Das Uhrwerk Wiener Hof

Am Wiener Hof des 18. Jahrhunderts arbeiteten mehr als 2.000 Personen â vom Obersthofmeister, dem Chef der gesamten Hofverwaltung, ĂŒber die KĂ€mmerer und Stallmeister bis zu den Knechten und WĂ€scherinnen. Dementsprechend vielfĂ€ltig und anspruchsvoll waren auch die Aufgaben des Personals, das das politische, öffentliche und private höfische Leben zu verwalten hatte. âDas waren grundverschiedene Jobs, die die Angestellten in den Griff kriegen musstenâ, erklĂ€rt Martin Scheutz von der UniversitĂ€t Wien. Unter der Leitung des Historikers haben Irene Kubiska-Scharl und Michael Pölzl das Hofpersonal erstmals in ihrer gesamten sozialen Bandbreite systematisch untersucht. Mit UnterstĂŒtzung des Wissenschaftsfonds FWF erfassten die Forscherinnen und Forscher insgesamt 6.229 Personen in 1.085 Ămtern (von A wie Abwaschjunge bis Z wie Zwergin) in einer Datenbank. Fast lĂŒckenlos ist damit nun das Personal des Wiener Hofes von 1711 bis 1806 zugĂ€nglich inklusive der Karriereschritte der einzelnen Angestellten. âAuf diese Weise lassen sich gröĂere strukturelle VerĂ€nderungen in der höfischen Organisation erkennenâ, so Scheutz im GesprĂ€ch mit scilog. Organisatorische Ănderungen machten sich, laut dem Experten, etwa in der zunehmenden Institutionalisierung von ursprĂŒnglich nur als temporĂ€r und unbezahlt konzipierten Ămtern bemerkbar oder in der Verschiebung von Bereichen innerhalb des Hofstaates. Die Hofverwaltung war ĂŒbrigens fast ein reiner MĂ€nnerbetrieb. Der Frauenanteil lag bei gerade einmal einem Prozent.
Karrieremechanismen
Wer einen Job bei Hof anstrebte, bewarb sich â ganz nach heutigem Stil â schriftlich beim âBĂŒroleiterâ mit Angaben zu Herkunft und Qualifikation. Diese âBittschriftenâ wurden in den Hofparteienprotokollen gesammelt, die auch Daten zu Besoldung, Nachbesetzung oder Pensionierung enthielten und damit das zentrale âGedĂ€chtnisâ der Hoforganisation darstellten. Kriterien fĂŒr eine Karriere am Hof waren sowohl die Familienangehörigkeit als auch fachliche Kompetenzen. Dass familiĂ€re Netzwerke nicht nur vom Adel, sondern auch von den mittleren und niederen RĂ€ngen der höfischen FunktionstrĂ€ger zum Wohl und Fortkommen der eigenen Familie eingesetzt wurden, legt die Aufarbeitung des Wiener Forscherteams dabei deutlich offen. Neben den Hofparteienprotokollen dienten dem Projektteam die Hofkalender als wichtige Quelle. Diese Druckwerke erschienen seit dem frĂŒhen 18. Jahrhundert mit Ausnahmen einmal jĂ€hrlich und enthielten ein Verzeichnis des Hofpersonals. Jeder, der mit dem Hof zu tun hatte, kaufte sich diese âInfobroschĂŒreâ. Wer bereits im Dienste des Herrschers war, konnte durch AnciennitĂ€t, das heiĂt aufgrund seines Dienstalters, seiner Erfahrung und Treue aufsteigen, wie das Beispiel des Johann Christian Schillinger zeigt: 1712 beginnt er seine Laufbahn bei Hof als âSpanischer Hofstall Schmiedâ, rĂŒckt 1746 zum âKlepperschmiedâ und 1753 zum Wagenschmied auf. âDer Vorteil einer Anstellung bei Hof war, dass Berufsperspektiven gegeben waren und nachvollzogen werden konntenâ, erlĂ€utert Martin Scheutz. Den Hofbediensteten der mittleren Positionen mussten darĂŒber hinaus Wohnungen in der Stadt zur VerfĂŒgung gestellt werden. Und am Wiener Hof wird unter Joseph II das Pensionssystem eingefĂŒhrt. â Unter anderem auch deshalb, weil der Hof in Zeiten der AufklĂ€rung immer stĂ€rker unter Reformdruck gerĂ€t. Durch das Pensionssystem kann der Hof lang gedientes Personal von der Gehaltsliste nehmen.
Ringen um Reformen
Erste Reformprozesse leitete Maria Theresia ein, welche nach der Thronbesteigung Josephs II ab 1765 rigoros fortgefĂŒhrt und verstĂ€rkt wurden. ReprĂ€sentative Bereiche wie Musik, Theater und Jagd wurden nun zugunsten der Versorgung, Verwaltung und Sicherheit reduziert. âJoseph II war sicherlich kein angenehmer Chefâ, sagt Martin Scheutz. âEr versuchte den Hof kleinzusparen, was mit groĂen Konflikten verbunden war.â Nach seiner Herrschaft ist der Hof dementsprechend auch wieder gewachsen. Denn um sicherzustellen, dass jederzeit und alles funktioniert, braucht es eingespielte Teams und viel Know-how. Um etwa öffentliche Auftritte mit mehreren Tausend Personen zu organisieren, bedurfte es monatelanger Vorbereitungszeit. âSo etwas hat wie am SchnĂŒrchen funktioniertâ, erlĂ€utert der Historiker, den das hohe MaĂ an ProfessionalitĂ€t ĂŒberraschte â, wozu auch zĂ€hlt, dass vieles verschriftlicht wurde. Vom Wein bis zum Wagen und zu Krisensituationen â am Wiener Hof war jeder Ablauf gesichert, wie auch das Beispiel der Flucht des Hofes anlĂ€sslich der Koalitionskriege gegen Napoleon deutlich macht: Die NotfallplĂ€ne sahen exakte Reiserouten, LadeplĂ€ne und eine aufwendige Kutschenorganisation vor. âDas hat nichts mit einer barocken Betulichkeit zu tun, sondern zeugt von hartem Management, das eine straffe Organisation und MitarbeiterfĂŒhrung einschlossâ, betont Projektleiter Martin Scheutz. Die Ergebnisse und Daten dieser umfassenden Archivarbeit sind wertvolle Grundlagen fĂŒr weiterfĂŒhrende, vor allem organisations- und sozialgeschichtlich ausgerichtete Forschungen.
Zur Person Martin Scheutz ist Professor fĂŒr Neuere Geschichte an der UniversitĂ€t Wien und Mitglied des Instituts fĂŒr Ăsterreichische Geschichtsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Stadtgeschichte, Erforschung von Selbstzeugnissen sowie Alltag und KriminalitĂ€t. Das FWF-Projekt âPersonal und Organisation des Wiener Hofes 1715-1806â wurde Ende 2016 abgeschlossen.
Publikationen
Irene Kubiska-Scharl, Michael Pölzl: Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711-1765. Eine Darstellung anhand der Hofkalender und Hofparteienprotokolle, Reihe: Forschungen und BeitrÀge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 58, Studienverlag 2013
Irene Kubiska-Scharl, Michael Pölzl: Das Ringen um Reformen. Der Wiener Hof und sein Personal im Wandel 1766-1792, Mitteilungen des Ăsterreichischen Staatsarchivs, Bd. 60, Wien 2017 (in Vorbereitung)
Projektwebsite: www.univie.ac.at/hofpersonal