Fossile Korallen helfen beim Blick in die Klimazukunft
Eine der ersten großen Auswirkungen der gegenwärtigen Klimakatastrophe auf die Biodiversität ist die Veränderung der weltweiten Ökosysteme von Korallenriffen. Die Riffe sind touristisch relevant, vor allem aber in ihrer Funktion als Küstenschutz und Nahrungsmittellieferant von großer Bedeutung. Korallenbleiche, -abwanderung oder gar das Aussterben der Lebewesen haben weitreichende Folgen. Um voraussagen zu können, wie sich die Korallenpopulationen mit zunehmender Erderwärmung verändern, lohnt der Blick in die erdgeschichtliche Vergangenheit. Denn vor etwa 125.000 Jahren, in der letzten Warmzeit vor dem gegenwärtigen Holozän, stiegen die Temperaturen auf ein Niveau, das heute einem Anstieg von etwa zwei Grad über dem vorindustriellen Wert entspricht. Der Anstieg in der damaligen sogenannten Eem-Warmzeit ging aber längst nicht so schnell vonstatten wie beim derzeitigen menschengemachten Klimawandel.
Fossile Riffe sind Boten aus der Zeit dieses vergangenen Klimawandels. Martin Zuschin und Angelina Ivkić vom Department für Paläontologie der Universität Wien arbeiten mit ihren Kolleg:innen daran, die Nachrichten, die sie überbringen, zu entschlüsseln. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt untersuchten sie fossile Riffe am Roten Meer und vergleichen die Erkenntnisse zur damaligen Diversität mit aktuellen Korallenpopulationen. Die Forschung soll einen Blick in eine Zukunft erlauben, in der die Veränderung der Biodiversität an den Riffen durch den Klimawandel bereits weit fortgeschritten ist. „Eine These zur Entwicklung der Riffe im Roten Meer ist, dass die zunehmende Hitze zur Abwanderung der Korallenpopulationen in den etwas kühleren Norden des Gewässers führt“, erklärt Zuschin. „Es liegt also nahe, in diesem nördlichen Teil auch nach fossilen Riffterrassen zu suchen.“
Forschung im militärischen Sperrgebiet
Im Zuge ihrer Feldforschungen haben die Paläontolog:innen deshalb eine Reihe von Orten entlang des Roten Meeres in Ägypten und im Sudan besucht. Im Norden wurden fossile Riffterrassen an Land, im Süden dagegen die gegenwärtigen Korallenriffe unter Wasser untersucht. „Vor 125.000 Jahren lag der Meeresspiegel einige Meter über dem aktuellen Niveau. Deshalb kann man heute entlang der Küstenlinie die fossilen Korallenbänke finden“, erläutert Zuschin. Nicht alle Herausforderungen bei der Forschungsexpedition sind wissenschaftlicher Natur: „Die fossilen Lagerstätten sind allesamt in militärischen Sperrgebieten. Dadurch kam erschwerend hinzu, dass die Behörden immer wieder unsere Arbeit unterbrachen, um unsere Unterlagen zu prüfen“, betont der Paläontologe. „Unsere ägyptischen Partner waren bei der Logistik in dieser Wüstengegend sehr hilfreich.“
Das Forscherteam untersuchte unter anderem, mit welchen Methoden sich die Korallen – fossil oder lebendig – am besten erfassen lassen. Zu den Standardmethoden gehören sogenannte Linientransekte. Dabei wird eine Leine in gerader Linie entlang eines Riffs gespannt, um die darunterliegenden Strukturen sehr genau zu vermessen. „Wir konnten einerseits zeigen, dass die Resultate des Linientransekts im fossilen Riff auf alle Fälle vorzuziehen sind. Die alternative Fotoquadratmethode, bei der Bildsegmente ausgewertet werden, brachte stark abweichende Resultate“, betont Ivkić. „Andererseits fanden wir auch heraus, wie man die Linientransekte effizienter gestalten kann. Es ist nicht notwendig, dabei die gesamte Länge durchgehend zu vermessen. Es reicht, wenn man die unter der Leine liegenden Strukturen alle 20 Zentimeter vermisst, um aussagekräftige Ergebnisse ableiten zu können.“
Die Feuerkoralle als Schlüsselgattung
Die Forschenden untersuchten die Riffe also mittels Linientransekten auf zwei Höhenstufen. Gleichzeitig wurden Proben genommen, die im Labor datiert werden. Zuschin betont, dass seine Wiener Forschungsgruppe nur eine von wenigen weltweit sei, die Fossilien aus Ägypten ausführen durfte. Eine für das Rote Meer charakteristische Gattung, die Feuerkoralle oder Millepora, verhalf den Paläontolog:innen zu einer wichtigen Erkenntnis. „Wir konnten Behauptungen widerlegen, wonach Millepora ein sehr schlechtes Erhaltungspotenzial im fossilen Riff hat“, erklärt Zuschin.
„Die Feuerkoralle ist aber fossil nicht leicht zu bestimmen und braucht außerdem ein Habitat, das von seichtem Wasser und hoher Strömungsenergie geprägt ist. Blickt man auf diese für Riffkanten typischen Habitate mit der notwendigen Bestimmungsexpertise, stellt sich heraus, dass sie in fossilen wie gegenwärtigen Riffen ähnlich oft vertreten sind“, betont der Forscher. Die Erkenntnis hat große Konsequenzen für die weitere Forschung: „Millepora kann als Schlüsselgattung genutzt werden, um die unterschiedlichen Habitate im Hinblick auf ihre Strömungsenergie und Wassertiefe besser voneinander unterscheiden zu können, was im fossilen Umfeld bisher schwer möglich war“, sagt Ivkić.
Urzeitliche Biodiversität
In ihren bisherigen Auswertungen der fossilen Daten konnten die Forschenden nun tatsächlich einen leichten, von Süden nach Norden zunehmenden „Diversitätsgradienten“ in beiden Habitaten – also sowohl an den Riffkanten als auch an den Riffhängen – identifizieren. „Das bedeutet, dass in der Eem-Warmzeit die Diversität in den Habitaten Richtung Norden leicht anstieg“, erklärt Zuschin. „Die Untersuchung umfasst bisher zwar lediglich drei Breitengrade – man muss also weitere Resultate abwarten. Dennoch ist das Ergebnis ein starkes Signal, dass die These der Abwanderung der Spezies im Zuge des Klimawandels Richtung Norden zutreffend ist.“
In kommenden Erhebungen soll dieser urzeitliche Diversitätsgradient noch erweitert werden. Zudem soll untersucht werden, ob auch bei den gegenwärtigen Riffen im Sudan ein ähnlicher Gradient zu finden ist, der hier über eine Abnahme der Diversität Auskunft gibt – eine Arbeit, die durch die Covid-Krise und politische Unruhen im Sudan verzögert wurde. Angelina Ivkić macht sich gleichzeitig auch Gedanken über eine adäquate Wissenschaftskommunikation, die schon Schulkinder auf die gefährdeten Korallenriffe aufmerksam macht. „Die Idee ist, ein Spiel für junge Detektiv:innen ab 13 Jahren zu entwerfen, die die Gefahren für gegenwärtige Korallenriffe besser verstehen lernen, indem sie fossile Riffe, Riffbewohner:innen und Wissenschaftler:innen ‚befragen‘. Das Ziel ist, mit Hilfe des neuen Wissens das letzte verbliebene Riff im Roten Meer zu retten.“
Zu den Personen
Martin Zuschin ist seit 2011 Professor für Paläontologie an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Paläodiversität, Faunengradienten und die Ökologie von Riffhabitaten in der Erdneuzeit. Angelina Ivkić schloss ihren Master in Marine Sciences in Utrecht in den Niederlanden ab und ist Doktoratsstudentin in Zuschins Forschungsgruppe. Das Projekt „Pleistozäne und rezente Riffe des Roten Meeres im Vergleich“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 262.000 Euro unterstützt.
Publikationen
Zuschin Martin: Challenges of Conservation Paleobiology: From Baselines to novel communities to the necessity for granting rights to nature, in: Palaios 38 (6) 259-263, 2023
Ivkić A., Puff F., Kroh A., Mansour A., Osman M., Hassan M., Ahmed A., Zuschin M.: Three common sampling techniques in Pleistocene coral reefs of the Red Sea: a comparison, in: Geological Society, London, Special Publications, Vol. 529, 2023
Tomasovych A., Dominici St., Nawrot R., Zuschin, M.: Temporal scales, sampling designs, and age distributions in marine conservation palaeobiology, in: Geological Society, London, Special Publications, Vol. 529, 2023
Ivkić A., Kroh A., Mansour A., Osman M., Hassan M., Zuschin M.: Millepora in Pleistocene coral reefs of Egypt, in: Lethaia. Vol. 55, 2022