Studierende lernten im Rahmen einer Untersuchung, ihre Statistikangst möglichst kreativ umzuwerten. Diese Techniken konnten sie danach im Alltag erfolgreich einsetzen und auch das Gehirn reagierte auf die Verhaltensänderungen. © Karolina Gabrowska/Pexels

Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach einem zweiwöchigen Urlaub nach Hause und alle Zimmerpflanzen sind vertrocknet. Dabei haben Sie doch extra eine Freundin gebeten, die Pflanzen zu gießen. Vielleicht kommt jetzt Wut in Ihnen auf. Warum hat die Freundin ihr Versprechen nicht gehalten? Sie überlegen sich mögliche Erklärungen für die Situation: Vielleicht hatte sie mit persönlichen Problemen zu kämpfen, vielleicht hat sie den Haustürschlüssel verloren. Wenn Ihnen viele solcher Möglichkeiten einfallen, bedeutet dies, dass Ihre Fähigkeit zur kognitiven Umbewertung gut ausgeprägt ist.

Kreatives Denken im Alltag

Als kognitive Umbewertung wird eine positivere neue Interpretation von belastenden emotionalen Ereignissen bezeichnet. Ein Grazer Team rund um die biologische Psychologin Ilona Papousek hat sich die neuronale Grundausstattung näher angesehen. Ausgangspunkt des laufenden, FWF-geförderten Forschungsprojektes war die Erkenntnis, dass kognitive Prozesse zur Regulation von Emotionen wichtige Bestandteile von Kreativität sind. „Vielen ist vielleicht nicht bewusst, dass auch im Alltag kreatives Denken notwendig ist. In Gedanken schaffen wir ständig neue Ideen, die uns nützlich sind – auch bei der Regulation von Emotionen“, sagt Teammitglied Corinna Perchtold-Stefan vom Institut für Psychologie der Universität Graz.

Fähigkeit messen, Muster erkennen

Ein Ziel des Projektes war es, Aktivierungsmuster im Gehirn zu identifizieren, die den Umbewertungen negativer Ereignisse zugrunde liegen. Ein zweites Ziel war es, zu untersuchen, ob Verbesserungen in der Fähigkeit, Umbewertungen zu generieren, auch entsprechende Veränderungen im Gehirn mit sich bringen. Dadurch kann besser bewertet werden, ob bestimmte Prozesse im Gehirn ursächlich mit der Fähigkeit zu kognitiver Umbewertung verbunden sind.

Die Forschungsarbeit fokussierte sich im Speziellen auf die Bedeutung von Umbewertung bei Personen, die unter einer spezifischen Angst leiden. „Statistikangst ist ein häufiges Problem bei Studierenden der Psychologie und verwandter Fächer. Sie kann eine große Belastung darstellen und dramatische Konsequenzen für die Bildungskarriere haben“, sagt Perchtold-Stefan.

Forschungsmethoden

In individuellen Trainingseinheiten von 30 Minuten wurde vier Mal wöchentlich trainiert, bestimmte Situationen möglichst kreativ und positiv umzuwerten. 45 Studierende mit Statistikangst wurden in drei Gruppen unterteilt: Eine Gruppe arbeitete mit Statistiksituationen, eine Kontrollgruppe arbeitete mit allgemeinen Angstsituationen und eine zweite Kontrollgruppe erhielt keine Intervention. Die Personen wurden mit eigens entwickelten Szenarios konfrontiert und angeleitet, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. „Durch die Anzahl und Qualität der Antworten ließ sich die Fähigkeit zur kognitiven Umbewertung quantifizieren“, erläutert Perchtold-Stefan. Zusätzlich wurden neurowissenschaftliche Verfahren verwendet (Elektroenzephalografie und funktionelle Magnetresonanztomografie), um die zeitliche und räumliche Dynamik der beteiligten Prozesse im Gehirn im Detail zu untersuchen. Der Vorher-nachher-Vergleich brachte erste interessante Ergebnisse.

Wirkungsvolle Strategie

„Die Fähigkeit zur kognitiven Umbewertung ließ sich massiv steigern. Personen aus der Gruppe mit den Statistiksituationen haben diese danach öfter und erfolgreicher im Alltag eingesetzt.“ Auch auf Ebene des Gehirns zeigte sich eine bemerkenswerte Veränderung: „Wir konnten ein positives Adaptierungsmuster im linken präfrontalen Kortex feststellen, das spricht für eine aktive Coping-Strategie. Auch ein Überschreiben von dominanten Verhaltensmustern ist gelungen.“ Personen aus der Gruppe mit den allgemeinen Angstsituationen konnten zwar nach Abschluss des Trainings mehr kreative Ideen produzieren, sie setzten die Technik aber nicht vermehrt im Alltag ein und es kam auch zu keinen adaptiven Mustern im Gehirn. Auf die Angst selbst hatte das Training generell keinen Einfluss, jedoch auf den Umgang damit.

Perchtold-Stefan ist zuversichtlich, dass sich die Ergebnisse generalisieren lassen. „In einer Pilotstudie mit 73 Studentinnen und Studenten haben wir ein ähnliches Training für Wutsituationen durchgeführt. Auch hier zeigten sich positive Effekte im EEG und ein größerer Ideenreichtum. Die kognitive Umbewertung kann demnach zu einem Werkzeug für alle Menschen in alltäglichen Situationen werden.“ In weiteren Untersuchungen wurde das Forschungsteam außerdem auf zusätzliche Faktoren aufmerksam: „Personen, die sich im Alltag mehr bewegen, sind einfallsreicher bei der positiven Umbewertung von Angst. Außerdem kann es besonders nützlich für das eigene Wohlbefinden sein, belastende Situationen humorvoll umzuwerten.“

Neue, zeitgemäße Ansätze

Durch das Training wurden Grundlagen- und Anwendungsforschung erfolgreich verknüpft. Die wissenschaftliche Fundierung der Fähigkeit zur kognitiven Umbewertung und ihrer Messung kann dazu beitragen, wirkungsvolle Werkzeuge zu entwickeln. „Das Training hat mehrere Vorteile: Es dauert nur kurz, die Hemmschwelle ist niedrig und vor allem ist es ökonomisch. In Zukunft könnte es zum Beispiel Apps oder Online-Trainings geben. Dort lassen sich Fähigkeiten trainieren, die man dann sofort im Alltag umzusetzen kann“, sagt Perchtold-Stefan. Langfristig könnte dies dazu beitragen, die psychische Gesundheit zu verbessern.


Zur Person

Corinna Perchtold-Stefan studierte Psychologie in Graz. Sie spezialisierte sich auf biologische Psychologie und insbesondere auf das Thema der Kreativität bei Emotionsregulation. Gemeinsam mit Projektleiterin Ilona Papousek untersuchte sie in dem vom Wissenschaftsfonds FWF mit 390.000 Euro geförderten Projekt „Kreative Wege zu mehr Wohlbefinden“ die zugrunde liegenden Prozesse der kognitiven Umbewertung. Derzeit arbeitet Perchtold-Stefan am Institut für Psychologie der Universität Graz.


Publikationen

Perchtold-Stefan CM; Papousek I., Rominger C. et al.: Humor comprehension and creative cognition: Shared and distinct neurocognitive mechanisms as indicated by EEG alpha activity, in: NeuroImage. 2020

Perchtold-Stefan CM, Fink A., Rominger C. et al.: More habitual physical activity is linked to the use of specific, more adaptive cognitive reappraisal strategies in dealing with stressful events, in: Stress and Health 2020

Perchtold CM, Weiss EM, Rominger C. et al.: Humorous cognitive reappraisal: More benign humour and less "dark" humour is affiliated with more adaptive cognitive reappraisal strategies, in: PLoS One 2019