Vom Kannibalen zum Vorzeigevater

Sie sind zwischen 1,5 und 6 Zentimeter groĂ, haben oft eine knallig bunt gefĂ€rbte, giftige Haut, leben in Mittel- und SĂŒdamerika und unterscheiden sich stark vom Rest ihrer Gruppe. Die Rede ist von Pfeilgiftfröschen. Anders als viele andere Frösche sind sie tagaktiv, zeigen hohe TerritorialitĂ€t und legen ihre Eier an Land ab. Die Kaulquappen, die ein paar Wochen nach der Eiablage schlĂŒpfen, können jedoch nur im Wasser weiter ĂŒberleben. Dieses Dilemma â terrestrische Gelege und aquatische Kaulquappen â lösen die Pfeilgiftfrösche durch erhöhten Einsatz in der Brutpflege: Die Eltern nehmen die Kaulquappen nach dem SchlĂŒpfen auf den RĂŒcken und transportieren diese huckepack zu geeigneten Wasserstellen â ein fĂŒr Frösche generell untypisches Verhalten.
Strategische Planung beim Pfeilgiftfrosch
Eva Ringler ist seit ihrer Diplomarbeit fasziniert von der enormen Vielfalt im Paarungs- und Brutverhalten dieser Froschfamilie. Entgegen der landlÀufigen Annahme, dass Amphibien stark instinktgebunden sind, konnte sie mit ihrer Arbeit zeigen, dass Pfeilgiftfrösche strategisch planen und ihr Verhalten sehr flexibel an verÀnderte Bedingungen anpassen können. Die Biologin vom Messerli Forschungsinstitut der VeterinÀrmedizinischen UniversitÀt Wien erforscht dabei Allobates femoralis, einen ungiftigen Vertreter innerhalb der Pfeilgiftfrösche, braun gefÀrbt, mit einem hellen Seitenstreifen, der in Amazonien und dem Guyana-Schild weit verbreitet ist.
Engagierte VĂ€ter
Bei den Pfeilgiftfröschen gilt Damenwahl: Das Weibchen wĂ€hlt den Partner aktiv aus, indem sie sich in sein Territorium begibt, und sich dann in einem stundenlangen Balzritual vom MĂ€nnchen umwerben lĂ€sst. Nach der Eiablage verlĂ€sst das Weibchen das Territorium und das Gelege und kehrt zu ihrer vorherigen Sitzwarte zurĂŒck. Haben sich die Eier nach zwei bis drei Wochen fertig zu Kaulquappen entwickelt, ist es die Aufgabe des nur etwa zwei Gramm leichten MĂ€nnchens, sie ins Wasser zu transportieren. Mit dem Gelege am RĂŒcken hĂŒpft es durch den Regenwald und verteilt seinen Nachwuchs auf viele, teilweise weit vom Brutplatz entfernte TĂŒmpel.

Neue Froschpopulation
Aber wie weiĂ der Vater, wohin er das Gelege tragen soll? Um dieser Frage nachzugehen, siedelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Eva Ringler im Regenwald von Französisch Guyana Kaulquappen in einer zuvor nicht von diesen Fröschen besetzten Flussinsel in kĂŒnstlichen Wasserstellen an. Mittels genetischer Analysen konnten sie dabei einzelne Tiere im Laufe ihrer gesamten Entwicklung verfolgen â von der Kaulquappe zum adulten Frosch â und weiters auch Elternschaften zwischen Kaulquappen und ausgewachsenen Fröschen bestimmen, um so die Transportwege rekonstruieren zu können.
âBei manchen Arten bilden sich monogame Paare aus. Das ist bisher einzigartig bei Fröschen.â
Risikominimierung fĂŒr den Nachwuchs
Verschiedene Arten von Pfeilgiftfröschen haben verschiedene Strategien entwickelt, um ihren Nachwuchs aufzuziehen: Manche wĂ€hlen groĂe Wasserstellen â in denen es allerdings auch mehr Fressfeinde gibt â, manche verteilen die Kaulquappen auf kleine TĂŒmpel bis hin zu jener Art, die einzelne Kaulquappen in winzigen BromeliengewĂ€chsen ablegen, die nur von Regentropfen befĂŒllt werden â in denen es keine Feinde, aber auch keine Nahrung gibt. Bei dieser Art ĂŒbernimmt auch das Weibchen einen höheren Anteil an der Brutpflege, indem es den Nachwuchs mit unbefruchteten NĂ€hreiern fĂŒttert. âHier bilden sich sogar lĂ€ngerfristige sozial monogame Paare aus. Das ist bisher einzigartig bei Fröschenâ, berichtet Ringler. In einer aktuellen Studie konnten Ringler und ihr Team zeigen, dass Allobates femoralis beim Kaulquappentransport mehrere Wasserstellen besuchen, um ihre Nachkommen zu verteilen â quasi zur Risikostreuung â, um nicht alles auf eine Karte zu setzen und somit die Ăberlebenschancen der Nachkommen zu erhöhen.
Weibchen springen ein
Durch genaue Beobachtung der Tiere im Freiland und auch im Zuge jedes durchgefĂŒhrten Experiments tauchen immer wieder neue Fragestellungen auf. So konnten die Biologinnen und Biologen immer wieder beobachten, wie auch FroschmĂŒtter ihre Kaulquappen huckepack durch den Wald trugen. Ein Zufall? Wie Ringler und ihr Team sowohl in ihrem Froschlabor an der UniversitĂ€t Wien als auch im Freiland herausfinden konnte, springen Weibchen ein, wenn das MĂ€nnchen gefressen wird oder aus anderen GrĂŒnden aus dem Territorium verschwindet. âEin solches Einspringen war bei uniparentalen Arten â also solchen, wo in der Regel nur ein Elternteil fĂŒr die Brutpflege zustĂ€ndig ist â bisher nicht bekanntâ, erlĂ€utert Ringler diese neue Erkenntnis.

Froschkommunikation
Aber wie erfĂ€hrt die Froschmutter ĂŒberhaupt, dass sie gebraucht wird? An der Beantwortung dieser Frage arbeitet das Team um Ringler gerade: âWenn das MĂ€nnchen ein Territorium besetzt, ruft es laut, um Rivalen fernzuhalten. Wir nehmen an, dass dieser Ruf auch den Nebeneffekt hat, dass Weibchen damit kontrollieren können, ob ihr Partner noch in seinem Territorium anwesend istâ, nennt Ringler ihre Arbeitshypothese, wobei die Wissenschaftlerin auch herausfinden will, ob das Weibchen die individuelle Signatur des Rufes erkennt oder lediglich die Position des Rufers oder eine Kombination aus beidem.
Kannibalismus als strategische MaĂnahme
Manchmal entstehen neue Fragen ganz unerwartet, sozusagen aus einem âUnfallâ. Als das Forschungsteam im Regenwald seine Ergebnisse aus dem Labor ĂŒberprĂŒfen will, dafĂŒr MĂ€nnchen von ihren Territorien temporĂ€r entfernt, und auf das Weibchen, das einspringen soll, wartet, erscheint plötzlich ein fremdes MĂ€nnchen vor der Kameralinse. Und statt die Kaulquappen zu transportieren, frisst es einfach das Gelege auf. âDas war eine echte Ăberraschung! Kannibalismus als strategische MaĂnahme wurde zuvor bei Pfeilgiftfröschen nicht beobachtetâ, erzĂ€hlt Ringler.
âDer Frosch stellt eine Kosten-Nutzen-Rechnung an.â
Vom Kannibalen zum fĂŒrsorglichen Vater
Allerdings schlĂ€gt dieses hoch aggressive Verhalten des MĂ€nnchens nach der Verpaarung in absolute FĂŒrsorge um. âHat das MĂ€nnchen ein Territorium etabliert, trĂ€gt es alles, was in seinem Brutplatz liegt, auch fremden Nachwuchsâ, schildert die Wissenschaftlerin ihre Beobachtungen zwischen den beiden Extremen Auffressen und Tragen der âKuckuckskinderâ. âHier stellt der Frosch eine Kosten-Nutzen-Rechnung anâ, sagt Ringler. âDas Risiko, ein eigenes Gelege liegenzulassen ist wesentlich höher als der Zusatzaufwand, fremdes zu transportieren, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der Nachwuchs, der sich im eigenen Territorium befindet, auch wirklich der eigene istâ, erklĂ€rt sie das Verhalten.

Neuronale und hormonelle Mechanismen der Brutpflege
In Zukunft möchte Ringler mit ihrem Team untersuchen, welche neuronalen und hormonellen Aspekte im Brutpflegeverhalten von Pfeilgiftfröschen eine Rolle spielen. Den Grundstein dafĂŒr legte sie 2017 in ihrem Auslandsforschungsjahr an der University of California Los Angeles, das sie im Rahmen ihrer vom FWF finanzierten Hertha-Firnberg-Förderung absolvierte. An dieser UniversitĂ€t, die Ringler als âHotspot im Small-Animal Brain-Imagingâ bezeichnet, wollte sie untersuchen, ob funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI) auch bei Fröschen anwendbar ist. Mit dieser Methode kann man untersuchen, welche Regionen des Gehirns in unterschiedlichen Situationen aktiv sind.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Ringler möchte zum Beispiel untersuchen, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede in den kognitiven Prozessen wĂ€hrend des Brutpflegeverhaltens bei Pfeilgiftfröschen gibt, insbesondere beim Transport der Kaulquappen. âMan weiĂ von verschiedenen Tiergruppen, dass das Brutpflege- und Sozialverhalten bei MĂ€nnchen und Weibchen von unterschiedlichen Gehirnregionen und unterschiedlichen Hormonen gesteuert werden. Bei Amphibien weiĂ man vergleichsweise noch recht wenig ĂŒber diese Prozesseâ, betont sie. Um lĂ€ngerfristig in diese Richtung weiterarbeiten zu können, hat die Wissenschaftlerin gerade neben weiteren ProjektantrĂ€gen auch einen Antrag auf einen ERC-Grant beim EuropĂ€ischen Forschungsrat eingebracht.
Plan B zum Erfolg
Dass Scheitern oft zu neuen, unerwartet erfreulichen Wendungen fĂŒhren kann, hat Eva Ringler bereits sehr frĂŒh erfahren. Auch ganz am Anfang von Ringlers Karriere stand ein Plan B: Nach der Matura in Bruck an der Leitha möchte sie eigentlich das Lehramt Bildnerische Erziehung und Mathematik studieren, schafft jedoch die AufnahmeprĂŒfung an der UniversitĂ€t fĂŒr angewandte Kunst in Wien nicht. Nach anfĂ€nglicher Verzweiflung, entscheidet sie sich, auch auf Vorschlag ihrer Mutter, Biologie zu studieren. Ein hervorragender Rat, wie sich herausstellt. âIch war von Anfang an von diesem Studium begeistert â vor allem von den praktischen Ăbungen und Exkursionenâ, erinnert sich die heute 34-JĂ€hrige.
Entgegen der Unkenrufe
Dass ihr Weg weiter in die Forschung fĂŒhrt, ist der Studentin bereits bei der Diplomarbeit klar. Um unabhĂ€ngig arbeiten zu können, bewirbt sie sich fĂŒr Förderungen und erhĂ€lt zunĂ€chst ein Stipendium der Ăsterreichischen Akademie der
âDas FWF-Projekt war der Startschuss fĂŒr meine Karriere.â
Wissenschaften, dann ein âL'OrĂ©al-UNESCO For Women in Science-Stipendiumâ und reicht schlieĂlich 2011 ihren ersten eigenen Antrag auf ein Einzelprojekt beim Wissenschaftsfonds FWF ein â entgegen allen Warnungen ihres wissenschaftlichen Umfelds, sie hĂ€tte in ihrem jungen Alter ohnedies keine Chancen.
Startschuss fĂŒr wissenschaftliche Karriere
Doch ihr Mut und ihre HartnĂ€ckigkeit machen sich bezahlt. Der Antrag wird bewilligt, und sie kann ihr erstes Einzelprojekt beginnen. âDas war der Startschuss fĂŒr meine wissenschaftliche Karriereâ, unterstreicht die Forscherin die Bedeutung des FWF fĂŒr ihre Arbeit. Diese Förderung ermöglicht es, ihr eigenes Forschungsfeld voranzutreiben. âIch wollte immer meine eigenen Projekte entwickeln und mir nicht von anderen vorschreiben lassen, was mich zu interessieren hatâ, nennt sie ihre Motivation. Mit der FWF-Förderung konnte sie gemeinsam mit ihrem Mann Max Ringler eine Froschpopulation auf der Flussinsel in Französisch Guyana etablieren und eine ex-situ Frosch-Laborpopulation an der UniversitĂ€t Wien einrichten â zwei wichtige Meilensteine in der wissenschaftlichen Laufbahn Eva Ringlers.
Problem fehlende Planbarkeit
Womit sie und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen allerdings durchgehend zu kĂ€mpfen haben, ist die fehlende Planbarkeit. âSowohl der Publikationsdruck als auch der Druck, Forschungsgelder zu lukrieren, sind extrem hoch. Gleichzeitig werden junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit befristeten Stellen angestellt ohne langfristige Perspektiveâ, schildert sie den Zustand und fordert: âHier ist die Politik gefragt, mehr Planstellen zu schaffen.â Die Anzahl der derzeitigen Tenure-Track-Stellen (Anm.: Laufbahnmodell, das im Regelfall zur Professur fĂŒhrt) hĂ€lt Ringler fĂŒr unzureichend. âDa gibt es kaum Spielraum fĂŒr langfristige Projekte, groĂe Fragestellungen oder neue, kreative und innovative ZugĂ€nge, die lĂ€ngerer Entwicklungsphasen bedĂŒrfenâ, bewertet sie die derzeitige Situation von jungen Forscherinnen und Forschern. Eine Folge dieser Rahmenbedingungen sei, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schnell ausgebrannt und frustriert sind, und schlieĂlich auf die Suche nach einem Plan B gehen.
âAn der UniversitĂ€t Wien stehen 60 % Studentinnen 10 % Professorinnen gegenĂŒber.â
âWomen in Biologyâ
Was die Biologin gerade in ihrem Fachbereich mit Besorgnis beobachtet, ist das auffallende MissverhĂ€ltnis zwischen weiblichen Studierenden und weiblichen FakultĂ€tsangestellten: âAn der UniversitĂ€t Wien zum Beispiel stehen 60 Prozent Studentinnen 10 Prozent Professorinnen gegenĂŒberâ, nennt sie die Zahlen. Um ein Bewusstsein dafĂŒr zu schaffen und den Ursachen dieses Ungleichgewichts nachzugehen, engagiert sich Eva Ringler in der Initiative âWomen in Biologyâ. Dieses auffallende Auseinanderklaffen kann ihrer Meinung nach nicht nur an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und dem starken Druck liegen, mobil zu sein, denn diese Probleme gibt es auch in anderen Fachrichtungen.
Viele Wege zum Erfolg
Eine MaĂnahme von âWomen in Biologyâ sind sogenannte âRolemodelâ-Seminare. Biologinnen, die an der UniversitĂ€t einen Fachvortrag halten, werden in einem separaten Seminar dazu eingeladen, von ihrem Karriereweg zu erzĂ€hlen. âAuffallend ist, dass weibliche Karrieren, die es lĂ€ngerfristig im Unibetrieb geschafft haben, sehr diverse LebenslĂ€ufe aufweisen. Bei MĂ€nnern findet man oft vergleichsweise geradlinigere Karrierewegeâ, schildert Eva Ringler eine interessante Beobachtung. Das Ziel dieser Seminare ist es, den jungen Wissenschaftlerinnen zu zeigen, dass es viele Wege zum Erfolg gibt. âNur weil man vielleicht nicht dem klassischen Klischee eines Wissenschaftlers entspricht, kann man trotzdem gute Forschung machen. Man muss und soll sich auch nicht mit Ellbogen durchboxen. Man kann erfolgreich sein, indem man engagiert und konsequent seine eigene Forschungsschiene vorantreibt, wenn man davon ĂŒberzeugt istâ, sagt Ringler â und ist wohl selbst das beste Beispiel dafĂŒr.
Zur Person
Eva Ringler war Biologin am Messerli Forschungsinstitut der VeterinĂ€rmedizinischen UniversitĂ€t Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Paarungssysteme und Motive der Partnerwahl, Brutpflege, GrĂŒnde fĂŒr flexibles oder stereotypes Verhalten, Kognition bei Amphibien und Populationsökologie. Sie studierte Biologie und Umweltkunde sowie Mathematik an der UniversitĂ€t Wien und dissertierte in Zoologie ebenda. Studienaufenthalte fĂŒhrten sie nach Französisch Guyana, Costa Rica, GroĂbritannien und die USA. 2017 forschte Ringler im Rahmen ihres vom FWF finanzierten Hertha-Firnberg-Projektes an der University of California Los Angeles (UCLA).