Stärke der Studie „Journalism Innovation in Democratic Societies (JoIn-DemoS)“, die neben dem Wissenschaftsfonds FWF auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert wurde, liegt im Vergleich – und somit der Möglichkeit, voneinander zu lernen.

Buchtipp

In dem Open-Access-Sammelband „Innovations in Journalism“ präsentiert ein internationales Projektteam die relevantesten Medien-Innovationen aus fünf europäischen Ländern. 100 Fallbeispiele zeigen Wege auf, wie Medien zum Erhalt demokratischer Strukturen beitragen können.

 

Das „Standard-Forum“ – eine europäische Benchmark

Die Ausdünnung der Medienvielfalt, der Spardruck in Redaktionen, politische Versuche, seriösen Journalismus zu diskreditieren, gepaart mit mangelnder Informationsfreiheit und konservativ-bewahrender Förderpolitik, setzen qualitätsvollen Journalismus in Österreich unter Druck. Ein Beispiel dafür, wie die österreichische Tageszeitung Der Standard dennoch umfassende Publikumsbeteiligung mit ihrer Online-Berichterstattung ermöglicht, sind die User-Plattformen. Mehrere zehntausend Postings landen täglich als Kommentare zu Beiträgen und in speziellen Foren auf den Redaktionsservern. Sie werden durch ein spezialisiertes Audience-Team mit eigens dafür entwickelten technischen Tools kontrolliert und die Diskussionen werden moderiert.

„Das Audience-Engagement des Standard gilt damit quantitativ wie qualitativ als europäische Benchmark zum neuen gesellschaftlichen Diskurs in Traditionsmedien“, erklärt Andy Kaltenbrunner. Gleich in mehreren Innovationskategorien hält auch die Investigativplattform Dossier dem kritischen Blick der Forschenden stand. Das kleine Team setzte im kleinen Markt Österreich als erstes auf reine Community-Finanzierung ohne Inseratenwerbung. Staatliche Förderung bleibt der Plattform bisher verwehrt. Das Modell ermöglicht heikle Untersuchungen, etwa zu Eigentumsverhältnissen bei Medien, politischer Inseratenkorruption oder zweifelhaften staatlichen Verträgen und Geldflüssen. Diese werden online publiziert, aber auch in eigenen Themenheften veröffentlicht.

Innovation beschreibbar machen

Die erste Herausforderung im Projekt lag darin, zentrale, aber „gummiartige“ Begriffe wie Innovation und Journalismus zu beschreiben – theoretisch und empirisch. Was in einem Land als revolutionär gilt, ist in einem anderen ein alter Hut, wie zum Beispiel Podcasts. Was sind also Innovationen für den Journalismus und sein Publikum? Was tragen sie zur Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaften bei? Und wie lässt sich das wissenschaftlich strukturiert bewerten? Schrittweise und mit vielen Reflexionsschleifen näherte sich das Forschungsteam an Antworten auf diese drei Fragen an. Am Anfang stand eine umfangreiche Literaturrecherche, gefolgt von mehreren, auch branchenübergreifenden Befragungsrunden mit Innovations- und Medienexpert:innen.

Es wurden 20 „Hebel“ für Medieninnovation herausgearbeitet wie Kollaboration & Kooperation, Mitgliederfinanzierung oder Live-Elemente. Anhand der wichtigsten Innovationen in jedem untersuchten Land wurden dann insgesamt 100 Fallstudien durchleuchtet, um deren Einfluss auf die Qualität des Journalismus und seine Rolle in demokratischen Gesellschaften zu untersuchen – vom Start-up bis zum Entwicklungsteam in einem traditionellen Medienhaus. So begann etwa die erfolgreiche spanische Plattform Maldita 2014 als Projekt zweier erfahrener TV-Journalist:innen und wuchs kontinuierlich zu einer europäischen Benchmark für Fact-Checking. Heute arbeiten dort mehr als 50 Journalist:innen für rund 10.000 Abonnent:innen, aber auch in Kooperation mit Medienhäusern, die für die Expertise in Datenrecherche und Desinformationskontrolle bezahlen. Zudem betreut Maldita analoge und digitale Workshops zu Media-Literacy für unterschiedliche Zielgruppen.

Gewichtige Kulturfrage, keine Sonntagsdebatte

„Ob die vierte Gewalt funktioniert, also ob Journalismus in einer Demokratie aufgeklärt und vielfältig über das Handeln des Staates informiert und es durch Berichterstattung kontrolliert, ist keine Sonntagsdebatte“, betont Projektleiter Andy Kaltenbrunner. „Doch das wird meist von der Technologieseite diskutiert. Bei uns standen Kulturfragen im Mittelpunkt.“ Im Projekt ging es um die ganzheitliche Einordnung, wie professioneller Journalismus und qualitätsvolle Massenmedien auf gesellschaftliche, finanzielle und technologische Entwicklungen reagieren können. Dafür kooperierte das Medienhaus Wien mit dem Institute for Comparative Media and Communication Studies der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Klagenfurt (Matthias Karmasin), der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Klaus Meier), der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (Vinzenz Wyss), der Universidad Miguel Herández in Valencia (José A. García Avilés) sowie der Università della Svizzera italiana in Lugano und der City University London (Colin Porlezza). Zudem wurden mehr als ein Dutzend Nachwuchsforschende eingebunden.

In dem aktuellen Open-Access-Sammelband „Innovations in Journalism“ werden die relevantesten Innovationen aus den fünf untersuchten Ländern präsentiert. Auch die Datenbank mit den 100 Medienprojekten ist online verfügbar. Sie demonstrieren auch, welche Voraussetzungen innovative Entwicklungen in Nachrichtenorganisationen unterstützen oder hemmen. „Das sind keine Momentaufnahmen, sondern vergleichende Belege aus fünf Ländern, geballte Empirie also. Der Transfer in die Praxis ist in vollem Gange und der richtige Zeitpunkt für Medieninnovation ist immer jetzt“, betont Projektleiter Kaltenbrunner. Alle bleiben gefordert: die Journalist:innen mit Ideen, der Gesetzgeber mit Strukturmaßnahmen, Innovationspolitik und Fördermitteln und die EU mit geeigneten Regulatorien für den Zugang zu einem riesigen Binnenmarkt.

Zur Person

Der Politik- und Medienwissenschaftler Andy Kaltenbrunner gründete 2005 die Forschungsgesellschaft Medienhaus Wien und initiierte Grundlagenprojekte zur Transformation von Medien, Journalismus und Öffentlichkeit mit internationalen Partnern. Gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften werden die „Journalismus-Reports“ publiziert, eine Leitwährung mit nationalen Datenerhebungen für wissenschaftliche wie für Branchendiskussionen. Kaltenbrunner entwickelte Studiengänge zu Journalismus- und Medieninnovation in mehreren europäischen Ländern. Er war vor 2000 Politikjournalist, Journalismus-Staatspreisträger und Entwickler erster Online-Medien in Österreich. 

Projekt-Website: https://innovations-in-journalism.com/

Publikation

Meier K., García-Avilés J.A., Kaltenbrunner A., Porlezza C., Wyss V., Lugschitz R., Klinghardt K. (Hg.): Innovations in Journalism: Comparative Research in Five European Countries, Routledge 2024