Implantat soll Therapie von Hirntumoren verbessern
âDas ist das erste Mal, dass eine Ionenpumpe als mögliche Methode zur Behandlung von bösartigen Hirntumoren getestet wurde. Wir haben Krebszellen im Labor verwendet, und die Ergebnisse sind Ă€uĂerst vielversprechend. Es wird aber wahrscheinlich noch fĂŒnf bis zehn Jahre dauern, bis wir diese neue Technologie in der Behandlung von Hirntumoren einsetzen könnenâ, erlĂ€utert der Physiker Daniel Simon vom Labor fĂŒr organische Elektronik an der UniversitĂ€t Linköping in Schweden.
FĂŒr ihren neuen Ansatz zur Therapie von Hirntumoren kooperieren interdisziplinĂ€re Forschergruppen aus Ăsterreich und Schweden. An der Medizinischen UniversitĂ€t Graz haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Biophysik und Neurochirurgie ihr Wissen fĂŒr ihre Experimente geteilt. Dabei wurden Zellen von Glioblastomen verwendet, der hĂ€ufigsten und aggressivsten Krebsart, die im Gehirn entstehen kann. Wenn ein Hirntumor chirurgisch entfernt wird, bleiben oft kleine Teile des Tumors zurĂŒck, die zwischen den Gehirnzellen eingebettet sind. Selbst eine hochprĂ€zise Operation kann diese Zellen nicht entfernen, ohne das umliegende gesunde Hirngewebe zu schĂ€digen. Infolgedessen wird eine Strahlen- und Chemotherapie eingesetzt, um das Wiederauftreten des Tumors zu verzögern.
Ionenpumpe leitet Medikamente gezielt ins Gehirn
In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine groĂe Vielfalt an Chemotherapeutika entwickelt. Diese Medikamente werden meist entweder intravenös oder in Tablettenform verabreicht. Um das Gehirn zu erreichen, mĂŒssen sie zunĂ€chst ĂŒber den Blutkreislauf im System verteilt werden und dann die Blut-Hirn-Schranke passieren. Diese Schranke verhindert allerdings, dass unzĂ€hlige Substanzen, die im Körper im Blut zirkulieren, auch ins Gehirn gelangen. Dies gilt ebenso fĂŒr viele Chemotherapeutika, weshalb nur wenige Medikamente, die gegen diese Tumoren wirken könnten, schlussendlich auch an ihren Wirkungsort gelangen und dort zum Einsatz kommen.
Die Forscherteams der Medizinischen UniversitĂ€t Graz und der UniversitĂ€t Linköping haben nun eine Methode entwickelt, bei der mithilfe einer implantierten Ionenpumpe die Blut-Hirn-Schranke umgangen und Gemcitabin â ein extrem wirksames Chemotherapeutikum â hochprĂ€zise ins Gehirn geleitet werden kann. Gemcitabin wird derzeit zur Behandlung von Krebserkrankungen der BauchspeicheldrĂŒse, der Blase und der Brust eingesetzt, wo es den Zellteilungsprozess in schnell wachsenden Tumoren unterbindet. Da Gehirnzellen im Allgemeinen keine Zellteilung durchlaufen, wirkt Gemcitabin nur auf die Tumorzellen.
Neue Methode verschont Nervenzellen
âDie Glioblastom-Behandlung, die derzeit in den Kliniken eingesetzt wird, schĂ€digt Krebs- und Nervenzellen in gleichem MaĂe. Mit der Gemcitabin-Ionenpumpe bekĂ€mpfen wir jedoch nur die Krebszellen, gleichzeitig werden Neuronen nicht beschĂ€digt. AuĂerdem zeigen unsere Experimente an kultivierten Glioblastomzellen, dass mit der Ionenpumpe mehr Krebszellen abgetötet werden als mit der manuellen Behandlungâ, sagt Linda Waldherr, UniversitĂ€tsassistentin an der Medizinischen UniversitĂ€t Graz. Sie hat die soeben im Fachjournal âAdvanced Materials Technologiesâ publizierte Studie gemeinsam mit den Forschenden der UniversitĂ€t Linköping durchgefĂŒhrt.
Wenn die Ionenpumpe den Wirkstoff Gemcitabin aus einem Elektrolytreservoir in Zellen oder einen Tumor transportiert, wird nur sehr wenig Strom verwendet, um das positiv geladene Medikament durch den Ionentransportkanal zu âpumpenâ. Dieses Verfahren wird als Elektrophorese bezeichnet. Dass die Ionenpumpe nur wenig Strom benötigt, um das Chemotherapeutikum zu befördern, ist ein Vorteil, da dadurch Neuronen nicht aktiviert und somit ungewollte Nervensignale verhindert werden. Der niedrige Strom und die niedrige Spannung bedeuten auch, dass eine mögliche therapeutische Technologie keine groĂen Stromversorgungen oder Batterien fĂŒr den Betrieb benötigt.
NĂ€chste Schritte â weitere Tests
Rainer Schindl, Biophysiker an der Medizinischen UniversitĂ€t Graz und Mitautor der Studie, beschreibt weitere Vorteile: âDer Druck im Gehirn ist extrem empfindlich. Wenn man nun eine Ionenpumpe zum Transport des Medikaments verwendet, anstatt eines flĂŒssigkeitsbetriebenen GerĂ€ts, wird der Hirndruck nicht beeinflusst. AuĂerdem wird die Dosierung elektrisch gesteuert, was die Abgabe des Chemotherapeutikums Ă€uĂerst prĂ€zise macht. Der nĂ€chste Schritt wird sein, die Ionenpumpe zu nutzen, um verschiedene Chemotherapeutika zu evaluieren, die bisher zu starke Nebenwirkungen hatten oder die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren konntenâ, sagt Schindl.
Der Wissenschaftsfonds FWF hat das Forschungsprojekt im Rahmen des 1000-Ideen-Programms mitfinanziert, ebenso wie die Ăsterreichische Akademie der Wissenschaften, die Knut-und-Alice-Wallenberg-Stiftung sowie die Schwedische Stiftung fĂŒr Strategische Forschung.
Zu den Personen
Rainer Schindl ist assoziierter Professor fĂŒr IonenkanĂ€le und Optobioelektronik am Institut fĂŒr Biophysik der Medizinischen UniversitĂ€t Graz. Der Wissenschaftler leitet das 1000-Ideen-Projekt âELPHI: Ein steuerbares Implantat fĂŒr Chemotherapie im Gehirnâ, das 2020 vom Wissenschaftsfonds FWF bewilligt wurde. Sein Forschungsfokus ist Elektrophysiologie und bioelektronische Medizin.
Silke Patz ist Senior Scientist in der Forschungseinheit Experimentelle Neurotraumatologie der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Neurochirurgie in Graz. Die Neurobiologin unterstĂŒtzt das Projekt mit ihrer Expertise in Neurowissenschaften und neurologischen Krebserkrankungen.
Linda Waldherr ist Postdoc-Forscherin am Institut fĂŒr Biophysik, einem Bereich des âGottfried Schatz Forschungszentrumsâ, an der Medizinischen UniversitĂ€t Graz. Die Biochemikerin beschĂ€ftigt sich u. a. mit neurologischen Erkrankungen und Systemen zur Wirkstoffabgabe.
Publikation
Linda Waldherr, Maria Seitanidou, Marie JakeĆĄovĂĄ et al.: Targeted chemotherapy of glioblastoma spheroids with an iontronic pump, in: Advanced Materials Technologies 2021