Das sowjetische Passagierflugzeug Tupolew Tu-104 der Fluggesellschaft Aeroflot eroberte ab 1956 die Welt. Es ging aus dem strategischen Bomber Tuolew Tu-14 hervor. © Lars Söderström, CC BY-SA 3.0

Ob die Globalisierung an sich etwas Positives ist oder nicht, diese Frage beantwortet Peter Svik nicht eindeutig: FĂŒr ihn habe sie jedenfalls auch positive Aspekte. Mit Bestimmtheit aber lasse sich sagen, dass die RivalitĂ€t zwischen Ost und West nicht nur die Zivilluftfahrt transformiert habe, sondern durch die Entwicklung neuer Triebwerke wie Strahl- und Zweistromstrahlwerke ĂŒberhaupt erst neue RoutenfĂŒhrungen ermöglicht wurden. „Diese neuen Triebwerke waren ursprĂŒnglich fĂŒr die Luftwaffen der USA und der damaligen UdSSR entwickelt worden, um die Kampf- und TransportkapazitĂ€ten zu verstĂ€rken. Erst in einem zweiten Schritt wurden sie fĂŒr die Zivilluftfahrt adaptiert“, erklĂ€rt der leidenschaftliche Vielflieger und aktuelle Schrödinger-Stipendiat des Wissenschaftsfonds FWF Peter Svik.

Ohne die militĂ€rische Finanzierung hĂ€tte diese Entwicklung wahrscheinlich nie stattgefunden, weil sie extrem teuer war. Der Historiker bringt ein anschauliches Beispiel: „Die Entwicklung einer Atombombe hat rund 1,5 Milliarden Dollar gekostet. Die Entwicklung eines einzigen dieser neuartigen Triebwerke kostete 2,5 Milliarden Dollar in den Jahren 1945–46.“ Nicht einmal die US-Armee selbst hĂ€tte genaue Aufzeichnungen ĂŒber die Entwicklungskosten insgesamt. Svik spricht von „mindestens 30 bis 50 Milliarden Dollar“ – zum Wert des Dollars zur damaligen Zeit.

Transsibirische Route

Erst durch diese besseren Triebwerke ist die Reichweite der Flugzeuge so gestiegen, dass die Flugroute ĂŒber Sibirien, die Westeuropa mit Japan und Fernost verband, 1970 fĂŒr die zivile Luftfahrt eröffnet wurde. Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch die Verbesserung der Ost-West-Beziehungen in den spĂ€ten 1960er-Jahren. Hatte ein Flug nach Japan davor rund eineinhalb Tage gedauert, war es nun möglich, in sieben bis zehn Stunden bis nach Japan zu fliegen. „Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die spĂ€ten 1950er-Jahre verwendete die zivile Luftfahrt so genannte Luftschrauben. Dies limitierte die Geschwindigkeit und die Flughöhe“, erklĂ€rt Svik.

„Danach haben die Fluggesellschaften im Westen und Osten Strahltriebwerke von Luftwaffen adaptiert, im Westen die Typen Havilland Comet, Boeing B-707 und Douglas DC-10, im Osten Tupolev Tu-104. Die Strahltriebwerke sind aber besonders laut und haben einen höheren Treibstoffverbrauch. Seit den spĂ€ten 1950er-Jahren gab es vor allem in den USA, Großbritannien und Frankreich den Druck, die Triebwerke leiser und ökonomischer zu machen.“ In der Folge wurden die Zweistromstrahlwerke entwickelt, die seit den 1970er-Jahren und bis heute der Industriestandard sind. In der UdSSR hingegen wurden diese erst in den 1990er-Jahren eingefĂŒhrt.

Globalisierung

Aus strategischen wie auch machtpolitischen GrĂŒnden haben die Vereinigten Staaten und die OstblocklĂ€nder im Kalten Krieg Routen in die damals sogenannte Dritte Welt eröffnet. Auch Fluggesellschaften in Lateinamerika, Afrika und Asien wurden materiell und mit Know-how unterstĂŒtzt. Dies hat, wie Peter Svik aufzeigt, die Entwicklung der Luftfahrt in diesen LĂ€ndern vorangetrieben und damit die Vernetzung des globalen SĂŒdens mit dem globalen Norden. Damit war einer der Grundsteine fĂŒr die Globalisierung gelegt. Die Sicherheit der Passagiere war in der Logik des Kalten Krieges nachrangig, wichtig waren laut Svik militĂ€rische Sicherheit und Prestige – eine „Die-Ersten-die-GrĂ¶ĂŸten-Logik“. 

Warum die sowjetische Luftfahrt seit den spĂ€ten 50er-Jahren in ihrer Entwicklung stecken blieb, beantwortet Svik vor allem mit ökonomischen GrĂŒnden: „Die sowjetischen Produzenten hatte riesige Probleme, die Zweistromstrahlwerke zu konstruieren und zu produzieren, insgesamt hatte der ganze Ostblock Probleme mit der Automatisation durch die EinfĂŒhrung der Mikroelektronik.“ Diese sei auch von der „militĂ€rischen Nachfrage nach kleineren KommunikationsgerĂ€ten verursacht worden“. Auch hier war also das MilitĂ€r Technologietreiber.

Struktur der Arbeit

In acht Kapiteln beschreibt die aus dem FWF-geförderten Lise-Meitner-Projekt hervorgegangene Monografie „Zivilluftfahrt und die Globalisierung des Kalten Krieges“ die wichtigsten Entwicklungen von Mitte der 1940er- bis Ende der 1980er-Jahre. Das Buch deckt eine Vielzahl von Themen ab, von der diplomatischen und internationalen Geschichte ĂŒber die Wirtschafts- und GeschĂ€ftsgeschichte bis hin zur Technologiegeschichte. Svik recherchierte dabei auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs: „Ich arbeitete insgesamt rund zwei Jahre in Archiven und Bibliotheken in Washington, London, MĂŒnchen, Prag und Wien.“ GrundsĂ€tzlich sei es nicht schwierig gewesen, an die Dokumente heranzukommen, weil „sie meist schon fĂŒr Forschungszwecke freigegeben wurden“.

In einem zweiten Teil erweiterte das Projekt seinen Schwerpunkt von der Zivilluftfahrt auf die Technologien im Allgemeinen. Dieser Teil des Projekts fĂŒhrte 2018 zu einer großen internationalen Konferenz in Wien. In Vorbereitung ist aktuell eine Publikation, die sich der VerknĂŒpfung zwischen dem Kalten Krieg und technologischen Innovationen auch auf dem Gebiet des Schiffbaus, des Öltransports und des Pipelinebaus widmet.  

Derzeit ist Svik als Erwin-Schrödinger-Stipendiat des FWF am Institut fĂŒr Internationale Geschichte am Graduate Institute in Genf in Zusammenarbeit mit dem Institut fĂŒr OsteuropĂ€ische Geschichte der UniversitĂ€t Wien tĂ€tig. Er ist bei seinem Lieblingsthema, der Luftfahrt, geblieben und forscht zur EuropĂ€isierung der Flugverkehrskontrolle seit den 1950er-Jahren.


Zur Person

Peter Svik war u. a. Visiting Fellow an der Britischen Akademie in London, an der École normale supĂ©rieure in Paris und am Leibniz-Institut fĂŒr EuropĂ€ische Geschichte in Mainz sowie auch Guggenheim Fellow am Smithsonian National Air and Space Museum in Washington und Marie Curie Fellow an der UniversitĂ€t Tartu. Svik studierte Politikwissenschaft und internationale Geschichte an der Comenius-UniversitĂ€t in Bratislava und an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften. Das Meitner-Projekt „Zivilluftfahrt und die Globalisierung des Kalten Krieges“ (2017–2020) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 160.000 Euro gefördert.


Publikationen

Svik, Peter: Civil Aviation and the Globalization of the Cold War. Palgrave Macmillan 2020

Ć vĂ­k, Peter: FebruĂĄr 1948 a civilnĂĄ leteckĂĄ doprava medzi VĂœchodom a ZĂĄpadom, in: SoudobĂ© dějiny, 27(1), pp. 100-115, 2020