Das virtuelle Labor für mehr Nachhaltigkeit
Worum geht es in Ihrem Projekt?
Esther Heid: In meinem Projekt geht es um die computergestützte Vorhersage von chemischen Reaktionen mittels Machine Learning. Man kann sich das wie ein virtuelles Labor vorstellen, wo man schnelle, effiziente und genaue Computersimulationen von chemischen Reaktionen auf Knopfdruck machen kann. Und zwar nicht für irgendwelche Reaktionen, sondern für genau solche, die wir für eine nachhaltigere Chemie brauchen.
Machine Learning hat er schon viele tolle Anwendungsmöglichkeiten in der Chemie. Aber gerade im Bereich Nachhaltigkeit hinken wir stark hinterher. Was wir brauchen, sind bessere Modellarchitekturen im Machine Learning – also besseren Programmcode, Datensätze und Anbindungen an Experimente –, damit wir genau vorhersagen können, warum und wie Moleküle miteinander reagieren.
Bei der Nachhaltigkeit geht es insbesondere darum, Reaktionen auszuwählen, die wenig Energie benötigen oder wenig Abfall produzieren. Zum Beispiel um eine bestimmte Verbindung für ein Medikament herzustellen und nicht noch zusätzliche – vielleicht sogar toxische – Nebenprodukte, die aufwändig abgetrennt werden müssen. Wenn wir Abfall vermeiden, schont das Ressourcen, die Umwelt und die Geldtasche.
Ein Beispiel für die Art der Reaktionen, die wir untersuchen möchten, sind Enzyme in unseren eigenen Körpern, die als Biokatalysatoren gezielt chemische Reaktionen ermöglichen. Die Enzyme bestehen aus verschiedenen Aminosäuren, aber nicht alle davon sind bei allen Reaktionen aktiv. Oder Organokatalysatoren, bei denen es sich im Vergleich dazu um kleinere Moleküle handelt. Aber auch hier sind nicht alle Teile des Moleküls gleich aktiv oder wichtig.
Dieses Forschungsfeld ist noch relativ jung und wir wissen einfach noch nicht genau genug, wie und warum solche Reaktionen stattfinden. Um das mit unseren neuen Computermodellen berechnen und für neue Katalysatoren vorhersagen zu können, müssen wir es überhaupt einmal schaffen, die Beziehungen zwischen den verschiedenen involvierten Molekülen in einen Computer-Algorithmus einzubauen. Daran werden wir forschen.
Zur Person
Esther Heid studierte Chemie vom Bachelor bis Doktorat mit Fokus auf theoretische Chemie an der Universität Wien. Sie verbrachte Forschungsaufenthalte am Imperial College London und der University of Maryland, Baltimore in den USA. Als Postdoc arbeitete sie zwei Jahre lang am Massachusetts Institute of Technology (MIT) an der Schnittstelle zwischen Chemie und Machine Learning und seit 2022 ist sie Postdoc an der Technischen Universität Wien. Dort forscht sie unter anderem an neuen Multi-Enzym-Reaktionsnetzwerken, um gezielt Moleküle herzustellen.
„Unsere Forschung ermöglicht, Medikamente billiger herzustellen.“
Wieso ist diese Forschung relevant?
Heid: In unserem Alltag verwenden wir viele Dinge wie Medikamente, Lebensmittelzusätze, Düngemittel, Düfte, die alle irgendwie hergestellt werden müssen. Das geschieht oft nicht nachhaltig oder umweltschonend. Es ist auch schwierig die Produktion umzustellen, weil die Entwicklung von nachhaltigen Prozessen sehr langsam und teuer ist. Mit meinem Projekt soll das viel schneller gehen.
Wir möchten die Reaktionen am Computer vorhersagen können, wodurch man nicht alle Kombinationen von Molekülen und Reaktionen experimentell testen müsste, sondern nur die vielversprechendsten, die der Computer ausspuckt. Damit ginge der Forschungsprozess dann viel schneller.
Die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcengerechtigkeit – die ja auch in den Sustainable Development Goals der UNO vorgegeben werden – sind enorm wichtig und daran wird auch global geforscht. Zum Beispiel wollen wir mit unserer Forschung ermöglichen, dass Medikamente billiger hergestellt werden können, denn in vielen Ländern spielt deren Preis eine wichtige Rolle bei der Krankenversorgung.
Was sind die ersten Schritte in Ihrem Projekt?
Heid: Obwohl es sich um ein Chemieprojekt handelt, findet der erste Teil gar nicht im Labor statt, sondern es geht um das Programmieren von neuen Machine-Learning-Modellen. Wir müssen diese auf die Anforderung von chemischen Reaktionen zuschneiden.
Speziell geht es darum, neue Repräsentationen für chemische Reaktionen zu finden, um dem Computer die notwendigen Informationen überhaupt erst einmal geben zu können. Für chemische Reaktionen gibt es nämlich keinen Konsens, wie man das am besten macht und es gibt viele verschiedene Zugänge mit Vor- und Nachteilen.
Wir möchten auch neue Erkenntnisse aus anderen Sparten des Machine Learnings einbringen. Zum Beispiel gibt es jedes Jahr massive Entwicklungen bei Large-Language-Modellen wie ChatGPT. Die eigentliche Laborarbeit kommt erst später.
Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschung?
Heid: Ich war bisher nur ein One-Women-Team, aber ich habe so viele Ideen, was man alles erforschen könnte. Jetzt kann ich ein Team von Doktorand:innen und Postdocs anstellen. Damit können wir mehr in kürzerer Zeit erforschen und damit viel schwierigere Ziele angehen als alleine.
Zum Beispiel können wir ganz neue Computermodelle entwickeln, die in größeren Schritten dazu beitragen, dass die Chemie nachhaltiger wird, anstatt nur kleine Verbesserungen zu machen. Diese großen Ziele verfolgen zu können ist für mich wirklich ein Traum, der mit diesem Preis in Erfüllung geht.
Zum Projekt
Das Projekt „Deep Learning of Chemical Reactions“ hat zum Ziel, neue Machine-Learning-Algorithmen zu entwickeln, die es Forscherinnen und Forschern erlauben sollen, in einem virtuellen Labor am Computer neue chemische Reaktionen und Katalysatoren zu finden, um die Suche nach nachhaltigen Ansätzen in der Chemie zu beschleunigen.
„Diese Erkenntnisse werden die Welt ein bisschen fairer, ressourcenschonender und lebenswerter machen.“
Was motiviert Sie in Ihrem Forschungsalltag?
Heid: Ich bin super neugierig und die Forschung ermöglichst es mir jeden Tag was Neues zu lernen. Und zwar etwas, was noch kein Mensch zuvor gewusst hat. Das fasziniert mich einfach.
Am meisten motiviert es mich, wenn jemand sagt, dass etwas nicht geht. Wenn man in der Mittagspause zusammensitzt und mir das jemand sagt, höre ich das restliche Gespräch schon gar nicht mehr zu, sondern mein Hirn rattert schon voller Ideen, wie es vielleicht doch gehen könnte.
Gleichzeitig ist mir sehr wichtig, dass diese Erkenntnisse nicht in einer Schublade verschwinden, sondern einen Mehrwert für andere haben. Zum Beispiel indem sie die Welt ein bisschen fairer, ressourcenschonender, umweltfreundlicher oder lebenswerter für alle machen.
Wie sind Sie zu diesem Forschungsfeld gekommen?
Heid: Ich habe ursprünglich Chemie an der Universität Wien studiert von Bachelor über Master bis zum Doktorat. Dabei habe ich mir das Programmieren selbst beigebracht. Danach bin ich als Postdoc ans MIT gegangen und habe mich dort in Richtung Machine Learning und künstliche Intelligenz weiterentwickelt. Damit bin ich zur chemischen Programmiererin geworden. Dieses neue Forschungsprojekt vereint nun diese beiden Aspekte: Meine Liebe zur Chemie und zum Programmieren.
Vorbilder haben auch eine große Rolle für mich gespielt und tun es noch immer. Insbesondere kreative Köpfe wie Tess Smidt, Connor Coley und William Green am MIT, Gerhard Zifferer an der Universität Wien und meine Mentorin Maricruz Sánchez-Sánchez an der TU Wien.
Mir ist auch besonders wichtig, dass man sowohl eine hohe fachliche Kompetenz hat, als auch seine Mitmenschen fördert. Ich bin kein Fan der Ellbogenmentalität. Stattdessen möchte ich andere ermutigen und befähigen, Großes zu leisten und gemeinsam mehr zu erreichen, als es jeder und jede Einzelne das könnte. Der START-Preis verbindet diese Anerkennung von Leistung und Menschlichkeit.
Der FWF-START-Preis
Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.