Kunstkritik in Zeiten von sozialen Medien

In der Schule hat man mit Kunst hauptsĂ€chlich auf zwei Arten zu tun: Entweder man betĂ€tigt sich selbst kĂŒnstlerisch oder man lernt Kunstgeschichte. Doch Bildnerische Erziehung könne viel mehr sein, ist Iris Laner, Professorin fĂŒr Bildende Kunst und Bildnerische Erziehung am Mozarteum in Salzburg, ĂŒberzeugt. Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte. In der Antike galt Ă€sthetische Bildung noch als Grundlage fĂŒr ein VerstĂ€ndnis der Welt: Sich gezielt mit Mythen und Kunst als fiktionale Welt auseinanderzusetzen stand notwendigerweise vor der Suche nach der Wahrheit in der echten Welt. Die starke emotionale Kraft der KĂŒnste galt vielen auch als Gefahr â Platon war darum Verfechter strikter Zensur.
Besserer Umgang mit sozialen Medien
Statt den Zugang zu Medien einzuschrĂ€nken, möchte Laner lieber das Potenzial eines verantwortungsvollen und kritischen Umgangs mit der Macht der Bilder ergrĂŒnden. Bildnerische Erziehung kann mehr als hochhehre Kunstliebe weitergeben, ist die studierte Philosophin ĂŒberzeugt: âUmfassende Ă€sthetische Bildung kann uns dabei helfen, uns insgesamt besser in der Welt zu orientieren.â
Wenn man lernt, die eigenen SinneseindrĂŒcke wahrzunehmen, einzuordnen und zu verstehen, kann man sich selbst und anderen besser erklĂ€ren, warum etwas auf einen wirkt und wie man selbst eigentlich mit Bildern umgeht â keine unwesentliche FĂ€higkeit in der Bilderflut der modernen Welt. Gerade auch, weil es um die subjektive Wahrnehmung geht. Anders als bei thematischen Debatten gibt es keine wirklich richtige oder falsche faktenbasierte Antwort darauf, ob ein Bild schön, bewegend oder eindrucksvoll ist. Man kann dazu selbst eine Meinung finden, aber auch lernen, andere Meinungen nachzuvollziehen.
âMuseumischâ kommt uns nicht ins Haus
In dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt âĂsthetische Praxis und KritikfĂ€higkeit: Bildung als Bedingung Ă€sthetischer Erfahrungâ untersucht Projektleiterin Laner, wie 14-JĂ€hrige mit unterschiedlichem Bildungshintergrund Bilder analysieren und besprechen, wie sie mit Ă€sthetischen Artefakten umgehen und wie sie sich Meinungen ĂŒber diese bilden. Dazu sollten die SchĂŒler:innen unter anderem ihre EindrĂŒcke zu drei unterschiedlichen PortrĂ€ts in Fokusgruppeninterviews besprechen. Es zeigte sich, dass sie dabei gerne bekannte Floskeln, aber auch eigene Wortkreationen verwendeten, um komplexere Konzepte auszudrĂŒcken.
Das Wort âmuseumischâ zum Beispiel setzte sich durch, um zu beschreiben, warum man
ein bestimmtes Bild eher nicht bei sich zu Hause aufhĂ€ngen wĂŒrde: âFĂŒr die Jugendlichen war das eher ein Schimpfwort â und bedeutet oft, dass man sich nicht mehr weiter damit auseinandersetzt. Das gehört ins Museum, nicht in meine Welt, und ist damit nicht interessant fĂŒr michâ, erklĂ€rt Laner die vorlĂ€ufigen Ergebnisse des Grundlagenprojektes, das noch bis Ende des Jahres lĂ€uft.
Sprache prÀgt die vorherrschende Meinung
Die Sprache der Jugendlichen war richtungsweisend. Kam ein Begriff auf, wurde er meist weiter ĂŒbernommen. Die Diskussion kreiste oft lange um ein Thema, das zu Beginn angeschnitten wurde â etwa ob die dargestellte Person weiblich oder mĂ€nnlich ist â, das GesprĂ€ch folgte dann diesen Bahnen. Sprachliche ĂuĂerungen lenkten die Aufmerksamkeit und Bewertung in der Diskussion, aber ein Eindruck oder GefĂŒhl lĂ€sst sich nicht immer leicht in Wörter ĂŒbersetzen. Sprache ist daher auch nicht der einzige Ausdruck, den die SchĂŒler:innen verwendeten, um ihre Meinung preiszugeben.
Vieles, was gegen die vorherrschende Meinung ging, wurde eher ĂŒber Körpersprache bemerkbar, fand Laner heraus. In Beobachtungsprotokollen hielten sie und ihr Team solche Momente fest; zum Beispiel, als sich ein MĂ€dchen von der Gruppe wegdrehte und dann zu sich murmelte, dass nicht alle den dargestellten âGangsterâ so cool fĂ€nden.
Ergebnisse in den Unterricht bringen
âEs ist leichter fĂŒr SchĂŒlerinnen und SchĂŒler, abweichende Meinungen nichtsprachlich auszudrĂŒcken â es ist eine andere Ebene und bricht damit auch eingespielte Reaktionsmuster aufâ, betont Laner. Man könnte also im Unterricht beginnen, unterschiedliche Ausdrucksformen zu fördern: Fachsprache, Alltagssprache, aber auch Bilder und Gesten zulassen und als gleichwertig etablieren, um auf die EindrĂŒcke von Bildern zu reagieren.
Wie das in der Praxis funktionieren könnte, will Laner in einem Folgeprojekt untersuchen. Dabei geht es nicht nur darum, KritikfĂ€higkeit zu schĂ€rfen, sondern auch um die Bereitschaft, sich zum Nachdenken und NachfĂŒhlen anregen zu lassen: âWenn Kunst etwas beitragen kann, dann ist es, DenkrĂ€ume und FĂŒhlrĂ€ume zu schaffen. Das sollte allen Kindern und Erwachsenen zur VerfĂŒgung stehenâ, sagt die Philosophin und KunstpĂ€dagogin. Noch empfinden viele junge Menschen aber die Schwelle zwischen Kunst und Alltagskultur als hoch.
Zur Person
Iris Laner studierte Philosophie und Bildnerische Erziehung an der UniversitĂ€t Wien und promovierte an der UniversitĂ€t Basel ĂŒber âBild und Zeitâ. Sie absolvierte Forschungsaufenthalte an der UniversitĂ€t St. Gallen, der KU Leuven, der UniversitĂ€t TĂŒbingen und an der Akademie der Bildenden KĂŒnste in Wien. Seit 2019 ist sie Professorin fĂŒr KunstpĂ€dagogik am Mozarteum in Salzburg. Das Projekt âĂsthetische Praxis und KritikfĂ€higkeitâ (2017â2022) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 229.000 Euro gefördert.
Publikationen
Iris Laner: Ăsthetik, in: Milena Feldmann, Markus Rieger-Ladich, Carlotta VoĂ, Kai Wortmann (Hg.): SchlĂŒsselbegriffe der Allgemeinen Erziehungswissenschaft. PĂ€dagogisches Vokabular in Bewegung, Beltz Juventa 2022
Iris Laner: Dekonstruktion, in: Emmanuel Alloa, Thiemo Breyer, Emanuele Caminada (Hg.): Handbuch PhÀnomenologie, Mohr Siebeck 2022
Iris Laner: French Theory: Poststructuralism and Deconstruction, in: Kresimir Purgar (Hg.): The Palgrave Handbook of Image Studies, Palgrave Macmillan 2021
Iris Laner: Sehen in Gemeinschaft. Ăber Wissen und Erkenntnisse im Zuge gemeinschaftlichen Erfahrens, in: KunstpĂ€dagogische Positionen 54, Hamburg University Press 2021