Das Erdsystem mit all seinen Wellen und Strömungen verstehen

FWF: Welche Antworten hoffen Sie in den nÀchsten Jahren durch Ihre Forschungen geben zu können?
Adrian Constantin: Ich werde Wellenbewegungen und Strömungsverhalten in den Ozeanen und in der AtmosphĂ€re mit den Mitteln der Mathematik untersuchen. Die groĂformatigen Bewegungen in Wasser und Luft sind Grundlage fĂŒr viele Wetter- und KlimaphĂ€nomene, die es besser zu verstehen gilt. Insbesondere interessieren mich die Wechselwirkungen zwischen Wellen â also Schwingungen, die es nicht nur im Wasser, sondern auch in der AtmosphĂ€re gibt â und Strömungen in groĂformatiger, geophysischer Dimension. In diesem Bereich gibt es viele Fragen, die noch offen sind, und Aspekte, die in bisherigen Beschreibungen nur stark vereinfacht vorkommen. Ein Beispiel dafĂŒr wĂ€re die sphĂ€rische Geometrie der Erde â also der Umstand, dass ihre OberflĂ€che gekrĂŒmmt ist. In den meisten Untersuchungen zu ozeanischen und atmosphĂ€rischen Strömungen und Wellen wird dieser Umstand nicht berĂŒcksichtigt â die Erde wird als flach betrachtet.
Nachdem es aber um PhĂ€nomene geht, die sich oft ĂŒber Tausende Kilometer erstrecken, ist eine derartige Betrachtung zu ungenau. Dazu kommt die Corioliskraft, die aus der Drehbewegung der Erde resultiert und die Auswirkungen der Gravitation verĂ€ndert. Sie ist keine kleine Störung, die eine Abweichung verursacht, sondern ein Hauptmerkmal der Strömungen und Wellen, die man in den Ozeanen und in der AtmosphĂ€re beobachten kann. Zu den allgemeinen Gleichungen, die man bei diesen physikalischen PhĂ€nomenen anwendet, möchte ich individuelle Gegebenheiten miteinbeziehen können â beispielsweise ob sich eine Luftströmung ĂŒber Land oder ĂŒber See befindet. Damit soll eine Verfeinerung der Analyse in diesem Bereich geboten werden â mit Hilfe von verschiedenen AnsĂ€tzen aus der Mathematik.
FWF: Wie sehen die ersten Schritte aus?
Constantin: Ich plane, mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an meinen Fragestellungen interessiert sind, nach Wien einzuladen, um mit ihnen auf die eine oder andere Art zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, die Entwicklungen rund um die Corona-Epidemie erlauben das nun wieder. Es gibt auch ein paar junge Leute, die gerne in die Forschungen einsteigen möchten. Ich hoffe, dass ich ab den Sommerferien PlĂ€ne fĂŒr die nĂ€chsten Jahre machen kann.
Zur Person
Adrian Constantin ist Professor am Institut fĂŒr Mathematik der UniversitĂ€t Wien. Die Forschungsbereiche des gebĂŒrtigen RumĂ€nen umfassen nichtlineare, partielle Differentialgleichungen im Bereich der Fluid-Bewegungen sowie daran anschlieĂende mathematische Beschreibungen von Natur-PhĂ€nomenen. Constantin, dessen Arbeit durch seine â fĂŒr das mathematische Fachgebiet â besonders hohe Anzahl von Zitierungen auffĂ€llt, ist TrĂ€ger zahlreicher Preise und Ehrungen. Unter anderem wurde ihm 2010 ein Advanced Grant des EuropĂ€ischen Forschungsrates ERC zugesprochen.
âDass ich mit den Mitteln der Mathematik Einsicht in NaturphĂ€nomene gewinnen kann, dieser Gedanke begeistert mich. â
FWF: Was bedeutet der Wittgenstein-Preis fĂŒr Ihre ForschungstĂ€tigkeit?
Constantin: Die Freiheit, die der Preis fĂŒr meine kĂŒnftigen Forschungen bringt, ist unheimlich wichtig. Ich bin Mathematiker. Aber ich bin an den PhĂ€nomenen der Physik interessiert und möchte mich deshalb mit einschlĂ€gigen Expertinnen und Experten austauschen â nicht nur aus der Physik, sondern auch aus dem Ingenieurs- und Technikwesen. Ich möchte mit Menschen zusammenarbeiten, die mir die Daten aus ihren Bereichen vermitteln und erklĂ€ren können. Es braucht Zeit und FlexibilitĂ€t, um Kontakte zu knĂŒpfen, erfahrene Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen einzuladen und in die Forschungen miteinzubeziehen. Ich weiĂ nun, dass ich Raum haben werde, mich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Ich kann junge Leute fĂŒr meine Arbeit gewinnen, und auch sie können von einem intensiven internationalen Austausch profitieren. Ich hoffe, dass ich diese vielen Möglichkeiten, die mir der Wittgenstein-Preis bietet, nutzen kann, um einen relevanten Beitrag zu leisten.
FWF: Woraus beziehen Sie die Motivation fĂŒr Ihre Forschung?
Constantin: Es gibt PhĂ€nomene, etwa in der Meteorologie, die einfach erstaunlich sind. Beispielsweise gibt es an der KĂŒste Australiens regelmĂ€Ăig Wolken, die die Form Hunderter Kilometer langer Walzen haben und sich auĂergewöhnlich schnell bewegen â man nennt sie Morning Glory Clouds. Dass ich mit den Mitteln der Mathematik Einsicht in derartige PhĂ€nomene gewinnen könnte â, dieser Gedanke begeistert mich. Ich bin fasziniert von NaturphĂ€nomenen, und Mathematik, wie Galileo Galilei sagte, ist die Sprache, in der man die Natur verstehen kann. Mich ĂŒberrascht immer wieder, wie sehr das tatsĂ€chlich der Fall ist. Ich möchte sehen, ob ich mit neuen AnsĂ€tzen in diesem Bereich auch neue Einsichten gewinnen kann.
Zum Projekt
In AtmosphĂ€re und Ozeanen laufen zahlreiche groĂformatige Bewegungen ab, die sich als Strömungen oder Wellen beschreiben lassen. Bisherige Modellierungen sind allerdings stark vereinfachend und lassen viele geophysisch relevante Aspekte unberĂŒcksichtigt. Adrian Constantin möchte diese LĂŒcken schlieĂen und detaillierte mathematische Beschreibungen der physikalischen VorgĂ€nge vorlegen.
Der Wittgenstein-Preis
Der Wittgenstein-Preis ist Ăsterreichs höchstdotierter Wissenschaftspreis und richtet sich an exzellente Forscherinnen und Forscher aller Fachdisziplinen. Die mit 1,5 Millionen Euro dotierte Auszeichnung unterstĂŒtzt die Forschung der PreistrĂ€gerin bzw. des PreistrĂ€gers und garantiert Freiheit und FlexibilitĂ€t bei der DurchfĂŒhrung. Forschende können so ihre ForschungstĂ€tigkeit auf international höchstem Niveau vertiefen.