Das Filmfestival Biofiction lotet die Möglichkeiten der Neurotechnologien aus. Das Festival ist Teil des Forschungsprojekts „Futurebody“, das gesellschaftliche Debatten zu den Möglichkeiten von Mensch-Computer-Interaktionen anstoßen will. Foto: Still aus dem Film „The Auxiliary“ des belgischen Regisseurs Frédéric Plasman. © Frédéric Plasman

Es gibt sie längst, die kybernetischen Organismen aus der Science-Fiction: Menschen mit Implantaten können wieder hören, Handwerker mit neuronal gesteuerten künstlichen Händen wieder arbeiten, und Sportler vollbringen mit Prothesen Höchstleistungen, die jene körperlich unversehrter Menschen zum Teil übertreffen. Dennoch hat es bis jetzt immer einen wesentlichen Unterschied zu den Zukunftsvisionen aus Film und Literatur gegeben. Menschen mit technologischen Hilfsmitteln auszustatten, heißt bis dato, sie im Falle von Verletzungen oder Krankheiten medizinisch zu unterstützen.

In der Science-Fiction aber fehlt der therapeutische Anspruch oft. Im Zentrum steht hier die Verbesserung des Menschen an sich. Inzwischen rückt die Frage, inwieweit wir uns Menschen ganz grundsätzlich mit technologischen Mitteln optimieren können, in den Vordergrund und lässt rein medizinische Beweggründe zurück. Doch das wiederum wirft viele neue Fragen auf: Was bedeutet das für unsere Gesellschaft und wie weit wollen wir in unsere Natur eingreifen? Diese ethischen Aspekte untersucht Markus Schmidt vom Forschungsunternehmen Biofaction in dem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt Futurebody.

Schöpferische Biologie

„Bevor ich Biologie studierte, habe ich eine HTL für biomedizinische Technik besucht“, erzählt Schmidt. Der Zugang in der Biologie sei ihm fremd gewesen: „Mich hat im Studium frustriert, dass es deskriptiv, bestenfalls analytisch war. Die Natur wird als etwas Gegebenes angesehen, gestalterisch tätig zu werden wie im Ingenieurwesen ist nicht vorgesehen.“ Schmidt spricht von ‚mentalen Blockaden‘ in der Biologie. Die Suche nach dem Schöpferischen in der Biologie habe ihn folglich zur synthetischen Biologie geführt, wo das Designen der Natur Programm ist. „Es ist bezeichnend, dass die tonangebenden Leute dort einen interdisziplinären Hintergrund haben, manche sind Zivilingenieure, die mehr oder weniger in die Biologie hineingestolpert sind. Sie haben nicht diesen Stallgeruch, dieses übertragene Wissen, dass man an der Natur nicht herumdoktern soll“, sagt Schmidt.

Der Forscher ist seit 15 Jahren in dem Gebiet tätig und beschäftigte sich dabei etwa auch mit Biohackern – das sind Menschen, die außerhalb der akademischen und industriellen Forschung auf eigene Faust Biotechnologie benützen, also etwa Medikamente herstellen oder die Genschere CRISPR-Cas9 an sich selbst anwenden. „Bei Interviews mit Hackern aus Europa und den USA habe ich gesehen, dass es auch Überschneidungen zur Neurotechnologie gibt“, berichtet Markus Schmidt. Zum Teil seien es die gleichen Akteurinnen und Akteure. So ist die Motivation für das Projekt entstanden.

Neurotechnologien in Filmen

Schmidt interessiert sich besonders für die kreative gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Neurotechnologien und die ethischen Fragen, die dabei aufgeworfen werden. Wie auch in der synthetischen Biologie sind es vor allem Science-Fiction-Filme, die sich des Themas annehmen. Allerdings sind bekannte Hollywoodstreifen hier limitiert, weil es ums Geld geht. „80 Prozent der Hollywoodfilme haben ein Happy End, weil sie sonst weniger Geld einspielen“, konkretisiert Schmidt. Um eine breitere Diskussion zu ermöglichen, organisierte sein Team 2019 das Filmfestival BIO·FICTION für Independent-Filme über Neurotechnologien. „Indie-Filme, die mit wenig Budget umgesetzt wurden, haben nicht das vorrangige Ziel, viel Geld zu machen, und können sich auf das Künstlerische konzentrieren“, so Schmidt. Von den eingereichten Filmen wurden 26 als Semifinalisten ausgewählt, die beim Festival in Wien gezeigt und von Schmidts Team analysiert wurden.

„Paramusical Ensemble“ dokumentiert den Einsatz von Hirn-Computer-Interfaces, die es vier schwer behinderten Patientinnen und Patienten des Londoner „Royal Hospital for Neuro-disability“ ermöglichten, bei einer musikalischen Live-Performance teilzunehmen. © Tim Grabham

„Einer der Filme hieß Reboot“, erzählt Schmidt. Er stammt von einem rumänischen Filmemacher, der alles selbst gemacht hat: Buch, Regie, Kamera, Hauptdarsteller. „Es geht um einen Menschen mit depressiven Gedanken, der ein neues Leben beginnen und sich dafür mit neurotechnischer Stimulation des Hirns neu ‚hochfahren‘ möchte.“ Schmidt hebt besonders die Darstellung des Gehirns als Gedankenmaschine hervor, die wie ein Computer neu gebootet werden kann. „Früher verglich man das Gehirn mit einem Uhrwerk, weil das das Komplexeste war, das man kannte. Heute ist es der Computer.“ Unter den Filmen war auch eine Dokumentation, bei der schwer gelähmten Musikern mittels EEG ermöglicht wurde, in einem Quartett Musik zu machen. Der Film wurde von einem Künstler realisiert, der sich mit algorithmischer Komposition beschäftigt.

Filmfestival durch Corona unterbrochen

Jeweils die besten fiktionalen Filme und die besten Dokumentationen wurden prämiert. Ursprünglich sollte das Festival mit einem Teil des Programms und einem speziell konzipierten Film-Worldcafé für strukturierte Diskussionsrunden 2020/21 auf Tour gehen, doch die Coronapandemie kam dazwischen. Einzelne Stationen wie Australien konnten realisiert werden, Helsinki fand online statt, aber der Großteil der Events konnte noch nicht durchgeführt werden. Das Projekt wurde daher verlängert und 2021/22 sollen die aufgeschobenen Termine nachgeholt werden.

Neben Filmkunst wurden auch andere Kunstsparten untersucht, um zu sehen, wie Neurotechnologien außerhalb der Universitäten und Spitäler gesehen werden. „Man könnte die Rolle von Künstlerinnen und Künstlern als kulturelle Psychologen betrachten. Sie nehmen Stimmungen und Trends frühzeitig wahr“, sagt Schmidt. „Wir haben versucht, uns einen Überblick über neurotechnologisch inspirierte Kunst zu verschaffen.“ Außerdem wolle man eng mit den Kunstschaffenden zusammenarbeiten, um mehr über die Hintergründe zu erfahren.

Die Frage nach optimierten Menschen

Die Frage, wie mit Neurotechnologien umzugehen ist, drängt sich heute mehr denn je auf. Schmidt erzählt von einem Projektpartner, der gehörlos war und mithilfe eines Cochlea-Implantats, das Impulse eines elektronischen Mikrofons direkt an den Hörnerv weiterleitet, wieder hören kann: „Wir waren in einem Lokal mit lauter Geräuschkulisse, und ich hatte Schwierigkeiten, ihn zu hören. Ich dachte, für ihn müsse es noch schlimmer sein, doch er hörte mich hervorragend. Sein Hörgerät hat eine Einstellung speziell für laute Umgebungen. Normalerweise haben Menschen mit diesem Implantat eine Hörfähigkeit von 80 bis 90 Prozent, aber in diesem Fall hört er viel besser als ein gesunder Mensch ohne Gerät.“ Technologisch spreche außerdem nichts dagegen, den Frequenzbereich zu erweitern, sodass ein solcher Mensch etwa auch Fledermäuse hören kann. Das wirft laut Schmidt auch die Frage auf, wie Menschen mit Behinderung wahrgenommen werden und wie wir in Zukunft auf Menschen ohne Implantate reagieren. „Was wir heute als normal bezeichnen, könnte in ein paar Jahrzehnten als rückständig betrachtet werden, weil Menschen mit Enhancements leistungsfähiger sind“, gibt Schmidt zu bedenken.

Technologien verschmelzen

Methodisch knüpft Schmidt mit der Arbeit des Futurebody-Projekts an die Technikfolgenabschätzung an, geht aber durch die Auseinandersetzung mit Hackern, Künstlerinnen und Künstlern, Science-Fiction-Autoren und Filmemacherinnen darüber hinaus. Er will die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu den neuen Möglichkeiten der Technologien einerseits mit Fakten unterstützen, aber auch fiktive Szenarien einbringen, um die Vorstellungskraft zu beflügeln.

„Die ersten Autos sahen aus wie Kutschen ohne Pferde. In den 1980er- und 90er-Jahren dachte man, das Internet ist wie Fernsehen, nur besser. Können wir heute erahnen, wie die Neurotechnologie zukünftig den Menschen verändern wird?“, fragt Schmidt. Die Kunst könnte darauf Antworten finden, ist der Forscher überzeugt. An dem internationalen Grundlagenprojekt, das zu dem auf Neurologie spezialisierten Programm Era-Net Neuron der Europäischen Kommission gehört, sind Partnerinstitute aus Karlsruhe, Calgary und Freiburg beteiligt.


Zur Person

Markus Schmidt ist Biotechnologe und Leiter sowie Gründer des Forschungs- und Wissenschaftskommunikationsunternehmens Biofaction. Nach einer technischen Ausbildung im Bereich Nachrichtentechnik und biomedizinische Technik studierte er Biologie. Sein Interesse gilt der synthetischen Biologie, der Neurotechnologie und damit verwandten Wissenschaftsgebieten, mit Blick auf die gesellschaftlichen Implikationen. Das Projekt „Partizipative Reflexion und Neurotechnologie – Kunst, Hacking und Storytelling“ (2018–2022) wird mit 200.000 Euro vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt.


Publikation

Teunisse W., Youssef S., Schmidt M.: Human enhancement through the lens of experimental and speculative neurotechnologies, in: Human Behavior and Emerging Technologies 2019