Junger Mann in schwarzem T-Shirt, Kopf auf dem Arm abgestützt, blickt traurig
Depressionen entwickeln sich aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher Einflüsse. Mithilfe von KI wollen internationale Forschende neue Faktoren identifizieren. © Mariela Ferbo/unsplash+

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, liegt tief im Inneren des Gehirns und ist für die Regulation von Emotionen verantwortlich. Eine bekannte Hypothese zur Depression besagt, dass dieses Hirnareal bei Menschen mit einer Anfälligkeit für die Erkrankung hyperreaktiv ist. Betroffene reagieren besonders stark auf emotionale Reize aus der Umwelt. Doch so einfach ist es nicht.

„Das Problem ist, dass man nicht anhand dieses einen Faktors zwischen Menschen mit unterschiedlicher Krankheitsanfälligkeit unterscheiden kann. Das Wissen hat bisher keine praktische Konsequenz“, erklärt Roberto Viviani, Professor für klinische Psychologie an der Universität Innsbruck. Er ist Experte für Gehirnscans aus der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Diese zeigen an, welche Gehirnareale wann aktiv sind und etwa auf äußere Reize reagieren.

Ein europäisches Großprojekt

Gemeinsam mit einem internationalen Team von Forschenden aus Deutschland, Italien, Kroatien, Norwegen und Israel hat Viviani eine umfassende Datenbank zur Depression zusammengestellt, die von genetischen Informationen bis hin zu Bildgebungsdaten reicht. Der Wissenschaftsfonds FWF fördert die österreichische Beteiligung an dem Großprojekt „Artificial intelligence for personalised medicine in depression (ArtiPro)“ von ERA PerMed, einer europäischen Partnerschaft zur Förderung personalisierter Medizin. Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) wollen die Forschenden in den vielschichtigen Daten nun neue Faktoren identifizieren, die die Vorhersage von Krankheitsanfälligkeit und Therapieerfolg verbessern können.

Ein Forscherteam aus zwei Frauen und einem Mann blicken auf Gehirnscans am Computer
Roberto Viviani und sein Team an der Universität Innsbruck beteiligen sich an einem europäischen Großprojekt, das KI einsetzt, um Depressionen zu erforschen. Der Schwerpunkt der österreichischen Gruppe liegt auf der Analyse von Gehirnscan-Daten. © R. Viviani

Knochenarbeit mit großen Datenmengen

Obwohl die fMRT-Technologie seit über 30 Jahren etabliert ist, kennt man die Bedeutung der Fülle an Signalen für medizinische Fragestellungen kaum, wie Viviani betont. „Für mich stellt sich die Frage, ob wir in der Vergangenheit bei der Auswertung oder Verwendung dieser Daten zu vereinfachend vorgegangen sind. Deshalb untersuche ich, welche Arten von Signalen oder Informationen in der Bildgebung zu finden sind“, sagt der Psychiater. Das ist trotz KI-Unterstützung wegen der kleinteiligen Bilddaten sehr aufwendig – aber es lohnt sich, wie erste Ergebnisse zeigen.

Die Analyse der fMRT-Aufnahmen durch Vivianis Team hat Faktoren in den Fokus gerückt, die traditionell als „physiologisches Rauschen“ oder Störfaktoren galten. Die Forschenden untersuchten, welche nützlichen Informationen aus den als Gehirnaktivität dokumentierten Signalen zu gewinnen sind. Sie verglichen Aufnahmen aus dem gesamten Gehirn mit dem dünnen Bereich des Schädelknochens, in dem es keine Neuronen, wohl aber Gefäße gibt. Durch die Überlagerung dieser Ergebnisse zeigte sich, dass ein bedeutender Anteil der fluktuierenden Aktivität des Gehirns in Wahrheit mit Blutgefäß-Signalen korreliert.

Aufnahmen von drei nebeineinander liegenden Gehirnscans mit unterschiedlichen Gehirnaktivitäten
Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) ermöglicht es Forschenden seit 30 Jahren, die Gehirnaktivität zu dokumentieren. Die Methode macht Veränderungen des Sauerstoffgehalts im Blut sichtbar, die auf die Aktivität von Nervenzellen schließen lassen. © R. Viviani

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir neben dem Cortex auch andere wichtige Signale haben, die nicht von Neuronen stammen“, erklärt Viviani. Er vermutet dahinter einen Mechanismus des unwillkürlichen Nervensystems, der gleichzeitig auf die Durchblutung des Gehirns und des Schädelknochens wirkt. Wie sich diese Unterschiede auf die Verarbeitung emotionaler Reize auswirken, die auch in der Depression anders wahrgenommen werden, soll in weiteren Studien untersucht werden. Im nächsten Schritt will das Team Aufnahmen von Personen analysieren, die aktiv Aufgaben lösen oder Reize wahrnehmen, anstatt wie bisher in Ruhelage zu sein.

Nur mit internationaler Zusammenarbeit möglich

Darüber hinaus beteiligt sich Viviani im Rahmen der Kooperation an Studien zum individuell unterschiedlichen Ansprechen auf Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva. „Gemeinsam mit Partnern aus Deutschland haben wir statistische Modelle entwickelt, um den Einfluss von genetischen Varianten in wichtigen Enzymen auf den Medikamentenstoffwechsel zu beschreiben“, berichtet Viviani.

Die internationale Zusammenarbeit sieht er als entscheidend an, um solche umfassenden Datenplattformen zusammenstellen zu können. „Wir brauchen die Daten aus der Gesundheitsversorgung, vor allem in der Ära der KI“, ist Viviani überzeugt, auch wenn nationale Datenschutzvorgaben den Austausch von sensiblen Informationen teilweise stark einschränken. Eine datenbasierte personalisierte Medizin, wie sie durch ERA PerMed vorangetrieben werden soll, könnte Menschen mit Depression präzisere Diagnosen und individuell angepasste Therapien bieten – und das europaweit.

Zur Person

Roberto Viviani ist assoziierter Professor im Bereich Klinische Psychologie an der Universität Innsbruck und Leiter einer Forschungsgruppe an der Universität Ulm, Deutschland. Er studierte Psychiatrie und Neurologie an der University of Cambridge, UK. Sein Forschungsinteresse gilt der Bildgebung in den Neurowissenschaften und der statistischen Analyse von Bilddaten. Der Wissenschaftsfonds FWF fördert das Projekt „Artificial intelligence for personalised medicine in depression (ArtiPro)“ von ERA PerMed, einer europäischen Partnerschaft für personalisierte Medizin, mit rund 287.000 Euro.

Publikationen

Huber D., Rabl L., Orsini C., Labek K., Viviani R.: The fMRI global signal and its association with the signal from cranial bone, in: NeuroImage 2024

Viviani R., Berres J., Stingl J.C.: Phenotypic Models of Drug-Drug-Gene Interactions Mediated by Cytochrome Drug-Metabolizing Enzymes, in: Clinical Pharmacology and Therapeutics 2024

Europäische Datenbank

Der FWF kofinanziert das europäische Großprojekt ArtiPro von ERA PerMed, einer europäischen Partnerschaft zur Förderung personalisierter Medizin. Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) werden neue Faktoren identifiziert, um die Therapien von Depressionen zu verbessern.