Der Mathematiker Adrian Constantin ist Wittgenstein-Preisträger 2020. Den höchstdotierten Wissenschaftspreis hat er für seine bahnbrechenden Beiträge zur Mathematik der Wellenausbreitung erhalten, die bei Naturphänomen wie Tsunamis oder El Niño Anwendung finden. © Daniel Novotny/FWF

FWF: Welche Antworten hoffen Sie in den nächsten Jahren durch Ihre Forschungen geben zu können?

Adrian Constantin: Ich werde Wellenbewegungen und Strömungsverhalten in den Ozeanen und in der Atmosphäre mit den Mitteln der Mathematik untersuchen. Die großformatigen Bewegungen in Wasser und Luft sind Grundlage für viele Wetter- und Klimaphänomene, die es besser zu verstehen gilt. Insbesondere interessieren mich die Wechselwirkungen zwischen Wellen – also Schwingungen, die es nicht nur im Wasser, sondern auch in der Atmosphäre gibt – und Strömungen in großformatiger, geophysischer Dimension. In diesem Bereich gibt es viele Fragen, die noch offen sind, und Aspekte, die in bisherigen Beschreibungen nur stark vereinfacht vorkommen. Ein Beispiel dafür wäre die sphärische Geometrie der Erde – also der Umstand, dass ihre Oberfläche gekrümmt ist. In den meisten Untersuchungen zu ozeanischen und atmosphärischen Strömungen und Wellen wird dieser Umstand nicht berücksichtigt – die Erde wird als flach betrachtet.

Nachdem es aber um Phänomene geht, die sich oft über Tausende Kilometer erstrecken, ist eine derartige Betrachtung zu ungenau. Dazu kommt die Corioliskraft, die aus der Drehbewegung der Erde resultiert und die Auswirkungen der Gravitation verändert. Sie ist keine kleine Störung, die eine Abweichung verursacht, sondern ein Hauptmerkmal der Strömungen und Wellen, die man in den Ozeanen und in der Atmosphäre beobachten kann. Zu den allgemeinen Gleichungen, die man bei diesen physikalischen Phänomenen anwendet, möchte ich individuelle Gegebenheiten miteinbeziehen können – beispielsweise ob sich eine Luftströmung über Land oder über See befindet. Damit soll eine Verfeinerung der Analyse in diesem Bereich geboten werden – mit Hilfe von verschiedenen Ansätzen aus der Mathematik.

FWF: Wie sehen die ersten Schritte aus?

Constantin: Ich plane, mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an meinen Fragestellungen interessiert sind, nach Wien einzuladen, um mit ihnen auf die eine oder andere Art zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, die Entwicklungen rund um die Corona-Epidemie erlauben das nun wieder. Es gibt auch ein paar junge Leute, die gerne in die Forschungen einsteigen möchten. Ich hoffe, dass ich ab den Sommerferien Pläne für die nächsten Jahre machen kann.

Zur Person

Adrian Constantin ist Professor am Institut für Mathematik der Universität Wien. Die Forschungsbereiche des gebürtigen Rumänen umfassen nichtlineare, partielle Differentialgleichungen im Bereich der Fluid-Bewegungen sowie daran anschließende mathematische Beschreibungen von Natur-Phänomenen. Constantin, dessen Arbeit durch seine – für das mathematische Fachgebiet – besonders hohe Anzahl von Zitierungen auffällt, ist Träger zahlreicher Preise und Ehrungen. Unter anderem wurde ihm 2010 ein Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates ERC zugesprochen.

„Dass ich mit den Mitteln der Mathematik Einsicht in Naturphänomene gewinnen kann, dieser Gedanke begeistert mich. “ Adrian Constantin

FWF: Was bedeutet der Wittgenstein-Preis für Ihre Forschungstätigkeit?

Constantin: Die Freiheit, die der Preis für meine künftigen Forschungen bringt, ist unheimlich wichtig. Ich bin Mathematiker. Aber ich bin an den Phänomenen der Physik interessiert und möchte mich deshalb mit einschlägigen Expertinnen und Experten austauschen – nicht nur aus der Physik, sondern auch aus dem Ingenieurs- und Technikwesen. Ich möchte mit Menschen zusammenarbeiten, die mir die Daten aus ihren Bereichen vermitteln und erklären können. Es braucht Zeit und Flexibilität, um Kontakte zu knüpfen, erfahrene Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen einzuladen und in die Forschungen miteinzubeziehen. Ich weiß nun, dass ich Raum haben werde, mich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Ich kann junge Leute für meine Arbeit gewinnen, und auch sie können von einem intensiven internationalen Austausch profitieren. Ich hoffe, dass ich diese vielen Möglichkeiten, die mir der Wittgenstein-Preis bietet, nutzen kann, um einen relevanten Beitrag zu leisten.

FWF: Woraus beziehen Sie die Motivation für Ihre Forschung?

Constantin: Es gibt Phänomene, etwa in der Meteorologie, die einfach erstaunlich sind. Beispielsweise gibt es an der Küste Australiens regelmäßig Wolken, die die Form Hunderter Kilometer langer Walzen haben und sich außergewöhnlich schnell bewegen – man nennt sie Morning Glory Clouds. Dass ich mit den Mitteln der Mathematik Einsicht in derartige Phänomene gewinnen könnte –, dieser Gedanke begeistert mich. Ich bin fasziniert von Naturphänomenen, und Mathematik, wie Galileo Galilei sagte, ist die Sprache, in der man die Natur verstehen kann. Mich überrascht immer wieder, wie sehr das tatsächlich der Fall ist. Ich möchte sehen, ob ich mit neuen Ansätzen in diesem Bereich auch neue Einsichten gewinnen kann.

Zum Projekt

In Atmosphäre und Ozeanen laufen zahlreiche großformatige Bewegungen ab, die sich als Strömungen oder Wellen beschreiben lassen. Bisherige Modellierungen sind allerdings stark vereinfachend und lassen viele geophysisch relevante Aspekte unberücksichtigt. Adrian Constantin möchte diese Lücken schließen und detaillierte mathematische Beschreibungen der physikalischen Vorgänge vorlegen.

Der Wittgenstein-Preis

Der Wittgenstein-Preis ist Österreichs höchstdotierter Wissenschaftspreis und richtet sich an exzellente Forscherinnen und Forscher aller Fachdisziplinen. Die mit 1,5 Millionen Euro dotierte Auszeichnung unterstützt die Forschung der Preisträgerin bzw. des Preisträgers und garantiert Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung. Forschende können so ihre Forschungstätigkeit auf international höchstem Niveau vertiefen.