Glänzende Zukunft? Ein FWF-Projekt analysiert die Entwicklung zeitgenössischer Kunstmuseen in Russland von der Perestrojka bis in die Gegenwart. © Garage Museum of Contemporary Art/Yuri Palmin

Russland verzeichnete bis zum Ausbruch der Krimkrise einen Boom an Um- und Neubauten von Museen. Von Moskau bis St. Petersburg wurden Museen von international bekannten Architekten wie Rem Koolhaas, Renzo Piano und Shigeru Ban entwickelt. Diese Bauten und politische Programme zeigen den hohen Stellenwert, den die dortige Regierung Museumsbauten im Bezug auf Erneuerungsimpulse beimisst. „Lange gab es in Russland keinen institutionalisierten Raum für aktuelle Kunstströmungen. Nun rivalisieren dutzende neue, ambitionierte Einrichtungen. Der fundamentale Wandel, den der russische Kunstmarkt und Museumsbereich seit der Perestrojka durchliefen, ist bisher jedoch noch wenig erforscht“, erläutert Waltraud Bayer vom Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz. In einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF erarbeitet sie aktuell einen Überblick über die Entwicklung zeitgenössischer Kunstmuseen in Russland von der Perestrojka bis in die Gegenwart.

Kunst, Kapital und Politik

Das FWF-Projekt untersucht erstmals die komplexen Beziehungen von Kunst, ökonomischem Kapital und politischer Macht im neuen Russland. Thematisch liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung der zeitgenössischen Kunstmuseen – von den ersten Anfängen unter Gorbatschow bis hin zur grundlegenden Neuplanung von Museen. Die Studie inkludiert die zentralen kulturpolitischen Anforderungen und Programme. Gegenstand laufender Untersuchungen sind ferner die treibenden Kräfte dieser Institutionalisierung: Mitglieder der föderalen, regionalen und lokalen Kulturbürokratie, Repräsentantinnen und Repräsentanten der neuen ökonomischen Elite und Einzelpersonen, die nachhaltig diesen Prozess beeinflussten. Aus der großen Zahl der wichtigen Ereignisse greift Bayer zwei heraus: „Zum Meilenstein wurde die erste internationale Kunstauktion von Sotheby's in Moskau: Dadurch setzte auch ein Umdenken in der Politik ein, die moderne Kunst nun nicht mehr ausschließlich mit politischem Widerstand assoziierte, sondern auch deren Wertschöpfungspotenzial wahrnahm“, erklärt die Historikerin. Zum zweiten Meilenstein sollte die 2005 erstmals organisierte Moskauer Kunstbiennale werden.

Einer der jüngsten Zuwächse in Moskaus Museumslandschaft. Das GARAGE Museum of Contemporary Art von Rem Koolhaas eröffnete im Juni 2015 in einem ehemaligen sowjetischen Restaurant im Gorki-Park. © Garage Museum of Contemporary Art/Yuri Palmin

Meilenstein Biennale

Die erste Ausgabe der Biennale 2005 verlief erfolgreich. Lange Jahre war sie von einem kleinen Expertenkreis mit viel Enthusiasmus vorbereitet worden. Nun erreichte sie erstmals ein großes Publikum, löste eine breite öffentliche Resonanz aus. "Die Gegenwartskunst wurde damit nicht länger marginalisiert – sie kam zunehmend im gesellschaftlichen Mainstream an. In der Folge wurde ein Boom losgetreten, der sich in konkreten Maßnahmen, Neugründungen und Umstrukturierungen zeigte, und der bis zur Krimkrise anhielt. Dies ist umso wichtiger, da diese Errungenschaften gegen den Widerstand einer breiten Öffentlichkeit, der Politik und der orthodoxen Kirche erzielt wurden", erläutert Bayer. Das FWF-Projekt, das kurz vor Abschluss steht, diskutierte erstmals diese vielfältige Entwicklung für den gesamten russischen Raum mit namhaften Expertinnen und Experten im Rahmen einer internationalen Konferenz in Graz.

Recherche in Russland

Für die Analyse wurden Materialien aus umfangreichen Recherchen in postsowjetischen staatlichen und kommunalen Archiven, in Stiftungen und Museen herangezogen. Ein einzigartiges Quellenmaterial stand dem Projekt unerwartet zur Verfügung unter open.gov.ru. Präsident Medwedew initiierte die Schaffung von Portalen und Webseiten zur Organisation einer transparenten und modernen Verwaltung. Vor allem der Kulturbereich profitierte davon. So stand dem Projekt eine Vielzahl von bisher unbekanntem amtlichem Material zur Verfügung. Aber auch Daten von Websites privater Stiftungen und Initiativen, Blogs und digitale Ausgaben kultureller Medien wurden und werden aufbereitet und analysiert. Die Ergebnisse des disziplinübergreifenden Forschungsprojekts werden international publiziert und liefern wertvolle Beiträge für weitere Studien zur Institutionalisierung zeitgenössischer Kunst.


Zur Person Waltraud M. Bayer ist Dozentin an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie ist Expertin für Kultur- und Museumswissenschaft Osteuropas und arbeitet zu Themenfeld: Museen, Stiftungen, Sammlungen, Mäzenatentum, Kunstmarkt, Beutekunst und Restitutionsforschung. Die Fulbright- und Hertha-Firnberg-Stipendiatin promovierte 1990 an der Universität Wien und verbringt seit ihrer Studienzeit an der Akademie der Wissenschaften in Moskau zahlreiche Forschungsaufenthalte vor Ort. Für ihr Engagement wurde sie bereits vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Fellowship Norton T. and Nancy Dodge.


Publikationen

Glocal Affairs: Art Biennials in Context. Bayer, Waltraud M., Tagungsbericht, 27. April 2015 Graz, in: H-Soz-Kult, Juli 2015
Postsowjetische Kunstmuseen im Zeitalter der Globalisierung. Zur Institutionalisierung zeitgenössischer Kunst. Bayer, Waltraud M., Tagungsbericht, 18.-19. Juni 2010 Graz, in: H-Soz-Kult, Sept. 2010

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