Im LĂ€ndervergleich schneidet Österreich in punkto Datentransparenz und QualitĂ€tsmessung im Gesundheitswesen nicht gut ab, wie nun auch die Coronakrise verdeutlicht hat. © Jesse Orrico/unsplash

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie blickt die Welt gebannt auf Statistiken und Daten, um die Entwicklung dieser neuen Virus-Erkrankung zu verfolgen. Ihr Verlauf wird wie eine Fieberkurve in Echtzeit dokumentiert und verbreitet. Insbesondere im Gesundheitswesen ist ein solches Ausmaß an Informationstransparenz neu und ungewöhnlich. Doch Covid-19 ruft geradezu nach Transparenz, da das Virus viele Fragen aufwirft und die Verantwortlichen vor enorme Herausforderungen stellt. FĂŒr die Wissenschaft ist Corona zum Reallabor geworden, in dem unter anderem der Zugang zu medizinischen Daten zentral ist, um Vorhersagen tĂ€tigen zu können, wie und in welchem Zeitverlauf sich die Pandemie entwickeln wird.

Medizinische Daten nicht ausreichend

Dass in Österreich diesbezĂŒglich eine unbefriedigende Situation herrscht, zeigte zuletzt eine Reihe von Personen aus der Wissenschaft auf, die sich in einem Offenen Brief an den Gesundheitsminister wandten, um auf die fehlenden ZugĂ€nge zu Daten rund um die Coronakrise aufmerksam zu machen. Aus historischer Perspektive betrachtet, zeigt das nun zutage getretene Problem, dass Transparenz und QualitĂ€tsmessung im österreichischen Gesundheitswesen, besonders im Vergleich zu LĂ€ndern wie etwa Großbritannien, bis jetzt einen weniger prominenten Stellenwert hatten. Dass die Wissenschaft keinen Zugang zu Daten hat, ist ein Resultat davon, zu grobe Datenerhebung ein anderes, wie Albrecht Becker von der UniversitĂ€t Innsbruck erklĂ€rt: „Die medizinischen Daten, mit denen in Österreich im Augenblick operiert wird, sind nicht ausreichend“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler von der UniversitĂ€t Innsbruck. Gemeinsam mit Silvia Jordan leitet Becker seit 2018 ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt zur QualitĂ€tsmessung im österreichischen Gesundheitswesen.

Kontextrelevante Informationen fehlen

In ihren laufenden Analysen stellen Becker und Jordan unter anderem fest, dass es hĂ€ufig an kontextrelevanten Informationen fehlt, die Zahlen nachvollziehbar machen. „Da steht man schnell schon bei ganz einfachen Fragen an, wie etwa zur Zahl der Intensivpatienten, die nicht erklĂ€rt, warum sie sinkt oder steigt“, erklĂ€rt Silvia Jordan. Wurden die Patientinnen und Patienten verlegt oder sind sie verstorben? Solche Fragen bleiben aktuell in der QualitĂ€tsmessung offen. Auch bei den Sterbedaten zu Corona gibt es keine öffentlich zugĂ€nglichen Informationen darĂŒber, welche Vorerkrankungen es gab. Doch nur so könnte man das Virus besser verstehen und Risikogruppen schĂŒtzen. Ebenso werde zu den Modellen wenig Information zu ihren Basisannahmen geliefert, so Becker und Jordan. Gerade bei Prognosen fĂŒr die Zukunft wĂ€re es aber wesentlich zu wissen, welche Annahmen dahinterstehen.

Nutzung von Routinedaten fĂŒr das QualitĂ€tsmanagement

Einblicke in die Datenlage und -transparenz des österreichischen Gesundheitswesens liefert dem vierköpfigen Forscherteam in Innsbruck ihre Forschung ĂŒber das System zur QualitĂ€tsmessung von stationĂ€ren Krankenhausaufenthalten, das 2013 im Zuge der Gesundheitsreform österreichweit eingefĂŒhrt wurde. QualitĂ€tsindikatoren, die sogenannten A-IQIs (Austrian Inpatient Quality Indicators), werden laufend anhand von Krankheitsbildern und Behandlungsformen erfasst. Dabei werden unter anderem SterbefĂ€lle, Komplikationsraten oder VersorgungsverlĂ€ufe gemessen. Basis fĂŒr die Berechnung der Kennzahlen sind Daten, die von den KrankenhĂ€usern ohnedies zur Abrechnung ihrer Behandlungsleistungen erhoben werden, sogenannte Routinedaten. Das erfolgt unter anderem vor dem Hintergrund, dass die Dokumentationslast in den KrankenhĂ€usern schon jetzt sehr hoch ist und das Personal nicht noch mehr belastet werden soll.

Unklare und isolierte Datenerhebung

Gleichzeitig bringt es Nachteile mit sich, wie Silvia Jordan und Albrecht Becker erlĂ€utern. „Bei den A-IQIs geht es um ErgebnisqualitĂ€tsmessung, wobei es keine Einigkeit darĂŒber gibt, was Ergebnis bedeutet und welche Standardwerte dafĂŒr gelten sollen“, sagt Jordan. Zudem wĂŒrden die Krankenhaus-FĂ€lle in relativ groben Kategorien erfasst. „Das ist beispielsweise in Deutschland anders, wo es im Prinzip das gleiche System gibt, aber dieses detaillierter ist.“ Das habe zur Folge, dass man etwa österreichische Daten zu MortalitĂ€t nicht mit denen aus Deutschland vergleichen könne. Auch das Erzielen von Lerneffekten ist damit laut den Forschenden schwieriger, weil die Messergebnisse zu wenig trennscharf sind. Ein hĂ€ufiger Kritikpunkt, der von außenstehenden Expertinnen und Experten am aktuellen System geĂ€ußert wird, ist zudem die fehlende Dokumentation der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Dienstleistern im Gesundheitssystem. Wie Krankheitsgeschichten nach einem stationĂ€ren Aufenthalt verlaufen, wird bis heute im österreichischen Gesundheitssystem nicht systematisch analysiert. „Es gibt allerdings Diskussionen dazu, diese Dokumentation ĂŒber die verschiedenen Dienstleistungsbereiche auszuweiten und die Daten zusammenzufĂŒhren“, so Becker. Derzeit werden die Ergebnisse der A-IQI Erhebungen in einem jĂ€hrlichen Bericht des Gesundheitsministeriums veröffentlicht und in stark reduzierter Form auf kliniksuche.at an die Öffentlichkeit kommuniziert, lassen aber keine RĂŒckschlĂŒsse auf einzelne KrankenhĂ€user zu, und liefern auch wenig Kontextinformation, die fĂŒr die Interpretation der Daten wichtig wĂ€re.

Diskurse fördern und Interessen erheben

In ihrem noch bis 2021 laufenden Grundlagenprojekt fĂŒhrt das Innsbrucker Forscherteam auch Fallstudien in ausgewĂ€hlten KrankenhĂ€usern durch. Um einen detaillierten Blick in die internen AblĂ€ufe der KrankenhĂ€user zu erhalten, werden Interviews mit verschiedenen Interessensgruppen wie VerantwortungstrĂ€gern, Medizinerinnen und Medizinern oder dem Pflegepersonal gefĂŒhrt. Das Ziel der Forschenden ist, die verschieden Perspektiven und Interessen zusammenzufĂŒhren und die Ursachen der derzeit mangelnden Transparenz sowie die Anwendung der QualitĂ€tsdaten zur Diskussion zu stellen. Das derzeitige QualitĂ€tssystem sei weder ein Instrument des internen QualitĂ€tsmanagements noch das eines der Patienteninformation, ziehen die Forschenden eine erste Bilanz. Auch mit Blick auf den internationalen LĂ€ndervergleich wĂ€re mehr Transparenz und Diskurs zu den Kennzahlen wĂŒnschenswert. „Es gibt Lernmöglichkeiten, die jetzt nicht genĂŒtzt werden, um etwa zu verstehen, warum sich etwas nicht vergleichen lĂ€sst“, erklĂ€rt Jordan. Vielleicht lassen die Erfahrungen aus der Corona-Krise die Lernkurve kĂŒnftig steigen, sodass ein Lerneffekt lautet:  Daten werden erst dann fĂŒr wissenschaftliche und gesellschaftliche Lernprozesse sinnvoll nutzbar, wenn sie nicht nur öffentlich zugĂ€nglich, sondern vor allem auch hinsichtlich der Bedingungen ihrer Erstellung transparent diskutiert werden.


Zu den Personen Silvia Jordan ist Professorin fĂŒr Management Accounting am Institut fĂŒr Organisation und Lernen der UniversitĂ€t Innsbruck. Ihre Forschungsinteressen liegen in der interdisziplinĂ€ren Forschung in den Bereichen Accounting, Risiko und Regulierung sowie Organisationslernen. Jordan ist Leiterin des FWF-Projekts „QualitĂ€tsmessung im Gesundheitswesen: Diskurse und Praktiken“ (2018-2021). Albrecht Becker ist Professor fĂŒr Management Accounting am gleichen Institut der UniversitĂ€t Innsbruck. Sein Forschungsfokus liegt auf sozialwissenschaftlichen Analysen von  Controlling in Nonprofit-Organisationen wie dem Gesundheitswesen, UniversitĂ€ten sowie im Bereich internationale Entwicklung und Philanthropie.


BeitrÀge

Neff, P., Becker, A., & Jordan, S.: From local concerns to national solutions: The emergence of a national healthcare quality assessment system in Austria. Working paper, 2020