Um das Internet sinnvoll zu nĂŒtzen, braucht es kreatives Denken und digitale Kompetenzen. © ExplorerBob/pixabay

Denkgewohnheiten zu Ă€ndern, stellt die meisten Menschen vor ziemliche Schwierigkeiten. Denn unser Gehirn ist geĂŒbt darin, neuen Input mit bereits vorhandenem Wissen (Kontext) zu verknĂŒpfen. Eine Schachtel als BehĂ€lter zu nĂŒtzen erscheint logisch, sie als Kerzenhalterung zu verwenden, wer kĂ€me auf diese Idee? – Das „Kerzenproblem“ ist ein Test des deutschen Gestaltpsychologen Karl Duncker (1903-1940), auf den der Begriff der „funktionalen Fixierung“ zurĂŒckgeht. Um komplexe Probleme zu lösen, braucht es kreatives Denken, wie Dunckers Experiment schon vor nahezu einem Jahrhundert deutlich machte. Doch wie lassen sich festgefahrene Denkbahnen in neue Richtungen lenken und was unterscheidet kreative Menschen von konventionellen Denkerinnen und Denkern? Dieser Frage ging nun ein interdisziplinĂ€res Team der Forschungsplattform „Cognitive Science“ in Graz nach. Auf Basis mathematischer Modelle der GedĂ€chtnissuche haben die Forscherinnen und Forscher die Mechanismen kreativen Denkens untersucht. Konkret interessierte das Team die Frage, welche Rolle web-basierter Kontext bei der Überwindung festgefahrener Sichtweisen spielt. Denn insbesondere im heutigen Berufsleben wĂŒrden die Möglichkeiten des Internet immer mehr die FĂ€higkeit zum kreativen Denken verlangen, sagt der Psychologe Dietrich Albert. Das heißt, wer in den Weiten des Web gezielt nach Informationen sucht, muss das Recherchieren, Filtern, Bewerten und schließlich Einordnen in den eigenen Kontext beherrschen. Doch das Internet beeinflusst unser Denken, etwa durch personalisierte Suchergebnisse, durch Werbung oder Falschmeldungen. Wie dieses Zusammenspiel von kognitiver Leistung und Interaktion mit den digitalen Medien funktioniert, ist noch wenig untersucht, und hier setzt das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Grundlagenprojekt unter der Leitung von Dietrich Albert an.

Computermodelle simulieren kreatives Denken

Anhand von Computermodellen hat das interdisziplinĂ€re Team aus den Bereichen Psychologie, Mathematik und Informatik Ergebnisse aus Laborexperimenten analysiert, bei denen Probandinnen und Probanden aufgefordert wurden, Assoziationsketten zu bilden. Diese gedankliche VerknĂŒpfung von Inhalten und Vorstellungsbildern wurde dann im Modell durch den sogenannten semantischen Gradienten abgebildet. Dieser zeigt den Verlauf der Suche im mentalen Raum einer Person an. Kreativ denkende Menschen entfernen sich rascher vom Ausganspunkt, das heißt, der Gradient fĂ€llt stĂ€rker ab. Beim Denken und Assoziieren arbeiten die beiden Bewusstseinsebenen Kontext und Sprache zusammen, die wiederum Vorstellungsbilder hervorrufen. „Daraus entsteht ein mentales Amalgam, und je dichter dieses ist, umso leichter fĂ€llt die Suche nach einem kreativen verbalen Einfall“, erklĂ€rt Projektmitarbeiter Paul Seitlinger. Es zeigte sich, dass kreative Menschen ihren „mentalen Suchscheinwerfer“ flexibler einsetzen können, um semantisch diverse Vorstellungsbilder zu verdichten, den semantischen Raum im Geiste schneller durchschreiten und folglich leichter zu neuen EinfĂ€llen kommen. Die Computermodelle des Grazer Teams stimmen mit den Ergebnissen aus den Experimenten ĂŒberein. Daraus lassen sich SchĂ€tzwerte fĂŒr Parameter ableiten, auf Basis derer man feststellen kann, welche Denkprozesse bei mehr oder weniger kreativen Personen wie stark ausgeprĂ€gt sind.

QualitÀt von Informationen bewerten fÀllt schwer

Darauf aufbauend haben die Grazer Forscherinnen und Forscher im Rahmen eines Citizen-Science-Projektes untersucht, wie sich Bookmarking-Systeme auf die Informationssuche im Netz auswirken. In Zusammenarbeit mit Schulen wurden zunĂ€chst mithilfe von ArbeitsblĂ€ttern, angelehnt an neueste wissenschaftliche Arbeiten der Standford History Education Group, die FĂ€higkeiten der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler erhoben, sich kritisch mit Online-Informationen auseinanderzusetzen. „Die QualitĂ€t von Informationen zu bewerten, bereitet vielen Probleme. Die Bearbeitung und Diskussion dieser Informationsbeispiele sollte bei den SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern vor allem auch ein Bewusstsein fĂŒr auftretende Schwierigkeiten in der Informationsbewertung wecken“, berichtet die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Informatikerin Simone Kopeinik. Wie sich zeigte, stellte dabei die Unterscheidung von redaktionellem Inhalt zu Werbung (Native Advertising) und die Bewertung von User-Kommentaren eine der grĂ¶ĂŸten Herausforderungen dar – ĂŒbrigens auch fĂŒr Eltern, die zum Teil in das Projekt eingebunden waren.

Empfehlungen beeinflussen die Suche

Nachdem das Bewusstsein fĂŒr unterschiedliche Inhalte in den Klassen geschaffen wurde, hat das Forscherteam den Einfluss von Algorithmen in einer eigenen Online-Plattform simuliert, auf die die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler Informationen hochgeladen hatten. Dort wurden ihnen dann Schlagwörter empfohlen, die auf ihren eigenen Daten oder auf denen der gesamten Klasse basierten, zudem gab es einen Bereich ohne Empfehlungen. Es stellte sich heraus, dass durch eine historienbasierte Personalisierung eigene, bestehende Verhaltensmuster gestĂ€rkt werden, wohingegen eine Umgebung ohne personalisierte Empfehlungen exploratives Informationsverhalten stĂ€rker begĂŒnstigt. Daraus lĂ€sst sich schließen, dass „ungefilterte“ Informationen förderlich sind, um aus der eigenen Echokammer herauszukommen, indem auf eine grĂ¶ĂŸere Vielfalt an Ressourcen zurĂŒckgegriffen wird.

KreativitÀt und digitale Kompetenz fördern

Ob die Interaktion mit dem Web fĂŒr KreativitĂ€t und Problemlösung förderlich sei oder nicht, ergebe sich aus dem Zusammenspiel von externem Input – wie in diesem Fall „dem Internet“ – und den DenkfĂ€higkeiten der Nutzerinnen und Nutzer, erklĂ€rt Paul Seitlinger. „Exekutive Funktionen, welche beim Suchen, Filtern oder VerknĂŒpfen von Informationen eine wichtige Rolle spielen, stehen in einem engen Zusammenhang mit Intelligenz“, gibt der Psychologe zu bedenken. Die gute Nachricht ist: Das Hirn lĂ€sst sich trainieren, „je frĂŒher man beginnt, umso besser“, bestĂ€tigt Seitlinger.


Zu den Personen Der Psychologe Dietrich Albert hat in Wien und Göttingen studiert; nach seinen postgradualen Qualifizierungen an der UniversitĂ€t Marburg/Lahn war er Professor fĂŒr Experimentelle Psychologie an der UniversitĂ€t Heidelberg bevor er die Professur fĂŒr Allgemeine Psychologie an der UniversitĂ€t Graz antrat. Derzeit forscht Albert an der Technischen UniversitĂ€t Graz und beschĂ€ftigt sich u.a. mit Prozessen der Entstehung von Wissen, Kompetenz und web-basierter Informationsgewinnung. Simone Kopeinik ist Computerwissenschafterin und arbeitet als Postdoc am Grazer Know-Center. Ihr Schwerpunkt ist der Erwerb von digitalen Kompetenzen im Unterricht mit Fokus auf Computerspiele und E-Learning-Applikationen. Paul Seitlinger ist Psychologe und derzeit als Postdoc im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts an der School of Educational Sciences der UniversitĂ€t Tallinn (Estland) tĂ€tig. Er interessiert sich fĂŒr mathematische Modelle mit Fokus auf kreative Kognition und soziale Interaktion beim Lernen.


Publikationen und BeitrÀge

Seitlinger, P., Ley, T., Flemming, H., Albert, D.: A neural network account of creativity-related differences in memory search: empirical evidence from an association chain task. Talk presented at the NetSci 2018 Satellite Networks in Cognitive Science, Paris, France, 2018 (pdf)
Kopeinik, S., Lex, E., Seitlinger, P., Albert, D., Ley, T.: Supporting collaborative learning with tag recommendations: a real-world study in an inquiry-based classroom project, in: A. Wise, P. Winne, & G. Lynch (Eds.), Proceedings of th7th International Conference on Learning Analytics and Knowledge, New York: ACM press 2017
Seitlinger, P., Ley, T., Kowald, D., Theiler, D., Hasani-Mavriqi, I., Dennerlein, S., Lex, E., Albert, D.: Balancing the Fluency-Consistency Tradeoff in Collaborative Information Search with a Recommender Approach, in: International Journal of Human-Computer Interaction 2017