Sunset White Sands
Sonneuntergang in den White Sands © Roman Höllwieser

Vor etwas mehr als drei Jahren habe ich mich dazu entschlossen, mich für ein Erwin- Schrödinger-Stipendium zu bewerben, um meine berufliche Erfahrung durch einen Auslandsaufenthalt zu erweitern. Die Wahl der Forschungsstätte ergab sich eher zufällig. Ich kannte einen Kollegen an der New Mexico State University NMSU, der auf dem gleichen Forschungsgebiet arbeitet. Während eines Treffens legten wir den Grundstein zu einer Kollaboration, welche die Basis meines Schrödinger-Projektes darstellte.

Warum New Mexico, warum Las Cruces?

Zugegeben, auch ich hatte davor noch nie von Las Cruces, New Mexico, gehört. Mir war lediglich klar, dass es sich dabei nicht um einen Ort handelt, den irgendjemand jemals als Traum- oder Urlaubsdestination in Betracht ziehen würde. Doch auf meinen zahlreichen Reisen und Auslandsaufenthalten während des Studiums und in den PostDoc-Phasen hatte ich die Erfahrung gemacht, dass mich unbekannte Orte stets mehr faszinierten als die großen Metropolen dieser Welt. Daher war ich gespannt, was mich an diesem unbekannten Flecken Erde erwarten würde. In den folgenden Zeilen möchte ich ein Land vorstellen, welches sich selbst als Land der Verzauberung bezeichnet und dessen Zauber auch mich erfasst hat.

Willkommen im Land der Verzauberung

New Mexico ist ein Bundesstaat im Südwesten der Vereinigten Staaten, etwa viermal so groß wie Österreich und mit nur zwei Millionen Einwohnern relativ dünn besiedelt. Die Hauptstadt Santa Fe ist mit rund 70.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt nach Albuquerque (500.000) und Las Cruces (100.000). Santa Fe ist die älteste Hauptstadt in den Vereinigten Staaten und bereits im 12. Jahrhundert bestand an der Stelle der heutigen Stadt eine Indianersiedlung. Als westlicher Nachbar des großen „Cowboy“-Staates Texas ist New Mexico wohl der Inbegriff des Wilden Westens als Indianerland.

Auf einer Hochebene gelegen, ist es von kargem Prärieland geprägt, mit Ausläufern der Rocky Mountains im Norden und der Chihuahua-Wüste im Süden, welches lange vor den Spaniern von Pueblo-Stämmen besiedelt war. Es war auch die Heimat von keinem geringeren als „Billy the Kid“, dem legendären Revolverhelden der ausgerechnet in Old Mesilla, heute ein Stadtteil von Las Cruces, zum Tod durch Erhängen verurteilt, schließlich auf der Flucht erschossen wurde. Weiters durchstreiften die seit Karl Mays aus Winnetou berühmten Apachen die „High Plains“ und tränkten ihre Pferde am einst mächtigen Rio Grande, der New Mexico von Norden nach Süden durchfließt. Den Llano Estacado, Heimat der gefürchteten Komanchen, findet man ebenso hier wie den berüchtigten Silbersee.

Wahre Schätze

Einen Schatz aus Gold konnte ich dort auf einer meiner zahlreichen Erkundungstouren durch das Indianerland leider nicht bergen, doch hatte ich die einmalige Gelegenheit mit Mescalero Apachen, dem Stamm des großen Häuptlings „Winnetou“, am Lagerfeuer zu sitzen, mich am BBQ zu sättigen, ihren traditionellen Gesängen und Tänzen beizuwohnen und die Nacht in ihrem Zeltdorf zu verbringen. Der eigentliche Schatz dieses wunderschönen Landes offenbart sich jedoch jeden Abend, wenn die untergehende Sonne die Landschaft verzaubert und den Himmel in einem atemberaubenden Farbenspiel im wahrsten Sinne des Wortes golden färbt! Mit durchschnittlich fünf Tagen Niederschlag im Jahr und daher so gut wie immer strahlendem Sonnenschein tagsüber, wurde dieses abendliche Naturschauspiel ein Fixpunkt meines Tagesablaufes, und ich werde es nach den unzähligen, wahrlich guten Freundschaften, die ich hier schließen durfte, wohl am meisten vermissen.

Natur- und andere Schönheiten

Wegen seiner Naturschönheiten und relativ gut erhaltener historischer Stätten ist New Mexico reich an Sehenswürdigkeiten. Die „Carlsbad Caverns“ (riesige Tropfsteinhöhlen), die Gila Cliff Dwellings (Höhlenbauten der Mogollen, die bis ins erste Jahrhundert zurück datiert werden und somit historische Vorläufer der Pueblo-Kultur darstellen) sowie die schneeweißen Sanddünen von „White Sands“ hinter den „Organ Mountains“, der Hausberge östlich von Las Cruces, sind nur einige der vielen „National Monuments“, von denen ich in den vergangenen drei Jahren zahlreiche besuchen durfte.

Roadrunner und Green Chili Cheeseburger

Nationalvogel ist der Roadrunner, welcher regelmäßig wie das Tumbleweed (Rolling Bush oder Steppenläufer) die Straßen überquert und zusammen mit vereinzelten Kojoten und besonders deren nächtlichem Gehäule im Rudel für perfekte Wildwest-Stimmung sorgen. Klapperschlange, Wüstenskorpion und -tarantel sowie die Schwarze Witwe sind weniger beliebte, jedoch nicht minder faszinierende Bewohner New Mexicos.

Red and Green Chili Peppers sind vielleicht nicht so schön anzusehen wie die Blüten der Yukka-Palme, der Nationalblume, aber der Geruch den die Pflanzen in der Erntezeit und während ihrer Verarbeitung in den Röstereien in großen Teilen des Landes (zu meiner Freude auch in Las Cruces) verbreiten ist nicht minder zart. Die Würze welche sie den saftigen Enchiladas, knusprigen Tacos und herzhaften Burritos verleihen, macht die „Neu-mexikanische“ Küche weit über ihre Grenzen hinaus bekannt und so mancher hier behauptet stolz, sie wäre besser als das benachbarte Original. Das lasse ich unkommentiert stehen und ergänze den kulinarischen Ausflug nur noch mit dem einmaligen „Green Chile Cheeseburger“.

Typisch USA

New Mexico ist in vielerlei Belangen ganz typisch USA, American Football und Baseball sind die Königsklassen im Sport, gefolgt von Basketball und Eishockey. Wie im Nachbarstaat Texas ist das Tragen einer Schusswaffe ganz normal, viele tragen den Colt offen am Gürtel und ein Waffenrepertoir vom Taschenrevolver bis zum Maschinengewehr gehört zum Hausrat wie das Essbesteck. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird mit abgezäunten Villenvierteln der Reichen (Gated Areas) im Vergleich zu den heruntergekommenen Wohnmobilvierteln (Trailerparks) geradezu zur Schau gestellt, aber auf Basis des „American Dream“ auch von beiden Seiten so hingenommen.

Spaceport America, Aliens und die Atombobe

Das Erscheinungsbild New Mexicos unterscheidet sich aber auch wesentlich von den Ballungszentren an Ost- und Westküste oder an den Seen im Norden. Die konsequente Beachtung des historischen Adobe-Baustils hebt insbesondere die Städte Santa Fe und Albuquerque aus dem Einheitsbild amerikanischer Städte im Westen heraus. Letztere ist wohl seit „Breaking Bad“ weltberühmt, die TV-Serie stellt mit zugegeben krassen Bildern und schrägem Humor doch eine Realität dar, welche hier allgegenwärtig ist. Die Grenzstadt El Paso-Juarez, eine halbe Autostunde südlich von Las Cruces, ist nach wie vor eine der wichtigsten Drogenschmuggelrouten von Mexico in die USA und die Bandenkriege mit Schießereien, die dort fast an der Tagesordnung sind, führen auch entlang der Drogenstraße in den Drehscheiben Las Cruces und Albuquerque regelmäßig zu Auseinandersetzungen.

Albuquerque ist auch Schauplatz der größten „Balloon Fiesta“ der Welt, wo sich jährlich mehr als 500 Heißluftballone in allen Formen und Farben in den strahlend blauen Himmel erheben. Ob es sich bei den UFO-Sichtungen in Roswell im Osten New Mexicos vielleicht doch nur um verirrte Heißluftballone handelt, wird man wohl nie erfahren, haben doch die vermeintlichen Begegnungen mit Aliens und der Mythos um die streng geheime Area 51 die kleine Stadt zu einem Science Fiction Fan-Mekka verwandelt, das bestens vermarktet wird.

Aufgrund der stabilen Wetterlage hat auch die NASA nicht unweit vom „Spaceport America“, dem ersten kommerziellen Weltraumflughafen der Welt, ein Forschungszentrum und die militärische Sperrzone von White Sands Missile Range, rund um die weißen Sanddünen, ist nicht ganz so geheim wie die Area 51 – Raketen- und Bombentests stehen in dem 8500 Quadratkilometer großen Areal an der Tagesordnung. Die Geschichte der Bombentests geht zurück bis in die 1940er Jahre, wo nach jahrelanger Entwicklung in den National Labs von Los Alamos im Norden New Mexicos die erste Atombombe der Welt gezündet wurde. Die sogenannte „Trinity Site“, der Krater des Ground Zero, dem Ort der Detonation, ist einmal im Jahr der Öffentlichkeit zugänglich und dient auch für mich als Mahnmal, wie vorsichtig man mit neuen Erkenntnissen in der Forschung, im Speziellen gerade in der Kernphysik umgehen muss. Das bringt mich nach einer langen Reise durch das Land der Verzauberung zurück zum Kern meines Forschungsaufenthaltes, der Physik!

Mein amerikanischer Traum

Das Department of Physics an der New Mexico State University ist mit rund 40 Angestellten und etwa doppelt so vielen Studenten fast ein kleiner Familienbetrieb und hat mich mit offenen Armen aufgenommen. Die kleine Kernphysik-Gruppe hat mir mit ihren unzähligen Kooperationen eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Methoden und ein bleibendes Netzwerk für zukünftige Forschungsprojekte beschert. Der wunderschöne Campus der NMSU im Süden des kleinen, aber feinen Städtchens Las Cruces bietet eine angenehme Arbeitsumgebung und hat mir ermöglicht, meine Forschungsziele in Zusammenarbeit mit netten Kollegen erfolgreich umzusetzen. Außerdem konnte ich sehr gute Erfahrungen in Zusammenarbeit mit Studenten in kleineren Forschungsarbeiten oder beim Unterrichten sammeln. Kurz, ich habe meine Entscheidung zu diesem Auslandsaufenthalt zu keinem Zeitpunkt bereut und durch die Unterstützung des FWF wurde mir vielleicht nicht jedermanns, aber mein amerikanischer Traum erfüllt!