Regional ist nicht banal
 
            âBis auf wenige Ausnahmen geschieht regionales Engagement von Hochschulen im nicht-kommerziellen Bereich meist auf freiwilliger Basis und basiert auf groĂer Motivation und Ăberzeugung auf Seiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerâ, stellt Verena Radinger-Peer fest. Die Wissenschaftlerin ist Raumplanerin und Regionalforscherin an der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Wien. Die Anerkennung oder gar Institutionalisierung dieses Engagements findet nicht statt, wodurch es an SelbstverstĂ€ndlichkeit und Legitimation mangelt. Diese Kritik mag ĂŒberraschen, pflegen viele Hochschulen zu Wirtschaft und Industrie durchaus enge Beziehungen. Indikatoren wie die GrĂŒndung von Spin-offs, die Zahl der Patentanmeldungen oder UmsatzzuwĂ€chse durch Forschung und Entwicklung bilden diese quantitativ ab. Im Zentrum dieser Art von regionaler Mission steht jedoch die kommerzielle Funktion von Hochschulen. Ein neueres VerstĂ€ndnis von regionalem Engagement bezieht mitunter auch nachhaltige Regionalentwicklung und deren soziale und ökologische Dimension mit ein. Der Bereich nicht-kommerzieller regionaler AktivitĂ€ten wurde nun von Radinger-Peer in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt erstmals im Detail untersucht. Damit sind etwa Leistungen der Hochschule als Beraterin, Vermittlerin zwischen regionalen Stakeholdern oder als Expertin bei lokalen Strategieprozessen gemeint. Die Diskussion um die sogenannte âThird Missionâ, sprich: die Leistungen einer Hochschule fĂŒr die Region und die Gesellschaft, die ĂŒber Lehre und Forschung hinausgehen, ist in vollem Gange, und die Agenda 2030 fĂŒr nachhaltige Entwicklung verstĂ€rkt den Druck. Ob und wie sich Hochschulen regionale Herausforderungen selbst zum Inhalt geben, zĂ€hlen zu den zentralen Fragen, denen die Forscherin aktuell nachgeht.
Regionales Engagement ist langer Prozess
Nicht nur der Forschungsfokus auf nicht-kommerzielle regionale AktivitĂ€ten ist neu, sondern auch die prozessorientierte Herangehensweise sowie der lĂ€nderĂŒbergreifende Vergleich anhand von drei Fallstudien. Mit UnterstĂŒtzung von Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und den Niederlanden untersucht Verena Radinger-Peer aktuell die Entwicklungen der vergangenen dreiĂig Jahre von je zwei Hochschulen in den Regionen Linz-Wels (Ăsterreich), Westpfalz (Deutschland) und Twente (Niederlande). Indem sie den Prozess von der GrĂŒndung der Hochschule bis heute analysiert, wird vieles verstehbar: Wie entwickelt eine Hochschule ihre Rolle in der Region? Welche Faktoren beeinflussen regionales Engagement? Warum funktioniert es trotz Ă€hnlicher Voraussetzungen mal besser, mal schlechter? Zu ihren Ergebnissen gelangt sie durch die Kombination mehrerer Methoden. Bisher wurden in Summe rund 73 Tiefen-, und 15 offen erkundende Interviews mit Personen von sechs Hochschulen durchgefĂŒhrt sowie mit regionalen Akteuren â von BĂŒrgermeistern bis zu NGO's â, die sich in der Regionalentwicklung engagieren. Fokusgruppen sind fĂŒr 2020 geplant. DarĂŒber hinaus analysiert die Forschende alle relevanten Dokumente der vergangenen drei Jahrzehnte, worin sich Informationen ĂŒber die GrĂŒndungs- und Entwicklungsgeschichte der Hochschulen finden. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit gibt es viel Gemeinsames: GröĂe, GrĂŒndungszeitpunkt nach dem 2. Weltkrieg, ein vergleichbares FĂ€cherspektrum, dass sie nicht die einzige Hochschule in der Region sind und mit Strukturwandel konfrontiert waren.
Eigennutz steht ĂŒber Regionalentwicklung
âIch wĂ€re damit zurĂŒckhaltend, Hochschulen per se als Treiber eines Wandels oder sie als Change Agents fĂŒr ihre Region zu bezeichnen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die regionale Rolle von vielen Faktoren beeinflusst wird. Dabei sind nicht immer regionale Problemstellungen der Ausgangspunkt, sondern Hochschulen initiieren mitunter parallele regionale Entwicklungswegeâ, betont die Forscherin und nennt als Beispiel Arbeitslosigkeit: Die in der Studie verglichenen Hochschulen bieten ArbeitsplĂ€tze an und ziehen Studierende sowie Betriebe in die Region. Allerdings bringen sie keinen neuen Lösungsweg hervor. HĂ€ufig erschaffen Spin-off-GrĂŒndungen zwar neue Branchen, das erreiche aber oft die Menschen in der Region nicht. Jene, die von Langzeit- oder Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind, profitieren kaum von diesen AktivitĂ€ten. âEs hat sich daher gezeigt, dass Hochschulen vor allem innerhalb ihrer eigenen Interessen aktiv sind und sich dort engagieren, wo es ihnen etwas bringtâ, erklĂ€rt Radinger-Peer und ergĂ€nzt: âRegional wurde in den Interviews zudem mehrfach mit âprovinziellâ assoziiert, was im Gegensatz zum Streben der UniversitĂ€ten nach InternationalitĂ€t steht.â Davon sei die Regionalpolitik mitunter enttĂ€uscht.
Wandel auf allen Ebenen nötig
Was sind daher nun mit Blick auf nicht-kommerziellen Wissenstransfer die zentralen Einflussfaktoren, damit eine Hochschule aktiv wird? Es deutet vieles auf ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen Einflussfaktoren hin. Obwohl auch internationale Diskurse oder einzelne Pioniere eine Rolle spielen, sind die Ebenen Umfeld, Organisation und Individuum wesentlich. Um sich in der nachhaltigen Regionalentwicklung als Akteur zu etablieren, mĂŒssten laut der Forscherin alle Ebenen zusammenwirken. Derzeit gibt es in punkto regionales Engagement ĂŒber alle Fallbeispiele und Regionen hinweg jedoch eine lange MĂ€ngelliste: Diese reicht von fehlenden Anreizen fĂŒr die wissenschaftliche Karriere, ĂŒber nicht existente Schwerpunkte bei Förderprogrammen, bis zu ungĂŒnstigen Werten und Normen in den Disziplinen und einer Hochschulgesetzgebung, wo spezifische Kernthemen und -aufgaben unterbleiben. Anreize wie zum Beispiel in einer Hochschule in Kaiserslautern sind selten. âDort besteht die Möglichkeit, die Lehrstunden zu reduzieren, wenn man an einem regionalen Strategie-/Entwicklungsprozess mitwirktâ, berichtet Radinger-Peer.
Aufwertung folgt der Verantwortung
Obwohl es heute oft den Anschein hat, dass Hochschulen per se in der Region engagiert sind â an der Johannes Kepler UniversitĂ€t Linz wurden etwa seit den 1990ern mehrere Institute gegrĂŒndet, die sich gezielt dem Thema Umwelt und Nachhaltigkeit widmen â, heiĂt dies nicht, dass die Hochschule selbst die alleinige treibende Kraft dahinter ist. âDer Linzer Hochschulfonds, als österreichweites Unikum fĂŒr das Engagement der Stadt Linz und des Landes OĂ, ebnete den Weg fĂŒr das starke Agenda-Setting der Politik in Fragen der UniversitĂ€tsentwicklungâ, erklĂ€rt die Forscherin. In welche Richtung es in Sachen regionale Nachhaltigkeit gehen soll, geht hĂ€ufig von politischen Akteurinnen und Akteuren aus, aber auch die internationale Forschungsgemeinschaft kann eine Rolle spielen. Fakt ist, dass die untersuchten Hochschulen in ihrer Region alle eher reaktiv tĂ€tig werden. Selbst fĂŒr diesen Zweck eingerichtete Organisationseinheiten hĂ€tten laut Radinger-Peer oft zur Folge, âdass die Verantwortung fĂŒr regionales Engagement dorthin abgegeben werde.â Die âThird Missionâ erfordert jedenfalls eine ganzheitliche Herangehensweise sowie Ă€hnliche Ziel- und Wertvorstellungen auf beiden Seiten. Bis regionales Engagement an Hochschulen zur SelbstverstĂ€ndlichkeit wird, ist es noch ein weiter Weg. Erste Forschungsergebnisse holen es nun aber zumindest vom Schatten ins Licht der Aufmerksamkeit.
Zur Person Verena Radinger-Peer ist mehrfach ausgezeichnete Regionalforscherin mit Fokus auf Regionalentwicklung am Institut fĂŒr Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Wien. Zur Kooperation von Hochschulen und Region forscht sie noch bis Mitte 2021 im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programms des Wissenschaftsfonds FWF.
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