Zuckerarme Diät verbessert Krebstherapie
In den Körperzellen fließen Zucker, Fette und Proteine in streng geregelten Verhältnissen in verschiedene Stoffwechselwege. So entstehen einerseits Bausteine für das Wachstum und andererseits Energie. Mutiert eine Zelle zur Krebszelle, dann verschiebt sich das metabolische Gleichgewicht. „Tumorzellen steigen auf die Verwendung von Zucker um, speziell das Zuckermolekül Glukose“, sagt Barbara Kofler, Leiterin des Forschungslabors an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Salzburg. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit soliden Tumoren im Kindesalter, also festen und zunächst örtlich begrenzten Verbänden von Krebszellen. „Solide Tumoren nehmen bis zu 10-mal mehr Glukose auf als gesundes Gewebe. Therapeutisch liegt es daher auf der Hand, den Zucker aus dem System zu entfernen“, so die Chemikerin. Ihr Team untersuchte den Ansatz im Projekt „Multimodale metabolische Therapie beim Neuroblastom“, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wurde. Darin zeigten die Forschenden, dass eine zuckerarme Diät die Wirksamkeit der Chemotherapie steigert. Wenn sich die Ergebnisse in der Klinik bestätigen, dann ließe sich die Dauer und Dosis von Chemotherapien und somit deren Nebenwirkungen reduzieren.
Bisher nur 50 Prozent Erfolgsquote
Tumoren entstehen, wenn Zellen mutieren und sich unkontrolliert teilen. Neuroblastome entwickeln sich aus embryonalen Zellen und treten zum Beispiel im Nebennierenmark oder in den Nervenbahnen beidseits der Wirbelsäule auf. Sie machen ca. 6 Prozent der soliden Tumoren bei Kindern aus und sind eine der häufigsten Krebserkrankungen in dieser Altersgruppe. „Trotz zahlreicher Studien überlebt in bestimmten Hochrisikogruppen der Neuroblastome nur jedes zweite Kind länger als 5 Jahre“, sagt Kofler. „Die aktuelle Therapie ist häufig eine Kombination aus Operation, Chemotherapie, Knochenmarkstransplantation, Bestrahlung und Immuntherapie, die allesamt starke Nebenwirkungen haben und die überlebenden Kinder langfristig beeinträchtigen.“ Deshalb sucht die Forscherin nach Faktoren, mit denen sich die Effektivität der klassischen Therapien verstärken lässt.
Tumorzellen leben von Zucker
Ein solcher Angriffspunkt ist der Stoffwechsel der Tumorzellen. Neben dem erhöhten Zuckerbedarf charakterisiert ihn eine Verschiebung weg von sauerstoffabhängigem Glukoseabbau in Form der Zellatmung und hin zu sauerstoffunabhängiger Vergärung des Zuckers (anaerobe Glykolyse). Diese Anpassung ist als „Warburg-Effekt“ schon lange bekannt, wobei die Gründe in der Wissenschaft noch diskutiert werden. „Zum einen fällt bei der Vergärung Laktat an, welches das Zellmilieu ansäuert. Dadurch können Tumorzellen auswandern und Metastasen bilden. Zum anderen werden Bausteine generiert, mit denen die Tumorzellen wieder neue Zellen ausbilden können“, erklärt Kofler. Der genaue Mechanismus hinter dieser metabolischen Flexibilität ist noch nicht geklärt – sie lässt sich aber therapeutisch nutzen.
Wie man Tumorzellen aushungert
Bei einer zuckerarmen Diät ist es wichtig, alternative Energiequellen zur Verfügung zu stellen. „Tumorzellen können die Nebenprodukte aus dem Fettabbau, die Ketonkörper, nicht gut verstoffwechseln. Dagegen ist das für fast alle anderen menschlichen Zellen kein Problem“, erklärt Kofler. Daher bietet sich eine ketogene Diät an – eine Low-Carb-Diät, bei der die Energie bis zu 90 Prozent aus Fetten, 8 Prozent aus Proteinen und nur 2 Prozent aus Kohlenhydraten (Zucker) bezogen wird. „In der Onkologie wurden ketogene Diäten zum Beispiel am Glioblastom erforscht, wo wir auch erste vielversprechende klinische Daten von Patient:innen kennen“, so Kofler. Insgesamt sei die Zahl der Studien aber überschaubar. „Meines Wissens ist unsere Forschungsgruppe die einzige, die im Bereich der Neuroblastome arbeitet“, sagt sie.
Mehrere Fronten gegen den Tumor
Neben der ketogenen Diät ergänzte Koflers Team die metabolische Therapie um eine zweite Facette. Denn obwohl Tumorzellen größtenteils auf anaerobe Glykolyse umsteigen, ist auch die Zellatmung noch geringgradig aktiv. „Wir wollten den Tumor von zwei Seiten angreifen: einerseits durch die ketogene Diät und andererseits durch ein bekanntes Antidiabetikum namens Metformin“, erklärt Kofler. Metformin blockiert eine Komponente der Zellatmung, wodurch der Tumor verstärkt in Richtung der anaeroben Glykolyse gedrängt wird. „Es ist wichtig zu betonen, dass wir weder die ketogene Diät noch Metformin als Einzeltherapien gegen Krebs anbieten würden, sondern nur als komplementäre Maßnahmen“, betont Kofler. In der Studie verglich das Team daher den Effekt der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten aus niedrigdosierter Chemotherapie, ketogener Diät und Metformin an Mäusen, denen menschliche Neuroblastomzellen transplantiert wurden.
Metabolische Therapie erhöht das Überleben
Es zeigte sich, dass mit der Dreifachtherapie mehr Versuchstiere über einen längeren Zeitraum überleben. So waren am Ende des Experiments noch 65 bzw. 100 Prozent der Tiere (je nach Neuroblastom-Zelllinie) am Leben, während bei alleiniger Chemotherapie 0 bzw. 10 Prozent überlebten. Zu beachten ist außerdem, dass die Zweifachkombination aus ketogener Diät und Chemotherapie das Therapieergebnis zwar schwächer, aber ebenfalls signifikant verbesserte mit einer Überlebensrate von 40 bis 50 Prozent. „Natürlich lassen sich Mäuse und Menschen nicht direkt vergleichen. Aber wenn man bedenkt, dass das Fünf-Jahres-Überleben der Hochrisikopatient:innen mit Neuroblastomen in den vergangenen zehn Jahren trotz multizentrischer internationaler Studien nur um wenige Prozentpunkte erhöht werden konnte, dann sind unsere Ergebnisse wegweisend“, ordnet Kofler die Studiendaten ein.
Zur Person
Barbara Kofler ist seit fast 30 Jahren Leiterin des Labors an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde des Uniklinikums Salzburg. Seit 2009 ist sie als Professorin für Rezeptorbiochemie und Tumorstoffwechsel an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität tätig.
Der FWF förderte das Projekt „Multimodale metabolische Therapie beim Neuroblastom“ mit rund 388.000 Euro.
Vom Tiermodell zur klinischen Anwendung
Derzeit arbeitet Koflers Team weiterhin an Versuchstieren, um den dahinterliegenden Mechanismus zu klären. „Der Umstand, dass wir den Tumor aushungern, ist nicht allein verantwortlich. Wir gehen davon aus, dass es zu einer Reprogrammierung im Körper kommt und Faktoren reduziert werden, die für das Tumorwachstum wichtig wären“, erklärt Kofler. Schließlich sei das Ziel, die Forschung auf den klinischen Bereich auszuweiten. „Besonders die Eltern von betroffenen Kindern suchen nach Möglichkeiten“, so Kofler. „Allerdings ist die ketogene Diät eine therapeutische Maßnahme und sollte unbedingt ärztlich und diätologisch begleitet werden.“ Dass der Verzicht auf Kohlenhydrate im Alltag möglich ist, weiß die Chemikerin aus eigener Erfahrung. „Ich wollte die ketogene Diät anfangs für zwei Monate probieren, um zu wissen, wie es den Patient:innen damit ergeht“, erzählt sie. „Mittlerweile mache ich sie seit fünf Jahren.“