Illustration in Rot eines Mannes, der sich nach vorne beugt und seine Hand auf das sichtbare Herz hÀlt
Untersuchungen zeigen bei Patient:innen mit gutem Heilungsverlauf nach einem Herzinfarkt einen anderen immunologischen Fußabdruck als bei jenen mit starken Vernarbungen. © Zyanya Citlalli/unsplash

Ein Herzinfarkt ist eine Weichenstellung im Leben vieler Menschen. Abgesehen vom Lebensstil, der oft grundlegend zu ĂŒberdenken ist, kann es selbst bei rechtzeitiger und guter Behandlung zu einer anhaltenden HerzschwĂ€che kommen. Der Grund dafĂŒr sind umfangreiche Vernarbungen am Herzmuskel, die die Pumpkraft vermindern. Das Ergebnis: Trotz glimpflich verlaufenden Notfalls und bester VorsĂ€tze bestehen unter UmstĂ€nden kaum Chancen, sich dauerhaft wieder gesund und fit zu fĂŒhlen.

Ob es im individuellen Fall tatsĂ€chlich zu einer HerzschwĂ€che kommt, ist allerdings schwer vorherzusagen. Auslöser fĂŒr ausufernde Vernarbungen sind ĂŒberschießende EntzĂŒndungsreaktionen des Immunsystems. Um diese rechtzeitig zu unterbinden, fehlen den Ärzt:innen sowohl die diagnostischen als auch die therapeutischen Mittel. Einen neuen Ansatz in diesem Bereich lieferten nun Medizinforschende im EU-Projekt „Die Rolle der adaptiven Immunantwort nach Myokardinfarkt“, das in Österreich vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wurde.

Peter Rainer und sein Team vom UniversitĂ€ren Herzzentrum an der Medizinischen UniversitĂ€t Graz untersuchten gemeinsam mit Kolleg:innen von der UniversitĂ€tsklinik in WĂŒrzburg und der Sorbonne UniversitĂ© in Paris die komplexen immunologischen Prozesse, die an der „Wundheilung“ des Herzens beteiligt und schlussendlich auch fĂŒr die Vernarbungen verantwortlich sind. „Ein wichtiger Ausgangspunkt unserer Forschungen ist die Erkenntnis, dass das adaptive – also im Lauf des Lebens erworbene – Immunsystem, das in jedem Menschen unterschiedlich ausgeprĂ€gt ist, eine tragende Rolle im Heilungsprozess spielt“, betont Rainer. „Deshalb war es unser Ziel, Biomarker oder Muster in den individuellen immunologischen Prozessen zu finden, die ĂŒber den zu erwartenden Krankheitsverlauf Auskunft geben.“

Komplexe Immundynamik

Ein Herzinfarkt entsteht am hĂ€ufigsten durch ein Gerinnsel, ausgelöst durch eine Verletzung von GefĂ€ĂŸwĂ€nden aufgrund von Arteriosklerose – also der „Verkalkung“ der BlutgefĂ€ĂŸe. Die Blut- und Sauerstoffzufuhr zum Herzen wird dadurch unterbunden. Brustschmerzen und Atemnot treten auf, nach wenigen Minuten sterben Herzzellen ab. Im schlimmsten Fall folgt auf den Infarkt ein Herzstillstand. Das Absterben der Zellen löst gleichzeitig aber auch eine Reaktion des körpereigenen Immunsystems aus. Die ĂŒber Wochen dauernde Geweberegeneration nach dem ĂŒberstandenen Notfall verlĂ€uft Ă€ußerst dynamisch. „Die VorgĂ€nge am Beginn sind vollkommen andere als jene in einem spĂ€teren Stadium“, erklĂ€rt Rainer. „In jeder Phase verĂ€ndert sich die Kombination der beteiligten Immun- und Botenstoffe. FĂŒr eine effektive Behandlung braucht es ein besseres VerstĂ€ndnis dieser Prozesse.“

Gleich zu Beginn der Immunreaktion treten auch die T-Lymphozyten – sie gehören zum erworbenen Immunsystem – auf den Plan. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der EntzĂŒndungsreaktion, weshalb sie fĂŒr die Untersuchungen von Rainer und Kolleg:innen besonders interessant waren. Sie wurden unter anderem mittels Einzelzell-Sequenzierung analysiert. Bei diesem Verfahren kommt das untersuchte genetische Material nicht aus einer Vielzahl von Zellkernen, sondern kann gezielt aus einer individuellen Zelle extrahiert werden. „Wir konnten damit die Arbeit der Immunabwehr wirklich auf die Funktion der einzelnen Zelle – und damit der Proteine, die die DNA darin hervorbringt – herunterbrechen“, betont Rainer. Besonders interessant war hier, welche Proteine und Antigene von den Rezeptoren an den T-Zellen jeweils erkannt werden.

Untersuchungen an menschlichem Gewebe

Einen weiteren Zugang zu den immunologischen VorgĂ€ngen gewĂ€hrte die Analyse menschlicher Gewebeformen, die im Rahmen des Projekts zur VerfĂŒgung standen. Dazu gehört nicht nur Blut, sondern etwa auch Proben von Herzmuskeln erkrankter Personen. „Dank dem Zugang zu diesen Materialien konnten wir etwa Erkenntnisse der immunologischen Forschung mit Tiermodellen fĂŒr den Menschen verifizieren“, hebt der Mediziner hervor.

Einzelzell-Sequenzierung und andere Methoden trugen schließlich dazu bei, die verschiedenen HeilungsverlĂ€ufe in einer kleinen Gruppe ausgewĂ€hlter und sehr gut charakterisierter Proband:innen genau nachvollziehen zu können. Alle Teilnehmenden hatten gerade einen ersten „großen“ Herzinfarkt hinter sich und nach aktuellem Wissensstand sehr Ă€hnliche Heilungsvoraussetzungen. Dennoch vernarbte das Gewebe bei einigen besser als bei anderen.

Hinweise fĂŒr den Heilungsverlauf

In der Analyse der beteiligten immunologischen Prozesse konnte nun tatsĂ€chlich eine relevante Signatur gefunden werden, die diese Unterschiede in der Genesung frĂŒhzeitig erkennen lĂ€sst, erklĂ€rt Rainer. „Unsere Daten zeigten bei Patient:innen mit gutem Heilungsverlauf einen anderen immunologischen Fußabdruck als bei jenen mit starken Vernarbungen“, betont der Forscher. „Diese Ergebnisse mĂŒssten nun allerdings in einer umfangreicheren Studie mit einer grĂ¶ĂŸeren und vielfĂ€ltigeren Gruppe von Herzinfarktpatient:innen bestĂ€tigt werden.“ Ein detailliertes VerstĂ€ndnis, welche Mechanismen hinter der gefundenen Signatur und den damit zusammenhĂ€ngenden Folgeerscheinungen stehen, bleibt ebenfalls Gegenstand zukĂŒnftiger Forschung. Schlussendlich stellt der Ansatz aber einen neuen Diagnose-Marker in Aussicht, der rechtzeitige Interventionen möglich machen könnte.

Rainer und Kolleg:innen nĂ€hern sich der Problematik indes auch mit neuen ForschungsansĂ€tzen. Zum einen werden in einem neuen, vom FWF unterstĂŒtzten Projekt große Mengen an Patientendaten – vom Laborbefund bis zum Röntgenbild – mithilfe kĂŒnstlicher Intelligenz durchforstet, um ZusammenhĂ€nge mit spĂ€teren Herzinfarkten zu erkennen und RisikoabschĂ€tzungen sowie Vorsorgeempfehlungen abzuleiten. Zum anderen untersuchen die Forschenden im Flagship-Projekt „VascHealth“ der Medizinischen UniversitĂ€t Graz eine Art RĂŒckkopplungseffekt, den ein Herzinfarkt mit sich bringt. Mit ihm steigen nĂ€mlich oft die EntzĂŒndungswerte im Körper schlagartig an und beschleunigen damit die Arteriosklerose – der Beginn eines Teufelskreislaufes, der weitere Herzinfarkte wahrscheinlicher macht. Das komplexe Zusammenspiel zwischen kardiovaskulĂ€ren Erkrankungen und Immunsystem birgt noch viele offene Fragen.

Zur Person

Peter P. Rainer studierte Medizin in Graz und Florenz, bevor er unter anderem Postdoc-Fellow an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, war. Ab 2018 wirkte er als assoziierter Professor an der Medizinischen UniversitÀt Graz sowie als Oberarzt und Leiter der kardiologischen Ambulanzen und des Herzinsuffizienz-Programms am UniversitÀren Herzzentrum Graz. Mittlerweile ist Rainer Primarius der Internen Abteilung des Bezirkskrankenhauses St. Johann in Tirol.

Publikationen

Delgobo M., Weiß E., Ashour D., Richter L. et al.: Myocardial Milieu Favors Local Differentiation of Regulatory T Cells, in: Circulation Research 2023

Sattler S., Ramos GC, Ludewig B., Rainer P: Cardioimmunology: the new frontier!, in: European Heart Journal 2023

Le Gouge K., Ashour D., Heinrichs M., Stys P. et al.: A distinct T cell receptor signature associates with cardiac outcome in myocardial infarction patients, in: medRxiv 2023 (pre-print)