Nach Stammzelltransplantationen verlieren Patienten ihren Impfschutz. Grundlagenforscher/innen versuchen nun herauszufinden, wann der richtige Zeitpunkt für eine Wiederimpfung ist. © Shutterstock

Eine Blutstammzellen- oder Knochenmarkstransplantation ist ein tiefer Eingriff in den menschlichen Körper. Im Knochenmark sind jene Stammzellen beheimatet, aus denen Blutzellen entstehen, also auch die weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Bei einer Transplantation werden diese körpereigenen Stammzellen zuerst möglichst vollständig zerstört – mittels Bestrahlung und Chemotherapie –, um dem Patienten danach neue Stammzellen in die Blutbahn zu injizieren. Diese siedeln sich wieder im Knochenmark an und der Patient erhält so ein völlig neues Immunsystem, das jenem des Spenders gleicht. Danach kann sich der Patient vollständig erholen, doch es kann unterschiedliche Komplikationen geben: „In den ersten Monaten nach einer Stammzellentransplantation haben die Patienten ein massiv erhöhtes Risiko für alle möglichen Infektionen durch Viren, Bakterien oder Pilze“, erklärt Christina Forstner von der Medizinischen Universität Wien im Gespräch mit scilog. „Andererseits verlieren sie durch die Transplantation auch ihren Impfschutz, den sie davor durch Impfungen erworben haben. Diese Patientengruppe muss also komplett neu geimpft werden.“ Wann genau das zu passieren hat, ist allerdings nicht im Detail geklärt. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten klinischen Grundlagenprojekt führt ein Team um Forstner eine Pilotstudie durch, um diese Frage zu untersuchen. Forstner hat dafür das Beispiel der Impfung gegen FSME herangezogen, jener Krankheit, die von Zecken übertragen wird und zu schweren Schäden des zentralen Nervensystems bis hin zum Tod führen kann.

Komplett neu impfen

Je nach Impfstoff gibt es derzeit unterschiedliche Empfehlungen für die Nachimpfung von Patienten nach einer Stammzelltransplantation. „Die Empfehlung sagt, dass Lebendimpfstoffe frühestens zwei Jahre nach der Transplantation wieder geimpft werden können und Totimpfstoffe frühestens nach sechs bis 12 Monaten“, sagt Forstner. Bei Totimpfstoffen handelt es sich um abgetötete Krankheitserreger, bei Lebendimpfstoffen werden stark geschwächte, aber noch vermehrungsfähige Krankheitserreger injiziert. Letztere sind für einen gesunden Menschen unbedenklich, können aber für immungeschwächte Patienten gefährlich werden, weshalb hier nach Stammzelltransplantationen mit der Impfung länger gewartet werden muss. Totimpfstoffe wie der FSME-Impfstoff können im Prinzip schon früher nachgeimpft werden, nur: „In den ersten drei bis vier Monaten nach der Transplantation sind die Patienten gar nicht in der Lage, einen Impfschutz aufzubauen“, gibt Forstner zu bedenken. Welcher der beste Zeitpunkt für eine Impfung sei, darüber gebe es nur wenige Daten, sagt Forstner. Hier wird aktuell geforscht, unter anderem in Forstners Team. „Speziell bei der FSME-Impfung existiert dazu keine einzige Studie bei Stammzelltransplantierten weltweit.“ In der nun durchgeführten Studie nehmen derzeit 17 Patienten teil, die 11 bis 13 Monate nach einer Stammzelltransplantation wieder eine Grundimmunisierung für FSME erhalten. Diese besteht aus drei Teilimpfungen im Abstand von einem Monat und neun bis zwölf Monaten. Ihre Reaktion auf die Impfung wird mittels verschiedener Testverfahren gemessen, unter anderem durch Bestimmung der Antikörperkonzentration. Dem steht eine gleich große Kontrollgruppe von gesunden Personen gegenüber, die zum ersten Mal gegen FSME geimpft werden.

Komplikationen bei Abstoßungsreaktionen

Ein Sonderfall ist die Gruppe der Patienten, die Abstoßungsreaktionen zeigen, insbesondere die sogenannte „Transplantat-gegen-Empfänger“-Reaktion, bei der das neue Immunsystem den Körper angreift. „Das ist ein großer Anteil“, sagt Forstner. Abhängig vom Schweregrad werden hier Medikamente eingesetzt, die das Immunsystem des Patienten weiter schwächen. Wird diese Reaktion nicht unter Kontrolle gebracht, kann es sogar zu Multiorganversagen und zum Tod kommen. „Falls eine solche Reaktion vorliegt, ist es noch weniger klar, ob diese Patienten überhaupt in der Lage sind, eine ausreichende Immunantwort nach der Impfung aufzubauen“, ergänzt die Medizinerin. Die Auswertung der Untersuchungen läuft aktuell, einige interessante Beobachtungen gibt es aber bereits. So habe sich gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Patienten ein Jahr nach einer Stammzelltransplantation noch überraschend viele neutralisierende Antikörper gegen FSME haben. Diese stammen noch vom Immunsystem des Spenders. „Davon sind wir nicht ausgegangen“, sagt Forstner. „Ein hoher Anteil der Patienten hat also ein Jahr nach Stammzellentransplantation noch einen gewissen Schutz gegen FSME und man könnte bei dieser Gruppe womöglich länger mit der Wiederimpfung zuwarten.“


Zur Person Christina Forstner ist Assoziierte Professorin an der Medizinischen Universität Wien und Fachärztin für Innere Medizin am Universitätsklinikum Jena. Sie interessiert sich für Infektionen in Patienten mit Immunsuppression, insbesondere im Hinblick auf Impfungen, Strategien und Handhabung von Pilzinfektionen sowie den Einsatz von antibakteriellen und antimykotischen Substanzen in Spitälern.


Publikationen

Harrison et al.: Incidence and characteristics of invasive fungal diseases in allogeneic hematopoietic stem cell transplant recipients: a retrospective cohort study. BMC Infectious Diseases, 2015
Heinz et al.: Emergence of tick-borne encephalitis in new endemic areas in Austria: 42 years of surveillance. Euro Surveillance, 2015
Heinz et al.: Vaccination and tick-borne encephalitis, central Europe. Emerging Infectious Diseases, 2013