Zehn Jahre ERC: Vorbild und Forscherglück
FWF: Sie haben 2015 den prestigeträchtigen „ERC Starting Grant“ erhalten. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie? Jens Blechert: Neben der Aufmerksamkeit und der Anerkennung – die motivieren und neuen Antrieb verleihen – sind das vor allem die zur Verfügung gestellten Forschungsmittel, die einem sehr viel Flexibilität und Unabhängigkeit geben. FWF: Was hat sich seither in Ihrem wissenschaftlichen Alltag verändert? Blechert: Es hat sich einiges fundamental verändert: Ich hatte vorher keine Mitarbeiter, jetzt sind wir eine Forschergruppe von fünf Personen. Die Förderung durch den Forschungsrat ermöglicht zudem, dass Geräte und Equipment ohne langwierige Beantragungs- und Genehmigungsphasen gekauft werden können. All das sind wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche Grundlagenforschung. FWF: Was hat Sie motiviert, sich für dieses Exzellenzprogramm zu bewerben? Blechert: Ich hatte konkret durch den Tipp eines befreundeten Forschers vom ERC erfahren. Vorher kannte ich nur die Konsortiumsanträge, die ich mir so nicht zutraute. Der Vorteil des „Starting Grant“ ist, dass Forscherinnen und Forscher tatsächlich als Einzelpersonen einen Antrag schreiben und einreichen können. FWF: Sie beschäftigen sich aktuell mit den Zusammenhängen von Essverhalten und Emotionen, wofür Sie den ERC Grant erhalten haben. Welche konkreten Forschungsfragen verfolgen Sie in dem Projekt? Blechert: Wir untersuchen die Zusammenhänge von Emotionen, Stress, Diäthalten und Überessen. Dies untersuchen wir im Alltag und im Labor bei Gesunden sowie bei Patientinnen und Patienten mit Essstörungen. Wir entwickeln auch Methoden, die das Verlangen nach schmackhaften Nahrungsmitteln kontrollierbarer machen sollen. FWF: Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen und was möchten Sie erreichen? Blechert: Die Forschung hat gezeigt, dass ein Grund für ungesundes Essen oder sogar für Diätabbrüche negative Emotionen und Stress sind. An guten Intentionen, Wissen und Plänen scheitert es also nicht. Daher interessieren wir uns, wann Stress im Alltag mit (Über-)Essen zusammenhängt, wer am meisten betroffen ist (Alter, Geschlecht, Gewicht, Persönlichkeit) und warum das so ist, das heißt welche Gehirnareale und Hormone für die Zusammenhänge von Stressprozessen und Belohnungsverarbeitung (Essenssteuerung) verantwortlich sind. Und letztlich wollen wir natürlich auch herausfinden, wie man dies günstig beeinflussen und verbessern könnte. FWF: Was empfehlen Sie Ihren Studierenden, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen möchten? Blechert: Ich prüfe, ob sie geografisch mobil und diszipliniert genug sind. Sonst rate ich zumindest zu einem Plan B. FWF: Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft und Ihren Fachbereich, die Psychologie? Blechert: Die Psychologie in Salzburg entwickelt sich sehr dynamisch und positiv. Da kann ich mir nur wünschen, dass es so weiter geht. FWF: In welche Richtung geht diese Entwicklung? Die Psychologie scheint derzeit ja so etwas wie einen „Aufschwung“ zu erleben. Blechert: Der Psychologie hat ihre empirische Ausrichtung, das heißt die systematische Erhebung von Daten bei einer größeren Zahl von Versuchsperson sehr gut getan. Auch die Medizin stellt ja nun evidenzbasiertes Wissen bei vielen Interventionen in den Vordergrund. Auch hat sich die Psychologie, vor allem in Salzburg, stark an den naturwissenschaftlichen beziehungsweise neurowissenschaftlichen Methoden orientiert und ist dadurch mit benachbarten Disziplinen eng zusammengewachsen. Bei den komplexen Interaktionen zwischen sozialen, geistigen und biologischen Faktoren haben sich die umfassenden Modelle der Psychologie als sehr nützlich erwiesen und werden daher auch in vielen Bereichen der Gesellschaft angewandt. FWF: Welche Rolle spielt eine nationale Forschungsförderung wie jene des FWF für den Erfolg auf internationaler Ebene? Blechert: Eine maßgebliche Rolle. Ohne nationale Drittmittel sinken die Chancen auf europäische Förderungsgelder und damit wiederum die Chancen auf internationale Berufbarkeit. FWF: Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach Grundlagenforschung für ein kleines Land wie Österreich? Blechert: Grundlagenforschung bedeutet für mich vor allem freie Forschung. Kolleginnen und Kollegen mit einem starken Anwendungsfokus müssen ihre Forschungsfragen nach den Auftraggebern orientieren. Dadurch gehen jedoch Kreativität und innovative Fragestellungen in der Wissenschaft verloren, die wir langfristig benötigen, um Zusammenhänge besser zu verstehen. So fließen wichtige Erkenntnisse aus dem Bereich der Grundlagenforschung immer wieder in die Anwendung ein, ohne dass man das zunächst hätte planen oder durch konkrete Zielvorgaben festlegen können. Die Landesgröße ist aus meiner Sicht dabei nicht entscheidend, ob Spitzenforschung betrieben werden kann. Ich würde daher auch davon abraten aufgrund des kleinen Forschungsraums – und enger Budgets – zu viele Zielvorgaben zu machen, indem etwa verstärkt auf wenige Fachgebiete oder aktuelle Forschungsschwerpunkte fokussiert wird.
Jens Blechert studierte Psychologie an der Universität Tübingen. Er promovierte in Basel zum Thema Angststörungen. Während Aufenthalten in Freiburg, Deutschland und Stanford, USA, erforschte er Essstörungen und Emotionsregulation, bevor er 2011 nach Salzburg wechselte. Seit 2015 ist Blechert Professor für Neurogesundheitspsychologie und Direktor des Eating Behaviour Laboratory an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Er leitet das internationale FWF-Projekt „Emotionales, gezügeltes und bulimisches Essen“ bis 2018 und hat 2015 den mit 1,3 Millionen Euro dotierten „ERC Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats erhalten.
10 Jahre ERC: Die Erfolgsgeschichte der europäischen Grundlagenforschung Die Förderung von grundlagenorientierter Pionierforschung ist einer der Schwerpunkte der Europäischen Union. Dafür wurde 2007 der Europäische Forschungsrat (European Research Council ERC) geschaffen. Gefördert werden Forschungsprojekte mit hohem Potenzial für Innovationen. Den ausgewählten Forscherinnen und Forschern ermöglicht ein ERC-Grant den nötigen Freiraum zur Umsetzung ihrer Ideen und Visionen. Österreich nimmt mit 189 ERC-Förderungen, die während des vergangenen Jahrzehnts eingeworben wurden, Platz sechs auf der europäischen Erfolgsliste im Bereich der Pionierforschung ein. „ERC Starting Grants“ haben eine Fördersumme von bis zu 2,5 Millionen Euro, beim vergleichbaren START-Preis des FWF werden bis zu 1,2 Millionen Fördergeld vergeben. Damit können junge Postdocs für fünf bis sechs Jahre ihre eigene Projektgruppe aufbauen. Die Förderungen werden in allen Disziplinen vergeben und sind themenoffen.