Portrait Juan P. Aguilera
In der Mathematik gibt es Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Aber wie kann man herausfinden, ob ein Problem unlösbar ist oder ob man einfach noch weiter daran arbeiten muss? Der FWF-START-Preisträger Juan P. Aguilera entwickelt Werkzeuge, um diese Frage zu klären – damit wir unsere Bemühungen auf Probleme konzentrieren können, die lösbar sind. © FWF/Ulrich Zinell

Worum geht es in Ihrem Projekt?

Juan P. Aguilera: Um 1930 lehrte uns der österreichische Mathematiker Kurt Gödel, dass es in der Mathematik einige Fragen gibt, auf die es einfach keine Antworten gibt. Das hat unsere Auffassung von Wissenschaft völlig verändert: Auch wenn sie unser wichtigstes Werkzeug ist, um Antworten zu finden, gibt es Fragen, auf die es keine Antworten gibt.

Es gibt ganz klare Regeln dafür, was man in der Mathematik tun kann und was nicht. Wann immer man eine Antwort auf eine Frage findet, kann man nicht einfach sagen, dass etwas der Fall ist oder nicht. Man muss erklären, warum, und seine Argumentation in einem Beweis darlegen. Gödel hat gezeigt, dass es einige Fragen gibt, für die man einfach keinen Beweis finden kann, der eine endgültige Antwort gibt.

Das Ziel dieses Forschungsprojekts ist es, neue Werkzeuge zu entwickeln, mit denen man feststellen kann, ob es auf bestimmte Fragen Antworten gibt oder nicht. Heutzutage kennen wir schon viele Beispiele für Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Es gibt jedoch auch viele Fragen, die zwar keine Antworten haben, aber von denen wir das einfach nicht wissen, weil wir nicht die Mittel haben, um es herauszufinden.

Wenn man an einem Problem arbeitet und keine Lösung findet, könnte es daran liegen, dass es ein sehr schwieriges Problem ist. Es könnte aber auch daran liegen, dass es einfach keine Lösung gibt. Man würde wahrscheinlich gerne wissen, was davon zutrifft, bevor man Jahre oder Jahrzehnte mit der Suche nach einer Antwort verbringt.

Das Neue an diesem Projekt ist, dass es Ideen aus anderen Bereichen der Logik, wie der Mengenlehre und der Berechenbarkeitstheorie, einbezieht. Und das ist interessant, weil diese Bereiche der Mathematik auf den ersten Blick sehr weit voneinander entfernt sind, aber in der jüngsten Vergangenheit einander schon nähergekommen sind.

Wir arbeiten im Gebiet der Beweistheorie. Dieser Teil der Logik befasst sich nicht mit der Konstruktion von Beweisen selbst und wie man sie zur Beantwortung von Fragen verwendet. Stattdessen geht es um die Existenz von Beweisen: ob es für eine Behauptung in der Mathematik überhaupt einen Beweis gibt oder nicht. Wir bauen nun auf Arbeiten seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf. Insbesondere beschäftigen wir uns mit infinitären und funktionalen Beweisen, die Abstraktionen mathematischer Beweise von unendlicher Länge auf der Grundlage verschiedener Arten von Unendlichkeiten beschreiben.

Zur Person

Juan P. Aguilera studierte zunächst angewandte Mathematik und promovierte dann an der Technischen Universität Wien zum Thema Unendlichkeit in der Mathematik. Er arbeitete als Gastwissenschaftler an der Harvard University, der Rutgers University, der University of Cambridge und der Universität Hamburg und hatte eine Stelle an der Universität Wien inne. Seine Beiträge zur Mathematik wurden mit mehreren Auszeichnungen gewürdigt und 2023 schloss er seine Habilitationsschrift über mathematische Logik ab. Derzeit ist er an der Technischen Universität Wien tätig.

„Im Moment arbeiten möglicherweise Tausende Wissenschaftler:innen weltweit an mathematischen Problemen, die unlösbar sind.“ Juan P. Aguilera

Warum ist Ihre Forschung relevant?

Aguilera: Der Grund, warum dieses Projekt wichtig ist, liegt darin, dass genau in diesem Moment möglicherweise Tausende von Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt an mathematischen Problemen arbeiten, die unlösbar sind. Und wir haben keine Möglichkeit, ihnen zu sagen, dass sie unlösbar sind, weil wir nicht über die entsprechenden Werkzeuge verfügen. Wir möchten also diese Werkzeuge entwickeln, mit denen wir feststellen können, welche Probleme tatsächlich unlösbar sind, sodass wir unsere Bemühungen auf Probleme konzentrieren können, die gelöst werden können.

Der zweite Grund für die Bedeutsamkeit dieses Projekts ist die Verbindung der Beweistheorie mit anderen Teilen der Logik. In den 1930er-Jahren, als die moderne Logik entstand, gab es eine sehr enge Forschungsgemeinschaft. Als das Feld immer tiefer wurde und viele Leute beeindruckende Arbeit leisteten, begannen sich die Gruppen natürlich zu spezialisieren, und die Interaktionen zwischen ihnen wurden seltener. Ich finde diese Möglichkeit sehr spannend, scheinbar separate Ideen zu kombinieren, die von verschiedenen Leuten entwickelt wurden.

Was werden die ersten Schritte in Ihrem Projekt sein?

Aguilera: Als Erstes müssen wir, bevor das Projekt offiziell beginnt, dokumentieren, was bisher erforscht wurde. Denn das Projekt baut auf sehr aktuellen Arbeiten auf – einige davon stammen von mir und meinen Mitautor:innen –, die noch nicht veröffentlicht wurden. Die Arbeit der neuen Teammitglieder, die dank des START-Preises zu uns stoßen werden, wird darauf aufbauen. Ich werde mich besonders anstrengen, um sicherzustellen, dass alle Hintergrundinformationen für sie zugänglich und verfügbar sind.

Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschung?

Aguilera: Das Projektteam wird erheblich wachsen, und das Projekt wird viel schneller vorankommen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Der START-Preis ist eine großartige Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln und diese Art von faszinierenden Fragen zu untersuchen. Die Teammitglieder werden sehr glücklich darüber sein, in einem START-Projekt zu arbeiten.

Zum Projekt

Im Projekt „Proofs Beyond the Transfinite“ kombinieren die Forscher:innen die Beweistheorie mit der Berechenbarkeitstheorie und der Mengenlehre, um jenseits der Unendlichkeit nach mathematischen Werkzeugen zu suchen, mit denen sie feststellen können, ob mathematische Fragen Antworten haben oder nicht.

„Wir haben jetzt die Möglichkeit, uns mit diesen tiefen Fragen zu befassen.“ Juan P. Aguilera

Was ist Ihre Motivation, diese Forschung zu betreiben?

Aguilera: Wie könnte man nicht dafür motiviert sein? Ich denke, das sind einfach so spannende Fragen. Erinnern Sie sich nicht daran, wie Sie als Kind über Mathematik, Zahlen und Unendlichkeit nachgedacht haben und wo das alles endet? Zumindest ich erinnere mich daran. Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, uns mit diesen tiefen Fragen zu befassen.

Wie sind Sie zu diesem Forschungsgebiet gekommen?

Aguilera: Das ist eine ziemlich lustige Geschichte. Es muss in der ersten oder zweiten Woche meines Studiums gewesen sein. Ich hatte einen Algebra-Kurs belegt und habe immer gerne im Lehrbuch vorgelesen, um nach Spoilern zu suchen. Ich habe in dem Buch eine Bemerkung über die Axiome der Mathematik, ihre Grundlagen, gesehen. Nach dem Unterricht ging ich also zum Professor und fragte: „Was soll das bedeuten? Was sind die Axiome?“ Er hat mich angesehen und mit sehr ernster Stimme gesagt: „Denken Sie nie darüber nach.“ Natürlich war ich ein rebellischer Student und bin sofort in die Bibliothek gegangen, um das nachzuschlagen. Ich glaube, das war die ganze Zeit der Plan des Professors.

Der FWF-START-Preis

Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.