Wie Daten unsere StÀdte verÀndern
Sie wissen, was wir kaufen, wen wir treffen und wohin wir fahren oder spazieren. Airbnb, Amazon, DriveNow, Google Maps, Lieferando, Lime und Uber sind nur eine kleine Auswahl an Plattformen und Services, die Daten ĂŒber MobilitĂ€t und Kaufverhalten sammeln. Mithilfe dieser DatenfĂŒlle gestalten Technologiekonzerne urbane RĂ€ume fĂŒr die optimale Nutzung ihrer Services um. Ein PhĂ€nomen, das sich mit dem Begriff Plattform-Urbanismus bezeichnen lĂ€sst. âTechnologiekonzerne besitzen immenses Wissen ĂŒber stĂ€dtische MobilitĂ€t. Dieses Know-how setzen sie in Kontakt mit Stadtverwaltungen etwa dazu ein, neue Verkehrssysteme zu schaffenâ, erklĂ€rt der Kunst- und Architekturtheoretiker Peter Mörtenböck. Er weiĂ: In den Architekturabteilungen von Alphabet und Amazon entstehen die datengestĂŒtzten Stadtteile von morgen.
Peter Mörtenböck und sein Team wollten wissen: Wie verĂ€ndern Daten, Ăffentlichkeit und urbane RĂ€ume einander? UnterstĂŒtzt durch den Wissenschaftsfonds FWF betrieben die Forschenden ĂŒber einen Zeitraum von fĂŒnf Jahren kĂŒnstlerische Grundlagenforschung, hielten Konferenzen ab, entwickelten Ausstellungen, verlegten zwei BĂŒcher und etablierten Kooperationen. In dieser Projektlaufzeit waren mehr als 100 Personen forschend eingebunden.
Internationale kĂŒnstlerische Forschung
Der Prozess war international gestaltet. In London sammelte man Wissen ĂŒber VideoĂŒberwachung. Eine Reise nach Tallinn ermöglichte Erkenntnisse ĂŒber E-Governance, eine weitere nach Mumbai ĂŒber Umgebungen, die nur rudimentĂ€r von Technologiekonzernen mitgestaltet werden. Mehrmals besuchte das Kernteam das Silicon Valley. Die Forschenden fĂŒhrten GesprĂ€che mit Architekt:innen und Mitarbeitenden von Apple, Meta und Alphabet. âWir haben uns vor allem die Campus-Architektur sowie die PlĂ€ne fĂŒr deren Erweiterungen durch neue Wohngebiete angesehen. Diese sind Prototypen fĂŒr zukĂŒnftige Wohnsiedlungenâ, erzĂ€hlt Mörtenböck. Dabei wurde auch die Rolle von Patenten prĂ€sent. âDas Steve Jobs Theater am Apple-Campus und die Gestaltung der Amazon-WarenhĂ€user sind nur einige Beispiele fĂŒr patentierte Gestaltungenâ, erklĂ€rt der Professor fĂŒr Visuelle Kultur.
KĂŒnstlerische ForschungszugĂ€nge, etwa in Form von Zeichnungen und Animationen, halfen den Forschenden, eigene Annahmen zu Themen wie der Datenöffentlichkeit zu hinterfragen. Kreative AnsĂ€tze haben auch weitere Vorteile. âEin groĂes Anliegen war uns zu vermitteln, wie jede und jeder Einzelne in die Datenproduktion involviert ist. Wenn man weiĂ, wie sich die Umwelt schleichend verĂ€ndert, bekommt man eine Idee davon, welche Daten gesammelt werden und was sie können. KĂŒnstlerische Forschung hilft, eine Schnittstelle mit der Ăffentlichkeit zu findenâ, sagt Mörtenböck. So entwickelten die Projektmitarbeiter Lovro Koncar-Gamulin und Christian FrieĂ etwa Videoinstallationen und Animationen als visuelle Ăbersetzungen des Forschungsprozesses. In KĂ€rnten, der Steiermark und Vorarlberg diskutierte man mit Interessierten. Im Rahmen von Konferenzen in Wien, London und Los Angeles wurde mit internationalen Forschenden und Expert:innen debattiert.
Die groĂe BĂŒhne in Venedig
Die breite Ăffentlichkeit erreichte das Projekt im Rahmen der Architektur-Biennale in Venedig. Mit dem Architekten und Kulturtheoretiker Helge Mooshammer kuratierte Peter Mörtenböck von Mai bis November 2021 den österreichischen Pavillon. Unter dem Titel âWe Like. Platform Austriaâ stellten sie ihre Auseinandersetzung zu Daten, Ăffentlichkeit und Raum in den Fokus. Den rund 300.000 Besucher:innen kamen etwa raumfĂŒllende Schilder entgegen. Darauf prangten Slogans wie âAccess Is The New Capitalâ â als Zeichen dafĂŒr, wie Netflix oder Amazon Prime mit kostenpflichtigen Abos ZugĂ€nge zu Inhalten kontrollieren und monetarisieren. Der Slogan âThe Platform Is My Boyfriendâ hob die gefĂŒhlsmĂ€Ăige Bindung an Plattformen hervor. Manche der Besucher:innen nutzen die Schilder als Hintergrund fĂŒr Instagram-Fotos.
Videos, Animationen, eine Collage, die Fotos von durch Sensoren verĂ€nderte Umwelten zeigte, sowie Patentzeichnungen von Co-Working-Spaces und innerstĂ€dtischen Verteilungszentren sollten dazu inspirieren, sich mit den VerĂ€nderungen der urbanen Umwelten auseinanderzusetzen. ErgĂ€nzt wurde die Ausstellung durch Live-Diskussionen mit renommierten Architekturblogger:innen zu Themenfeldern von E-Commerce bis zur Gig-Economy. Ein Fokus war, Besucher:innen einzubeziehen, etwa indem diese Fotos ihrer optimalen urbanen Zukunftsvisionen in eine Datenbank hochladen konnten. Diese Visionen flieĂen nun in ein ebenfalls vom FWF finanziertes Folgeprojekt zu Plattform-Urbanismus ein, an dem Peter Mörtenböck und sein Team seit MĂ€rz 2022 arbeiten. Im Mai 2023 nimmt die Ausstellung âWe Like. Platform Austriaâ dann an der Piazza Maggiore in der historischen Altstadt Bolognas Platz.
Zur Person
Peter Mörtenböck hat Psychologie, Architektur sowie Stadt- und Umweltforschung in Wien und Graz studiert und in Kulturgeschichte habilitiert. Er ist Professor fĂŒr Visuelle Kultur an der FakultĂ€t fĂŒr Architektur und Raumplanung der Technischen UniversitĂ€t Wien sowie Research Fellow am Goldsmiths College der University of London. Gemeinsam mit Helge Mooshammer grĂŒndete er mit dem Centre for Global Architecture eine interdisziplinĂ€re Forschungsplattform. Er forscht zu neuen Datenöffentlichkeiten, globalem Ressourcenverbrauch und urbaner Spekulation. FĂŒr die beiden kĂŒnstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekte âDatenzeichen in der Ăffentlichkeitâ (2016â2021) und âPlattform Stadtâ (2022â2026) hat der Projektleiter rund 743.000 Euro an Forschungsmitteln vom Wissenschaftsfonds FWF eingeworben.
Publikationen & BeitrÀge
Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer (Hg.): Platform Urbanism and Its Discontents, nai010 publishers 2021
Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer: We like â Austriaâs Contribution to the 17th International Architecture Exhibition â La Biennale di Venezia 2021
Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer (Hg.): Data Publics â Public Plurality in an Era of Data Determinacy, Routledge 2020