Der Landwirtschaftsbetrieb der Familie Arenberg auf Deichen im heutigen Belgien/Luxemburg war eine wichtige Einkommensquelle. Adelige vergaben auch Kredite und kurbelten so die Wirtschaft an. © Bernard C. Ridderbosch (1785), Privatsammlung

„Follow the money“, die Spur des Geldes aufnehmen, lautet ein Grundsatz solider Recherchearbeit. Veronika Hyden-Hanscho vom Institute for Habsburg and Balkan Studies der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beleuchtet in ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Einkommen, Management und ökonomisches Denken (IMET)“ das Wirtschaften der Aristokratie als bisher unterreprĂ€sentierten Aspekt der Adelsforschung. Sie nimmt also die damalige politische Elite auch in ihrer Bedeutung fĂŒr das Wirtschaftsleben in den Blick. „Traditionell beschĂ€ftigt Adelsforschung sich mit der ReprĂ€sentation, also der Ausgabenseite, oder wirft ein Schlaglicht auf einzelne Familien. Ich bemĂŒhe mich um eine strukturelle Analyse der Einnahmenseite – also woher das Geld kam – und der wirtschaftlichen Rolle des Adels fĂŒr die Habsburgermonarchie zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert“, erlĂ€utert die Historikerin.

Nicht der eine Kassenzettel fĂŒr das protzige Kleid ist fĂŒr sie interessant, sondern eine möglichst vollstĂ€ndige BuchfĂŒhrung und Korrespondenz sind es. Von Einzelpersonen und anekdotischen Analysen will sie hin zur Erfassung der Gesellschaftsschicht als Gruppe. Die Datenerhebung in Wien, Prag, Klagenfurt und BrĂŒssel hat sie bereits abgeschlossen und zehn Familien in ihr Sample aufgenommen. Es zeigt sich, dass Adelige in der Monarchie in diversen Branchen aktiv waren und Strukturen fĂŒr Protoindustrie, Handel, aber auch Tourismus und Bankwesen mit aufbauten.

Disparate Archive – geografische Regionen

Hyden-Hanscho durchforstete in Tschechien, Belgien und Österreich zum Teil aufgeteilte, sowohl private als auch öffentlich zugĂ€ngliche Herrschafts- und Familienarchive – oder ließ sie durchforsten –, um aussagekrĂ€ftige Unterlagen ĂŒber GĂŒterverwaltung, Ämter, ProduktionsstĂ€tten und Grundbesitz zu sammeln. FĂŒr das Elise-Richter-Projekt hat sie einige Familien aus den damals wirtschaftlich starken und frĂŒh industrialisierten böhmisch-österreichischen KernlĂ€ndern ausgewĂ€hlt, die untereinander Heiratsnetzwerke pflegten und den Großteil des Wiener Hofadels stellten. Teil der Untersuchung sind aber auch Familien aus dem Herzogtum KĂ€rnten, die in der Montanindustrie tĂ€tig waren, und einige aus der wirtschaftlich fortschrittlichen Provinz der Österreichischen Niederlande (heutiges Belgien/Luxemburg), fernab von Wien.

Leihʌ mir was, dann gebʌ ich dir was

Durch ihre umfangreichen Untersuchungen kann die Historikerin belegen, dass Adelsfamilien seit der frĂŒhen Neuzeit wesentlich in den Aufbau eines funktionierenden Zahlungsverkehrs und Privatkreditsystems involviert waren. Grundbesitz war schon damals als Sicherheit anerkannt und schuf so die Ausgangssituation, um Geld zu verleihen: an andere Adelige, an Untertanen, aber auch an den Herrscher. Man vergab Obligationen, eine Art Kreditvertrag mit vereinbarten Zinsen, und sorgte so dafĂŒr, dass Geld im Land und Staat zirkulierte. „Man konnte mit Geld viel Geld machen. Es wurden MinibetrĂ€ge bis Riesensummen vergeben: dem Kaiser ein Vorschuss zur Kriegsfinanzierung ĂŒber Staatsanleihen, anderen Adeligen fĂŒr KĂ€ufe, Transaktionen oder Mitgiften. Dieses Kreditnetzwerk wurde bisher komplett ĂŒbersehen“, so Hyden-Hanscho. Das Aushelfen mit Geld diente auch dazu, (lukrative) Ämter im Staat und am Hof in die eigene Familie zu holen. Ähnlich funktionierte die Vergabe von Lehen – so hatte die Familie Paar aus der Steiermark einige Zeit das Postwesen zum Lehen. Der Adel vertrat in der Grundherrschaft die Herrschenden. An den Besitz von Grund und Boden wurden Steuereinhebung und Verwaltung gekoppelt, die Adelsfamilien mussten Verwaltungsstrukturen wie die Patrimonialgerichtsbarkeit und Finanzverwaltung, spĂ€ter auch Schulen unterhalten. Je grĂ¶ĂŸer und zusammenhĂ€ngender eine Grundherrschaft war, desto kostendeckender arbeitete die grundherrschaftliche Verwaltung – wie etwa in Böhmen. Bei kleinen und zersplitterten BesitzverhĂ€ltnissen, etwa im Alpenraum, war die RentabilitĂ€t zunehmend in Frage gestellt.

Textilmanufakturen (Leinen, Wolle, Mischgewebe) wurden in Böhmen von zahlreichen Familien betrieben, die bekannteste davon war die Familie Waldstein. © Herman Freudenberger: The Waldstein Woolen Mill. Noble Entrepreuneurship in Eighteenth-Century Bohemia, Boston 1963

Landwirtschaft, Industrie, Bergbau & ein Spa

Neben Geldverleih als Einkommensquelle gab es die traditionelle Bewirtschaftung von Grund und Boden, denn mit dem Besitz ging das Recht auf Ausbeutung der Rohstoffe einher: in Form von Landwirtschaft, wobei vor allem in Böhmen große FlĂ€chen bewirtschaftet werden konnten, oder Almwirtschaft in alpinen Lagen. In den Österreichischen Niederlanden betrieb die Familie Arenberg auf Poldern, also auf den dem Meer durch Deiche abgerungenen FlĂ€chen, intensive Landwirtschaft. Auch Montanindustrie, sprich Bergbau samt spezialisierter Weiterverarbeitung, war eine Einnahmequelle, etwa fĂŒr die Familie Lodron in KĂ€rnten. Textilmanufakturen (Leinen, Wolle, Mischgewebe) wurden in Böhmen von zahlreichen Familien betrieben, die bekannteste davon war die Familie Waldstein. Die traditionell in Heimarbeit gewobene und gesponnene Ware wurde zur zentralen Weiterverarbeitung in Manufakturen und protoindustrielle Fertigungskomplexe transportiert. Eine Familie in Böhmen hatte Ende des 18. Jahrhunderts bereits eine BĂ€derwirtschaft, also den VorlĂ€ufer einer Tourismusinfrastruktur, in Betrieb.

Erfolgsfaktoren fĂŒr adelige Unternehmer:innen

Eine verbreitete Annahme kann Veronika Hyden-Hanscho mit ihren Recherchen bereits entkrĂ€ften: Der Adelsrang ging durch kommerzielle BetĂ€tigung definitiv nicht verloren. Ab dem 18. Jahrhundert investierten Adelige auch in Handelsgesellschaften oder den Aufbau von Banken. Gearbeitet haben immer die Untertan:innen, aber wirtschaftlich erfolgreiche Familien eigneten sich definitiv Fachwissen an und waren in die GeschĂ€ftstĂ€tigkeit involviert, etwa die Ankurbelung des Vertriebs oder mit gezielten Instruktionen fĂŒr den Manufakturbetrieb. Man ließ nicht nur arbeiten, sondern traf bewusste Entscheidungen.

Die Unterschiede zwischen bĂŒrgerlichen und adeligen Betrieben, wirtschaftlichem Erfolg oder Misserfolg macht die Adelsforscherin nicht ausschließlich am Zugang zu ArbeitskrĂ€ften fest. Die grunduntertĂ€nige Arbeit, die unbezahlte „Robot“, konnte auch in Betrieben abgeleistet werden, fĂŒr Handarbeit oder Transporte. FĂŒr Facharbeit musste aber jedenfalls bezahlt werden und auch protoindustrielle Fertigungen im Verlagssystem wurden handelsĂŒblich bezahlt. Hyden-Hanscho dazu: „Der Adel hatte Zugang und Anrecht auf solche Dienste, aber das war kein echter Standortvorteil. Eher die Gesamtheit an Ressourcen einer Grundherrschaft wie Boden, Rechte und Untertan:innen oder Wirtschaftsförderungen, zunĂ€chst ĂŒber Privilegien, seit Maria Theresia in Form billiger Kredite, ĂŒber die in Gremien entschieden wurde, in denen Adelige vertreten waren.“ Auch die Heiratspolitik zĂ€hlte zu den Startvorteilen, wenn LĂ€ndereien vereint werden konnten. Solche Besitzheiraten gab es aber auch im BĂŒrgertum.

Die Einnahmenseite beschreiben

In einer stĂ€ndischen Gesellschaft ist Ungleichheit die Norm. Der Adel hatte in dieser ungleichen Gesellschaft Startvorteile im Grundbesitz, in der Heiratspolitik und den Ämtern, aber die Arbeitsbedingungen der einfachen Bevölkerung waren in allen Wirtschaftsbetrieben gleich schlecht. Ihre Forschungsergebnisse hĂ€lt Hyden-Hanscho in einer Monografie fest, die Anfang 2025 erscheinen soll. Darin wird erstmals zu lesen sein, wie sich das adelige Einkommen zusammensetzte, und es werden die Erkenntnisse zu Kreditwesen, Protoindustrien, GĂŒterwirtschaft, aber auch Schuldenmanagement und Konkursen prĂ€sentiert. Auch Adelige konnten trotz aller Privilegien Bankrott gehen oder eben Schlösser, Prunk und Gloria bezahlen.


Zur Person

Veronika Hyden-Hanscho studierte Geschichte und Deutsche Philologie in Graz und Poitiers und promovierte 2011 mit einer Arbeit, die aus dem FWF-finanzierten Forschungsprojekt „Kulturtransfer vom SĂŒdatlantik nach Zentraleuropa, 1640–1740“ resultierte. Sie war von 2011 bis 2013 Österreich-Lektorin an der UniversitĂ€t WrocƂaw (Polen) und von 2013 bis 2017 Projektmitarbeiterin am Institut fĂŒr Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Akademie der Wissenschaften. Derzeit ist sie Elise-Richter-Stelleninhaberin am Institute for Habsburg and Balkan Studies (IHB) der ÖAW. Im Herbst 2021 war sie Gastforscherin der UniversitĂ€t Gent (Belgien). Ihre Spezialgebiete sind Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Kulturgeschichte, Adelsforschung, Soziale Netzwerkanalyse und Fiscal-Military-State-Forschung insbesondere in der Habsburgermonarchie.


Publikationen

Hyden-Hanscho, Veronika: Habsburg War Finance and Noble Credit-Brokerage in the Southern Netherlands under Charles VI, in: William D. Godsey und Petr Mat’a (Hg.): The Habsburg Monarchy as a Fiscal-Military State. Contours and Perspectives 1648–1815, Proceedings of the British Academy 247, Oxford University Press 2022, S. 249–266

Hyden-Hanscho, Veronika: State services, fortuitous marriages and conspiracies: Trans-territorial family strategies between Madrid, Brussels and Vienna in the seventeenth and eighteenth centuries, in: Journal of Modern European History 2020

Godsey, William D., Hyden-Hanscho, Veronika (Hg.): Das Haus Arenberg und die Habsburgermonarchie. Eine transterritoriale Adelsfamilie zwischen FĂŒrstendienst und EigenstĂ€ndigkeit (16.–20. Jahrhundert), Schnell & Steiner 2019