Die Ursachen fĂŒr chronische Bauchschmerzen sind oft unbekannt und sehr belastend fĂŒr die Betroffenen. © Shutterstock/Piotr Marcinski

SchĂ€tzungen zufolge leidet ein FĂŒnftel der Bevölkerung an wiederkehrenden BauchkrĂ€mpfen, DruckgefĂŒhl, Verdauungsproblemen oder dem sogenannten Reizdarmsyndrom, wobei man in den meisten FĂ€llen keine Ursache findet. Grazer Forscherinnen und Forscher unter der Leitung von Peter Holzer haben in einem soeben abgeschlossenen Projekt des Wissenschaftsfonds FWF untersucht, wie entzĂŒndungsbedingter chronischer Bauchschmerz Gehirnfunktion und das soziale Verhalten beeinflussen. Anhand von Tierversuchen konnten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter deutliche Änderungen im Gehirn nachweisen, die sowohl mit dem (Schmerz)-GedĂ€chtnis als auch den Emotionen zusammenhĂ€ngen.

Gehirnfunktion und Verhalten

Dabei hat sich das Team um Peter Holzer die zwei Aspekte Schmerzempfindlichkeit und Stress genauer angesehen. DarmentzĂŒndungen erhöhen das Schmerzempfinden und haben damit auch Auswirkungen auf das Gehirn, wie die Untersuchungen zeigen. Das wirkt sich wiederum auf das soziale Verhalten der Betroffenen aus, das sich etwa in RĂŒckzug oder Angststörungen Ă€ußern kann. „Die VerhaltensĂ€nderungen durch DarmentzĂŒndung zeigen sich im limbischen System und damit verbundenen Regionen der Gehirnrinde“, erklĂ€rt Peter Holzer. Chronischer Bauchschmerz wĂŒrde oft mit psychiatrischen Erkrankungen einhergehen, so der Experte weiter. Daher sei es besonders wichtig, diese Begleiterkrankungen mit zu untersuchen. Kommt Stress hinzu, so die Vermutung der Forscherinnen und Forscher, könnte das die Schmerzempfindlichkeit erhöhen. Wie sich zeigte, ist das bei leichtem „vorhersehbarem“ Stress nicht der Fall. Die WiderstandsfĂ€higkeit gegen Schmerzreize aus dem Darm wird sogar erhöht, wie der Einfluss der Stresssituation auf die Gehirnfunktion belegt.

Darm-Gehirn-Achse: Vom Bauch zum Gehirn fließt viel Information. Um chronischen Bauchschmerzen auf die Spur zu kommen, mĂŒssen alle Kommunikationswege berĂŒcksichtigt werden. © Medizinische UniversitĂ€t Graz/Peter Holzer

Den ZusammenhÀngen auf der Spur

Dem komplexen PhĂ€nomen des chronischen (Bauch-) Schmerzes auf die Spur zu kommen, gleicht nicht selten einer Detektivsuche, die oft vom eigentlichen Auslöser weg zu anderen Körperfunktionen fĂŒhrt. Die Forschung versucht daher zusehends, das Zusammenspiel von Körpersystemen zu verstehen. Im Fall des Bauchschmerzes standen bislang die schmerzempfindlichen Nervenfasern im Magen-Darm-Trakt im Vordergrund der Studien. Immerhin durchlaufen insgesamt fĂŒnf Nervensysteme den Verdauungstrakt. „Es wurden hier viele Angriffspunkte gefunden und Medikamente entwickelt. Aber in der klinischen PrĂŒfung an Patienten haben sich diese als wenig oder nicht wirksam erwiesen“, erzĂ€hlt Holzer. „Die Lehre, die wir daraus ziehen mussten: Chronischer Bauchschmerz kommt nicht nur durch Überempfindlichkeit von Nerven im Magen-Darm-Trakt zustande, sondern es muss noch was anderes sein, das nĂ€her am Gehirn liegt.“

Vielzahl an Informationen und KanÀlen

Wie viele Informationen bei Bauchschmerz tatsĂ€chlich vom Darm ins Gehirn fließen, wird zusehends klarer. So belegt das aktuelle FWF-Forschungsprojekt außerdem, dass neben den neuronalen auch hormonelle und immunologische Signalwege von Bedeutung sind. Hinzu kommen die neuesten Forschungen zum Darmmikrobiom, dem Ökosystem des Darms mit seiner Vielzahl an Bakterien. „Das Darmmikrobiom hat Auswirkungen auf alle möglichen Körperfunktionen, auch auf das Gehirn und die Schmerzempfindlichkeit und auch auf die Stimmungslage“, sagt Holzer. Im Rahmen des EU-Projekts „MyNewGut“ untersuchen die Forscherinnen und Forscher der Medizinischen UniversitĂ€t Graz, ob auch die Zusammensetzung des Darmmikrobioms die Gehirnfunktion beeinflusst. „FĂŒr ein umfassendes VerstĂ€ndnis chronischer Schmerzsyndrome ist es wichtig, alle, nicht nur neuronale Informationswege zwischen der Peripherie und dem Gehirn zu berĂŒcksichtigen“, betont Holzer. Eine erfolgreiche Therapie chronischer Schmerzen könne nur durch eine Normalisierung der gestörten Gehirnfunktion erzielt werden, ist der Experte ĂŒberzeugt.


Zur Person Peter Holzer ist Professor fĂŒr Experimentelle Neurogastroenterologie an der Medizinischen UniversitĂ€t Graz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Darmmotorik, Bauchschmerz und damit zusammenhĂ€ngende neuropsychiatrische Störungen, die in interdisziplinĂ€ren und internationalen Forschungsgruppen untersucht werden. Das vom FWF finanzierte Projekt fĂŒr Grundlagenforschung „Psychopharmakologische Modelle chronischer Bauchschmerzen“ wurde von 2011 bis 2015 durchgefĂŒhrt.


Publikationen

Behavioral and molecular processing of visceral pain in the brain of mice: impact of colitis and psychological stress: Piyush Jain, Ahmed M. Hassan, Chintan N. Koyani, Raphaela Mayerhofer, Florian Reichmann, Aitak Farzi, Rufina Schuligoi, Ernst Malle and Peter Holzer, in: Frontiers in Behavioral Neuroscience, July 2015
Repeated predictable stress causes resilience against colitis-induced behavioral changes in mice: Ahmed M. Hassan, Piyush Jain, Florian Reichmann, Raphaela Mayerhofer, Aitak Farzi, Rufina Schuligoi and Peter Holzer, in: Frontiers in Behavioral Neuroscience, November 2014
Neuropeptides and the Microbiota-Gut-Brain Axis: Peter Holzer and Aitak Farzi, in: Microbial Endocrinology: The Microbiota-Gut-Brain Axis in Health and Disease, June 2014