Von komplexen Molekülen und surrealen Tieren
Molekül-Physiker versuchen, komplexe chemische Prozesse auf atomarer Ebene zu verstehen. Sie sind also weder Chemiker noch Physiker und doch etwas von beidem. Nach meinem Chemiestudium in Berlin und Madrid habe ich meinen PhD in molekularer Physik in Innsbruck gemacht und arbeite nun als Schrödinger-Fellow in der Abteilung für physikalische Chemie an der University of Melbourne. In den vergangenen Jahren habe ich ein wachsendes Interesse daran entwickelt, inter- und intramolekulare chemische Prozesse auf mikroskopischer Ebene zu untersuchen und zu kontrollieren.
Ein Molekül, viele Seiten
Viele Moleküle einer bestimmten Masse nehmen verschiedene strukturelle Anordnungen, auch Isomere genannt, an. Transformationen zwischen diesen stabilen Strukturen spielen eine entscheidende Rolle in einer Vielzahl natürlicher und technologischer Prozesse wie zum Beispiel bei der chemischen Entwicklung des Universums, im Pflanzenmetabolismus oder bei der Solarenergiegewinnung. Um solche Transformationen untersuchen zu können, braucht es neue Methoden, die einzelne Isomere effizient trennen und die Wirkung von äußeren Impulsen auf ihre Gestalt und Reaktionsfähigkeit analysieren können. Eine ebensolche Apparatur hat Evan Bieske an der University of Melbourne entwickelt. In seiner Forschungsgruppe hat vor fast zwei Jahren ein faszinierendes Abenteuer für mich begonnen.
Platipus gebaut, Platypus gefunden
Unter anderem habe ich hier in Down Under mein neues Lieblingstier, das australische Platypus, kennengelernt. – Eine schräge Mischung aus Ente und Biber. Natürlich gehört es sich für so ein seltsames Tier, dass es nur äußerst selten zu sichten ist. Weshalb ich mich entschied, meinen eigenen komplexen Platipus (Probe of Laser Ablated Trapped Isomer Photochemistry Using Spectroscopy) zu bauen. Denn die eigentliche wissenschaftliche Motivation im Rahmen meines Projektes in Melbourne war die Möglichkeit, eine neue Maschine zu bauen, die Isomere trennen, kühlen und strukturell untersuchen kann. Ein solches Instrument zu entwickeln und zu implementieren war für mich eine große und zeitaufwendige Herausforderung. Dabei bin ich auch auf schwierige Aspekte des australischen Wissenschaftsbetriebs im meinem Bereich, den Naturwissenschaften, gestoßen, wie etwa lange Lieferzeiten und mangelndes Personal in der Elektronik-Werkstatt.
Doch wie so oft hat vieles zwei Seiten. Und durch diese Hürden habe ich gelernt, Probleme jeglicher Art wie kleine handwerkliche und elektronische Arbeiten, selbstständig zu lösen. So haben sich letztlich nicht nur die untersuchten Moleküle, sondern auch unser Labor Schritt für Schritt verformt, und der Platipus ist nun bereit. – Den echten Platypus habe ich übrigens nach vielen Reisen ins Wilde tatsächlich auch noch entdeckt. Beide geglückten Ziele sind vielleicht ein Zeichen, dass es bald Zeit ist, zurückzukehren.
Geschichte neben Wolkenkratzer
Die University of Melbourne ist die zweitälteste Universität Australiens und liegt nur einige Schritte von den Wolkenkratzern des Geschäfts- und Finanzzentrums entfernt. Der relativ kompakte Uni-Campus mit schönen Gebäuden altbritischen Stils ist eine Oase des Wissens und der Ruhe inmitten der Großstadt. Dort gibt es gute Coffeeshops (Pluspunkt), keine Mensa (Minuspunkt) und immer wieder Studenten-Events, Bauernmärkte und gemeinsames Grillen. Zudem sind die Fahrradwege um den Campus, wie auch generell in Melbourne, mehr als akzeptabel für eine Großstadt, und ein effizientes Fortbewegungsmittel, um den Staus zu entkommen. Alles in allem ist Melbourne eine sich ständig entwickelnde Kulturmetropole und definitiv zu empfehlen.
No worries im Land der unendlichen Naturwunder
Ja, ein Leben außerhalb des Labors ist möglich, und ist in Australien auch ein absolutes Muss! Also haben meine Familie und ich am Anfang meines Aufenthaltes ein altes Auto gekauft und versucht, so viel wie möglich von dem Kontinent zu sehen. Dabei haben wir die sehr freundliche australische Kultur genossen, viel über die uralte, vielseitige und naturverbundene Geschichte dieses riesigen Landes erfahren und natürlich auch unfassbare Regenwälder, einsame Strände und noch mehr surreale Tiere gesehen. Australien war für mich und meine Familie eine unglaubliche Bereicherung. So sehr, dass unser zweites Kind gebürtiger australischer Wombat ist. Diese Zeit war definitiv ein „Lebens-Handstand“ für uns und ein Teil unserer Moleküle bleibt für immer hier. – Danke an den FWF, Evan Bieske, James Bull, der ganzen Forschungsgruppe und der Mechanik-Werkstatt, mit denen ich viele lustige Momente erlebt habe.