Grazer SoziologInnen haben erstmals das Selbstbild heimischer BĂ€uerinnen und Bauern untersucht. © Shutterstock

„Kindheit am Bauernhof wird heute oft als schön und positiv erlebt. Alles – Beruf, Familie – ist vor Ort, was die Jungbauern entlastet. Speziell das Zusammenleben von drei Generationen hat sich in den letzten vier Jahrzehnten stark verbessert“, berichtet Franz Höllinger, Soziologe und Leiter des Zentrums fĂŒr Sozialforschung an der Karl-Franzens-UniversitĂ€t Graz. Zu diesem Befund kamen der Forscher und sein Studierendenteam im Forschungsprojekt „Perspektiven fĂŒr bĂ€uerliche Familienbetriebe in Österreich“, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wurde.

Sozialleben im Fokus

Im Mittelpunkt des Grundlagenprojekts stand die Frage, wie verschiedene Generationen ihre Arbeitssituation und die Lebensbedingungen in bĂ€uerlichen Familienbetrieben wahrnehmen. Einen ausfĂŒhrlichen Fragebogen beantworteten 239 BĂ€uerinnen und Bauern aus ganz Österreich. Die 30 vertiefenden, qualitativen Interviews konzentrierten sich auf die Steiermark. Mit dem Fokus auf das soziale GefĂŒge bilden die Studienergebnisse eine wichtige empirische Grundlage und sind eine ErgĂ€nzung zu den sonst meist an ökonomischen Aspekten orientierten Erhebungen, etwa der österreichischen Agrarstatistik. Beides zusammen macht es nun möglich, sich ein umfassenderes Bild von den Besonderheiten sowie dem sozialen Wandel der bĂ€uerlichen Lebensform zu machen.

Harte Kindheit am Bauernhof

Woran lĂ€sst sich der massive Wandel festmachen? Ein zentraler Aspekt ist der Stellenwert von Kindheit. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten Kinder, die am Bauernhof groß wurden, oft kaum die Möglichkeit, Kind zu sein. Der Umgangston war autoritĂ€r, patriarchal und rau und die Verpflichtungen hatten Vorrang. Bildung war hĂ€ufig nachrangig und Kinder, die den Schulunterricht versĂ€umten, weil sie bei der Ernte mithelfen mussten, keine Seltenheit. Sie wurden auch nicht geschont. Wie im Roman „Schöne Tage“ des österreichischen Schriftstellers Franz Innerhofer, der darin ein bedrĂŒckendes Bild von der harten LebensrealitĂ€t eines Jungen auf einem Bergbauernhof zeichnete. Eine autoritĂ€re Familienkommunikation, wo der Vater und sein Wort im Zentrum standen, Widerspruch nicht geduldet wurde und sich der Rest der Familie unterordnete, war weit verbreitet. „Am spannendsten war fĂŒr uns im Projekt zu erleben, wie stark sich dieses soziale Klima in den Familien zum Besseren gewandelt hat“, sagt Höllinger im GesprĂ€ch mit scilog.

Mehr „wollen“ statt „mĂŒssen“

Kommunikation auf Augenhöhe, ĂŒber Konflikte reden, Entscheidungen gemeinsam treffen, BedĂŒrfnisse achten: All das ermöglicht ein gutes Zusammenleben mehrerer Generationen, wie es heute viele der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erleben. Dieser positive Befund sei laut dem Soziologen aber nur bedingt generalisierbar, weil der Zugang zur Zielgruppe schwierig war und die Stichprobe eher innovativ, erfolgreich und jĂŒnger als der Durchschnitt ist. Auch methodisch war es fĂŒr das Team herausfordernd. „Ein standardisiertes, aber in diesem Umfeld kĂŒnstliches Setting hat nicht funktioniert. Das Interview in der Stube, wo Mann und Frau gemeinsam befragt werden, war produktiver“, erklĂ€rt der Soziologe. FĂŒr die MĂ€nner war es einfacher, ĂŒber die ökonomische Situation und Entwicklung des Hofes zu reden, wĂ€hrend die Frauen besser darin waren, das Zusammenleben darzustellen.

Frauenbild im Wandel

Wie sich die Rolle der Frau im bĂ€uerlichen Familienbetrieb verĂ€ndert hat, gibt ebenfalls Aufschluss ĂŒber den starken Wandel. Die BĂ€uerin – wenn sie nicht selbst den Hof leitete – wurde bis vor wenigen Jahrzehnten oft als Mitarbeitende betrachtet. „Die Entscheidungsmacht lag bei den MĂ€nnern. Heute sind Frauen jedoch Mit-Entscheiderinnen“, sagt Höllinger. Laut österreichischer Agrarstatistik (GrĂŒner Bericht 2015) fĂ€llt die Betriebsleitung zu zwei Drittel auf MĂ€nner und zu einem Drittel auf Frauen. Höllingers Erhebung ergab, dass die HĂ€lfte auf MĂ€nner, ein Viertel auf Frauen und ein weiteres Viertel auf gemeinsame Betriebsleitung fĂ€llt. Das bedeutet nicht, dass eine traditionelle Arbeitsteilung völlig verschwunden ist. Schwere körperliche Arbeit, Feldarbeit, oder Arbeit mit landwirtschaftlichen GerĂ€ten ĂŒbernehmen nach wie vor eher die MĂ€nner. Hausarbeit, Kinderbetreuung, Stallarbeit oder die Verarbeitung von Produkten ist FrauendomĂ€ne. „Die befragten BĂ€uerinnen sehen das sehr positiv. Sie können am eigenen Wohnort berufstĂ€tig sein und sich um die Kinder kĂŒmmern“, erklĂ€rt der Soziologe. Der Druck, betriebswirtschaftlich zu denken und innovative Produktionskonzepte zu entwickeln, schuf fĂŒr sie auch neue Arbeitsbereiche, etwa Marketing, Buchhaltung und Direktvermarktung. Oft ĂŒbernehmen sie aber ohnehin die operative BetriebsfĂŒhrung, weil die MĂ€nner einem Nebenerwerb nachgehen.

Jenseits von Klischees

In wirtschaftlicher Hinsicht agieren Landwirtinnen und Landwirte heute in einem Spannungsfeld, wie die Ergebnisse zeigen. Jede und jeder fĂŒr sich positioniert sich zwischen traditioneller Lebensweise und modernem Lebensstil, dem Druck ökonomischer Effizienzsteigerung sowie der Notwendigkeit, innovativ zu sein. Das Einkommen aus landwirtschaftlicher TĂ€tigkeit reicht bei vielen nicht aus. Doch in Kombination mit NebenerwerbstĂ€tigkeiten und innovativen Betriebsstrategien (Bio-Landwirtschaft, Direktverkauf, Green-Care-Angebote, soziale Landwirtschaft) schaffen sich heute viele Bauernhofbetriebe ein tragfĂ€higes Fundament. Speziell der Direktverkauf ist sowohl eine zusĂ€tzliche Einkommensquelle als auch Quelle der WertschĂ€tzung – einerseits weil BĂ€uerinnen und Bauern hier den Preis selbst bestimmen können, andererseits durch den direkten Kundenkontakt. Das Leben am Bauernhof ist nach wie vor arbeitsintensiv. Ob die Arbeitssituation und Lebensbedingungen positiv betrachtet werden, hĂ€ngt auch davon ab, ob Altbauern und Kinder mithelfen. Klar getrennte Wohnbereiche tragen das ihre dazu bei. Alles in allem hat Franz Höllinger den Eindruck gewonnen, dass Landwirtinnen und -wirte trotz der AbhĂ€ngigkeit von Ausgleichszahlungen ein deutlich positiveres Selbstbild haben, als noch vor einigen Jahrzehnten. „Wir haben die Bauern als sehr innovative Gruppe kennengelernt. Viele sind kreative, dynamische Jungunternehmer, die offen fĂŒr VerĂ€nderungen und neue Möglichkeiten sind“, stellt Höllinger fest. Technologischen Entwicklungen stehen sie offen gegenĂŒber, vor allem, wenn es mehr UnabhĂ€ngigkeit und die Möglichkeit, lĂ€nger frei zu nehmen, bringt.

Vorteile ĂŒberwiegen

Konflikte gibt es dennoch: Kommunikation auf Augenhöhe und Wahlfreiheit zwingen die Ă€ltere Generation, Macht zugunsten der jĂŒngeren Generation abzugeben, was nicht immer leicht fĂ€llt. Auf weiten Strecken zeigte die Studie jedoch, dass die heutigen BĂ€uerinnen und Bauern mit den Vorteilen des Mehrgenerationenwohnens, den unternehmerischen Freiheiten, der Vielfalt an ArbeitstĂ€tigkeiten und dem Miteinander wesentlich zufriedener sind, als noch vor 30 oder 40 Jahren. Kein Wunder, dass sich das nicht zuletzt auch auf die Kindheit positiv auswirkt.


Zur Person Franz Höllinger ist Soziologe und leitet das Zentrum fĂŒr Sozialforschung an der Karl-Franzens-UniversitĂ€t Graz. Seine zentralen Forschungsinteressen sind Religions- und Familiensoziologie.


Publikationen

Franz Höllinger, Anja Eder, Eva-Maria Griesbacher, Sabine Haring: BĂ€uerliche Lebenswelten in Österreich am Beginn des 21. Jahrhunderts, Leykam Buchverlagsgesellschaft, 2017
Franz Höllinger: Value orientations and social attitudes in the holistic milieu, The British Journal of Sociology, Vol. 68/2, S. 293-313, June 2017, http://doi.org/gbn55k