Sprachenstreit im Trommelfeuer

Wer Deutsch spricht, steht loyal zu Ăsterreich. Das klingt vertraut. Und ist doch alt. Mehr als 100 Jahre alt, um genau zu sein. âMit dem Beginn des Krieges 1914 werden Sprachen und ihre Sprecher in loyal und illoyal eingeteiltâ, schildert Tamara Scheer. Die Wiener Historikerin untersuchte im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projektes âMehrsprachigkeit in der k.u.k. Armee und Zivilgesellschaftâ, den Umgang mit der Sprachvielfalt in der alten Armee ab 1868. Mit dem Ausgleich zwischen Ăsterreich und Ungarn wird in der gemeinsamen Armee auch der vielfĂ€ltigen Sprachenwelt der Monarchie Rechnung getragen. Zwar ist die Kommandosprache Deutsch, so wie auch die Dienstsprache, die Regimentssprachen indes orientieren sich an den jeweiligen Landessprachen. âElf Sprachen sind es, die in Verwendung sindâ, schildert Scheer im GesprĂ€ch mit scilog. Eine zwölfte kommt spĂ€ter hinzu. âWas damit bezweckt wurde, war, dass man den Soldaten die Möglichkeit geben wollte, sich in ihrer Sprache auszudrĂŒcken und wĂ€hrend ihrer dreijĂ€hrigen Dienstzeit keine andere oktroyiert zu bekommenâ, erlĂ€utert Scheer.
Gut gemeint
Und: Es stand auch die Erwartung dahinter, dass dieses Entgegenkommen ein höheres MaĂ an LoyalitĂ€t der Soldaten gegenĂŒber Kaiser und König fördert. âIn Friedenszeiten funktionierte das ganz gutâ, sagt die Historikerin. Wenngleich es RivalitĂ€ten gab, die eben ĂŒber die Regimentssprachen ausgetragen wurden. Spricht ein Regiment in Galizien nun Polnisch oder Ruthenisch? Das könne sich von Jahr zu Jahr Ă€ndern, stellt die Historikerin fest. Denn Jahr fĂŒr Jahr wurden die Sprachen erhoben. Und je nachdem, ob ein national gesinnter Pole oder ein national gesinnter Ruthene die Erhebung durchfĂŒhrt, kann sich das Ergebnis Jahr fĂŒr Jahr anders ausnehmen. âDa wurden dann die Juden, die Jiddisch sprachen â welches nicht als Regimentssprache vorgesehen war â den Polen oder den Ruthenen zugerechnet.â

Nicht ideal
Das System stieĂ in einem Reich, in dem weite Gebiete zwei-, wenn nicht ĂŒberhaupt mehrsprachig waren, bald an seine Grenzen (in der Vojvodina wurde neben Ungarisch auch Kroatisch, Serbisch und Deutsch gesprochen). Mehr noch, es förderte entgegen seiner Intention das Denken in nationalen Kategorien. Scheer: âWer in MĂ€hren, einem weitgehend zweisprachigen Raum, lebte und angab, von beiden Sprachen öfters Tschechisch zu sprechen, der kam in ein tschechisches Regiment.â Und wurde somit gleichsam zum Tschechen gemacht. WĂ€hrend sein Freund, sein Bruder in ein deutsches Regiment kam und zum Deutschen gemacht wurde. âDas interessante istâ, berichtet Scheer, âdass die UnzulĂ€nglichkeiten des Systems wohl erkannt, aber nie behandelt wurden.â Niemand wollte daran rĂŒhren. Schon gar nicht der Kaiser, der sĂ€mtliche Entscheidungen an die Peripherie seines Beamtenapparates delegierte, an die 15 Korpskommandos â, um nicht angreifbar zu sein. Dadurch wurden sprachliche Unstimmigkeiten immer wieder von Fall zu Fall entschieden. Wodurch die Regeln immer wieder flexibel ausgestaltet wurden, was wiederum zur Resilienz des Konstrukts beitrug.
Misstrauen an der Front
Die groĂe Belastungsprobe kam indes wĂ€hrend des Krieges 1914-1918. Hier, berichtet Scheer, mischten sich die Sprachen auf den Schlachtfeldern Galiziens, Serbiens, Italiens und wo die K.-u.-k.-Armee sonst noch kĂ€mpfte. Hier fanden sich die Soldaten des Kaisers und Königs in einem Sprach-Babylon wieder. â Im gegenseitigen Un- und MissverstĂ€ndnis, dem tschechische, slowenische und kroatische Soldaten durch die Entwicklung eines âArmee-Slawischâ entgegenwirkten, welches auch viele Deutsche, Ungarn, Italiener und RumĂ€nen beherrschten.

Fataler aber, so die Historikerin, die sich in dem FWF-Projekt durch Archive, Korrespondenzen und TagebĂŒcher aller Sprachen und Regionen der alten Monarchie arbeitete, sei das Misstrauen gewesen, welches wĂ€hrend des 1. Weltkrieges um sich griff. âDie deutsch sprechenden Ăsterreicher unterstellten den Tschechen nicht treu zum Kaiser zu stehenâ, erzĂ€hlt Scheer. Schlimmer noch. Die Ruthenen wurden von den Polen verdĂ€chtigt und beschuldigt, Spione des Zaren zu sein. Und die Deutschsprachigen nahmen diesen Verdacht auf. Die Folge waren massive Verbrechen und GrĂ€ueltaten der Armee an der eigenen Zivilbevölkerung in Galizien. Es blieben nicht die einzigen. Und je lĂ€nger der Krieg andauerte, desto offener wurden Vorbehalte gegenĂŒber anderen Sprachen demonstriert. âDa gab es Akte der Missachtung, die in Friedenszeiten massiv geahndet worden wĂ€renâ, sagt Scheer. Im Kriegsgetöse jedoch nicht mehr verfolgt wurden. âDabei hatte dieses System dazu gefĂŒhrt, dass man national gesinnter Tscheche und kaisertreu und loyal zur Armee sein konnteâ, stellt Tamara Scheer fest. Durchaus im Sinne seiner Schöpfer. âEs gibt eben verschiedene Kategorien der LoyalitĂ€t. Die Sprache allein ist kein ausreichendes Kriterium.â
Zur Person Tamara Scheer lehrt seit 2009 an der UniversitĂ€t Wien, seit 2012 war sie am Ludwig Boltzmann Institut fĂŒr Historische Sozialwissenschaft finanziert durch ein Hertha-Firnberg-Stipendium des FWF tĂ€tig, und forscht seit Oktober 2017 mit einem Elise-Richter-Stipendium des FWF am Institut fĂŒr OsteuropĂ€ische Geschichte der UniversitĂ€t Wien. DarĂŒber hinaus war die Historikerin als Gastwissenschafterin an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, an der European University in Florenz und am Trinity College Dublin tĂ€tig.
Publikationen und BeitrÀge
Konstruktionen von ethnischer Zugehörigkeit und LoyalitĂ€t in der k.u.k. Armee der Habsburgermonarchie (1868-1914), in: Alexandra Millner, Katalin Teller (Hrsg.), Gemengelagen. Transdifferenz, Migration und AlteritĂ€t in den Literaturen und Kulturen Ăsterreich-Ungarns, transcript Verlag (Bielefeld) in der Reihe âlettreâ 2017
Die k.u.k. Regimentssprachen: Eine Institutionalisierung der Sprachenvielfalt in der Habsburgermonarchie (1867/8-1914) in: Niedhammer, Martina/ Nekula, Marek et al. (Hg.), Sprache, Gesellschaft und Nation in Ostmitteleuropa. Institutionalisierung und Alltagspraxis. Göttingen 2014, 75-92
Habsburg Languages at War: âThe linguistic confusion at the tower of Babel couldnÂŽt have been worseâ, in: Languages and the First World War (Volume 1: Languages and the First World War: Communicating in a Transnational War), ed. by Christophe Declercq & Julian Walker, Palgrave: Basingstoke 2016, 62-78
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