Transgenderpersonen
Wiener ForscherInnen haben Hormoneffekte auf das Gehirn bei Transgenderpersonen untersucht und dabei die GeschlechtsidentitĂ€t in den Gehirnstrukturen gefunden. © ilolab/Shutterstock.com

Wie so oft in der Grundlagenforschung sind DurchbrĂŒche einer Kombination aus Neugierde und Zufall zu verdanken. Um biologischen Faktoren psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen auf den Grund zu gehen, hat ein Forscherteam der Medizinischen UniversitĂ€t Wien untersucht, wie Hormone auf das Gehirn wirken. Dabei haben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Psychiatrie und Psychotherapie in enger Zusammenarbeit mit der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Frauenheilkunde, der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Radiologie und Nuklearmedizin und dem Zentrum fĂŒr Medizinische Physik und Biomedizinische Technik eine wesentliche Erkenntnis gewonnen, indem sie feststellten, dass sich die GeschlechtsidentitĂ€t im Gehirn widerspiegelt und zwar auch bei Transgenderpersonen, frĂŒher als Transsexuelle bezeichnet.

Die Geschlechterperspektive

Die Studie wurde in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF durchgefĂŒhrt und hat international sowohl in der Fach- als auch Medienwelt ein so großes Echo hervorgerufen, „dass Forscher aus den USA, die selbst Transsexuelle sind, uns hier am Wiener AKH besuchen“, erzĂ€hlt Projektleiter Rupert Lanzenberger. „In der Psychiatrie haben wir viele Erkrankungen, die jeweils bei Frauen und MĂ€nnern viel hĂ€ufiger sind, wie etwa Angststörungen und Depressionen bei Ersteren oder Suchterkrankungen und Autismus bei Letzteren“, nennt Lanzenberger wesentliche Ziele des Projekts. „Wir wollten die Ursachen dieser Erkrankungen aus der Geschlechterperspektive untersuchen und haben daher ein Modell gesucht, das uns Effekte auf das Gehirn in Zusammenhang mit dem Hormonsystem zeigt.“ Dabei hat ein interdisziplinĂ€res Team um Lanzenberger ĂŒber einen Zeitraum von fĂŒnf Jahren Transgenderpersonen untersucht, die eine Hormontherapie im Rahmen der von ihnen gewĂŒnschten Geschlechtsangleichung selbst anstreben und medizinische Hilfe suchen.

Hormoneffekte auf das Gehirn

Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) wurde bei den Probanden wie auch bei weiblichen und mĂ€nnlichen Kontrollpersonen beobachtet, was im Gehirn passiert, wenn gegengeschlechtliche Hormone ĂŒber lĂ€ngere Zeit gegeben werden, um physiologische gegengeschlechtliche Hormonwerte im Blut zu erreichen „Dabei konnten wir einen Hormoneffekt auf die Sprachverarbeitung, auf Funktionen wie Risikoverhalten, auf rĂ€umliche Vorstellung und die ImpulsivitĂ€t, sowie auch auf die Struktur der Hirnverbindungen zwischen weiblichen und mĂ€nnlichen Personen nachweisen“, erklĂ€rt Lanzenberger. Interessanterweise zeigen die Scans dabei auch, dass bereits vor der Behandlung mit Hormonen die Gehirnstruktur der Transgenderpersonen eine „Mittelstellung“ zwischen beiden Geschlechtern einnahm.

Sexualhormone haben einen wesentlichen Einfluss auf das (erwachsene) Gehirn. GeschlechtsidentitÀt ist folglich nicht nur ein psychologisches PhÀnomen, sondern vielmehr biologisch nachweisbar.

Gehirnscans, von 3 Ebenen betrachtet, zeigen die Effekte von Hormontherapie bei Frau-zu-Mann Transgenderpersonen. Die Abnahme des Hormons Östradiol korreliert mit der Abnahme der weißen Substanz im Hirnstamm und Regionen des Mittelhirns (gelb-rote Markierung). GrĂŒn markiert sind die Netzwerke der weißen Substanz. © Rupert Lanzenberger

Testosteron ein SchlĂŒsselfaktor

Konkret konnten die Forschergruppen der MedUni Wien zeigen, dass eine Zunahme des Testosteronspiegels im Blut mit einer Abnahme des Volumens zweier fĂŒr die Sprachverarbeitung zentraler Hirnregionen verbunden ist und auch deren Verbindung verĂ€ndert wird. „Das legt den Schluss nahe, dass die Wirkung von Testosteron auf die Sprachverarbeitung ĂŒber den Einfluss auf die Struktur der grauen und weißen Substanz der dafĂŒr zustĂ€ndigen Hirnregion lĂ€uft“, so Lanzenberger und erlĂ€utert weiter: „Wir gehen davon aus, dass manche der gefundenen Unterschiede in der weißen Substanz schon sehr frĂŒh angelegt sind, möglicherweise im Mutterleib oder vor der PubertĂ€t. Das wĂ€re eine biologische Information, ein Marker fĂŒr GeschlechtsidentitĂ€t.“ Das Wissen, dass sich Gehirnverbindungen in ihrer Funktion durch Hormone und auch im erwachsenen Alter noch Ă€ndern können, spielt beispielsweise dann eine Rolle, wenn die sogenannte NeuroplastizitĂ€t des Gehirns reduziert ist, wie das bei Depression vermutet wird. In einem weiteren bildgebenden Verfahren, der Positronenemissionstomografie (PET), haben sich die Forscherinnen und Forscher daher angesehen, wie der Nervenbotenstoff Serotonin, der als stimmungsaufhellend bekannt ist, auf Hormone reagiert. Mit dem Ergebnis, dass Testosteron, diesen, genauer genommen die Serotonintransporterdichte, deutlich erhöht.

Weitere Untersuchungen

In einer Reihe weiterer Analysen, die zum Teil noch nicht abgeschlossen und publiziert sind,  erfasst das Projektteam an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien zahlreiche Daten etwa ĂŒber das Schmerzempfinden, den Geruchssinn, ĂŒber VerĂ€nderungen im Verhalten oder die LebensqualitĂ€t der Probanden, um sie mit den Resultaten der Gehirnscans in Verbindung zu bringen und schließlich Geschlechtsunterschiede besser zu verstehen. „Wir schauen uns weiters auch die Genetik an, weil wir davon ausgehen, dass hunderte Gene durch Hormone ein- und ausgeschaltet werden“, erklĂ€rt Lanzenberger. So kann beispielsweise deren Einfluss auf das GefĂ€ĂŸsystem untersucht werden.

Gender- und PrÀzisionsmedizin

Sexualhormone haben einen wesentlichen Einfluss auf das (erwachsene) Gehirn, wie die Forscherteams in Wien zeigen konnten. GeschlechtsidentitĂ€t ist also nicht nur ein psychologisches PhĂ€nomen, sondern vielmehr biologisch nachweisbar. „Wir wissen nun, dass es biologische Unterschiede gibt und diese sich lebenszeitlich verĂ€ndern können“, so Lanzenberger. FĂŒr die klinische Forschung bedeutet das, kĂŒnftig besser zu verstehen, welche hormonellen Erkrankungen beispielsweise mit Angststörungen in Verbindung stehen und warum Frauen zwei- bis dreimal so hĂ€ufig daran erkranken wie MĂ€nner. Und je mehr Wissen ĂŒber Geschlechtsunterschiede vorhanden ist, umso zielgerichteter können Therapien entwickelt und kann die sogenannte personalisierte Medizin vorangetrieben werden.

Zur Person

Rupert Lanzenberger leitet das „Neuroimaging Lab“ (NIL) der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen UniversitĂ€t Wien. Sein Forschungsfokus liegt im Bereich der multimodalen klinischen Bildgebung des Gehirns mit Positronenemissionstomografie (PET) und Funktioneller Magnetresonsanz­tomografie (fMRI).

Publikationen zum Thema

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=lanzenbergerr+kranz+%28transgender+or+transsexuals%29