MigrĂ€ne ist hĂ€ufig mit einer Überempfindlichkeit gegenĂŒber Lichtreizen verbunden. Ein Wiener Forscherteam untersucht neue BehandlungsansĂ€tze durch Lichttherapie. © Shutterstock/Myimagine

MigrĂ€ne ist eine hĂ€ufige, belastende, chronisch wiederkehrende Erkrankung. Etwa zehn Prozent der Erwachsenen sind von MigrĂ€ne betroffen, Frauen hĂ€ufiger als MĂ€nner, aber auch Kinder und Jugendliche sind mit wiederkehrenden MigrĂ€neattacken konfrontiert. In der Global Burden of Disease Study der Weltgesundheitsorganisation liegt MigrĂ€ne, was die weltweite krankheitsbedingte Belastung betrifft, unter mehr als 300 Erkrankungen an sechster Stelle. Eine hĂ€ufige Begleiterscheinung von MigrĂ€ne ist eine Überempfindlichkeit gegenĂŒber GerĂŒchen, LĂ€rm oder Licht. Letztere ist fĂŒr die Patientinnen und Patienten oft besonders schlimm. Lichtreize können aber auch Auslöser einer Kopfschmerzattacke sein. In jedem Fall sind die Betroffenen in ihrem Alltag erheblich eingeschrĂ€nkt. Oft wird schon normales Tageslicht als unertrĂ€glich empfunden, mit dem Ergebnis, dass sich MigrĂ€ne-Erkrankte wĂ€hrend einer Attacke in dunkle RĂ€ume zurĂŒckziehen, Licht aber oft auch zwischen den Attacken meiden. Eine solche Vermeidungsstrategie zĂ€hlt bis dato auch zu den Ă€rztlichen Empfehlungen fĂŒr den Umgang mit MigrĂ€ne.

Verbesserung statt Vermeidung

„Inzwischen wird jedoch vermutet, dass die Vermeidung von Licht nachteilig ist, weil sie die Empfindlichkeit gegenĂŒber Licht, die so genannte Photophobie, weiter erhöhen könnte “, erklĂ€rt Kopfschmerzexperte Christian Wöber. Vergleichbar sei dies mit Menschen, die unter Höhen- oder Platzangst leiden und angstauslösende Situationen vermeiden –, damit aber das Problem nicht lösen. Ein Forscherteam der Medizinischen UniversitĂ€t Wien geht daher in einer soeben anlaufenden Studie des Wissenschaftsfonds FWF der Frage nach, ob es auch andere und vor allem nachhaltige Wege im Umgang mit der Lichtempfindlichkeit bei MigrĂ€ne gibt. Erste Untersuchungen zeigen, dass nicht das Vermeiden von Licht, sondern umgekehrt, die Desensibilisierung des Gehirns gegenĂŒber Lichtreizen die bessere Strategie sein könnte. Dabei durchlaufen die Betroffenen einwöchige Trainings, in denen sich das Gehirn durch „Flackerlicht“ an helles oder normales Licht gewöhnen soll.

Neue AnsĂ€tze – kontrĂ€re Konzepte

„Das aktuelle Forschungsprojekt wird mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) die ersten Hirnfunktionsdaten zur bestmöglichen Strategie liefern“, sagt Antragsteller und fMRT-Experte Roland Beisteiner. Dabei werden beide Herangehensweisen – Lichtexposition und Lichtentzug – an MigrĂ€nepatientinnen und -patienten und an Personen ohne MigrĂ€ne untersucht und erstmals die Hirnreaktionen gemessen, um die Effekte der beiden gegensĂ€tzlichen Strategien sichtbar zu machen. Das Projekt wird von der Arbeitsgruppe fMRT unter Leitung von Roland Beisteiner und der Arbeitsgruppe Kopfschmerz unter Leitung von Christian Wöber gemeinsam mit Stefan Seidel durchgefĂŒhrt. UnterstĂŒtzt wird das Wiener Team durch den australischen Psychologen Paul Martin. „Noch ist unklar, ob das Gehirn wirklich weniger empfindlich wird durch Desensibilisierung, also eine Behandlung durch Licht. Wenn ja, wĂ€re das ein völlig neuer Therapieansatz“, betonen die Forscher. Dass jeder Patient und jede Patientin in einem Abstand von drei Monaten beide Therapieformen durchlĂ€uft, ermögliche individuell am Patienten vergleichen zu können, in welche Richtung die Effekte gehen und wie sich die GehirnaktivitĂ€ten von gesunden Personen unterscheiden.

Fortschritte in der MigrÀneforschung

Die Forschung konnte in den vergangen Jahre vieles ĂŒber MigrĂ€neattacken aufklĂ€ren. MigrĂ€ne ist genetisch bedingt und geht mit FunktionsĂ€nderungen im Nervensystem einher. Impulse aus der Gehirnrinde, dem Hirnstamm und den Gesichtsnerven fĂŒhren zu einer EntzĂŒndungsreaktion in der Hirnhaut und zu den typischen Symptomen der MigrĂ€ne. Es wurden auch Botenstoffe entschlĂŒsselt, die bei MigrĂ€ne eine wichtige Rolle spielen. Aus diesen Erkenntnissen hat sich die Entwicklung von Medikamenten ergeben, die speziell bei MigrĂ€ne wirken. Die Frage, weshalb eine Attacke zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt beziehungsweise wodurch eine Attacke ausgelöst wird, erfordert aber weitere wissenschaftliche Untersuchungen. Die Forscher an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien setzen mit ihrem FWF-Projekt an der aus zahlreichen Studien bekannten Tatsache an, dass MigrĂ€ne mit einer Reizverarbeitungsstörung des Gehirns einhergeht. MigrĂ€nebetroffene reagieren oft auch zwischen den Attacken auf Sinnesreize wie Licht, GerĂ€usche und GerĂŒche anders als Personen ohne MigrĂ€ne. Sie nehmen diese Reize verstĂ€rkt wahr und können sie nicht ausblenden. Das aktuelle Projekt wird die Frage klĂ€ren, ob Vermeidung von Lichtreizen, wie bisher empfohlen, oder die gezielte Lichtexposition die bessere Strategie ist.


Zu den Personen Die Neurologen Roland Beisteiner und Christian Wöber arbeiten an der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Neurologie der Medizinischen UniversitĂ€t Wien. Beisteiner ist Experte fĂŒr funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), www.oegfmrt.org. Christian Wöber leitet die an der Klinik angesiedelte Kopfschmerzambulanz. Das FWF-Projekt „Photophobie bei MigrĂ€ne“ lĂ€uft noch bis 2017.


Teilnahme an der Studie FĂŒr die aktuelle Studie „Photophobie bei MigrĂ€ne“ werden noch Patientinnen und Patienten (Alter 18 bis 40) aufgenommen. Anmeldung unter:

Prof. Stefan Seidel: stefan.seidel(at)meduniwien.ac.at Prof. Roland Beisteiner: roland.beisteiner(at)meduniwien.ac.at, Tel. 01-40400-34080 Öst. Gesellschaft fĂŒr Funktionelle Magnetresonanztomographie: www.oegfmrt.org Kopfschmerzambulanz Medizinische UniversitĂ€t Wien: www.meduniwien.ac.at/neurologie/KS/