Schrödinger-Stipendiat und Mathematiker Michael Kniely forscht am Weierstraß-Institut in Berlin. © Privat

Auslandserfahrung konnte ich erstmals während meines Doktoratsstudiums der Mathematik an der Universität Graz sammeln. Damals ging es zwar nur für wenige Monate an die TU München, dennoch war die neue Umgebung eine große Umstellung für mich. Da mir das Arbeiten im akademischen Bereich aber Freude bereitete, nahm ich Ende 2017 eine Postdocstelle am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg und 2020 eine weitere an der TU Dortmund an. Am Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) in Berlin war ich erstmals 2018 bei einem Workshop und dann nochmals 2019 im Rahmen eines Exzellenzstipendiums. Für ein Schrödinger-Stipendium des FWF bewarb ich mich während der Corona-Pandemie 2021, um meine Forschungsarbeit am WIAS fortsetzen zu können. Seit März 2022 bin ich nun hier am Institut in Berlin tätig.

Angewandte Mathematik für komplexe Probleme

In meinem Forschungsprojekt auf dem Gebiet der angewandten Analysis beschäftige ich mich mit einer speziellen Klasse von partiellen Differenzialgleichungen, sogenannten Elektro-Energie-Reaktions-Diffusions-Systemen. Damit lassen sich Prozesse beschreiben, bei denen sowohl chemische Reaktionen als auch physikalische Diffusionsvorgänge auftreten, wie zum Beispiel bei der Fotosynthese. Deutlich komplexer wird es, wenn auch die Temperatur und die elektrische Ladung berücksichtigt werden, was etwa bei Batterien notwendig ist. Das Ziel des Projekts ist, Lösungen dieser Gleichungen zu finden und deren Eigenschaften zu untersuchen. Erste Ergebnisse zu einem einfacheren System konnte ich mit meinem Betreuer am WIAS Alexander Mielke und zwei weiteren Mitautoren bereits 2020 veröffentlichen. Während der Rückkehrphase im Rahmen des Stipendiums nach Graz werde ich dann wieder mit meinem Doktoratsbetreuer Klemens Fellner zusammenarbeiten.

Ein Hub für internationale Spitzenforschende

Das WIAS ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut mit etwa 150 vielfach internationalen Mitarbeiter:innen im Zentrum von Berlin. Mein erster Eindruck vom Institut während eines Workshops 2018 war überaus positiv. Obwohl ich damals niemanden persönlich kannte, begegneten mir die Organisator:innen mit einer überraschenden Offenheit und Herzlichkeit. Bei meinem nächsten Besuch ein Jahr später fand ich das Klima dann fast schon familiär. Die Lage des WIAS trägt zum Wohlfühlfaktor vermutlich zusätzlich bei, da der Weg zur Mensa direkt über den Gendarmenmarkt führt, der oft als schönster Platz Berlins bezeichnet wird.

Kulturgeschichte(n) und Verwurzelung

Im Vergleich zu Wien ist die Dichte an Sehenswürdigkeiten in Berlin meiner Einschätzung nach geringer, was natürlich auch mit der jüngeren Geschichte Berlins zusammenhängt. Allerdings ist Berlin etwa doppelt so groß wie Wien. Es gibt also genügend zu entdecken. Am Wochenende erkunde ich gerne neue Ortsteile, die sogenannten Kieze, von Berlin. Interessant dabei ist die Vielzahl noch vorhandener ehemaliger Dorfanger, die ich in Berlin gar nicht mehr erwartet hätte. Vielfach sind sogar noch die kleinen Dorfkirchen aus dem Mittelalter erhalten.

Ein richtiges Gefühl von Ausland habe ich in Deutschland verständlicherweise nie empfunden. Und nach einem Jahr habe ich mich sowohl in Dortmund und in Berlin als auch in Wien schon sehr heimelig gefühlt. Aber spätestens, wenn ich mit dem Zug nach Graz fahre und die Leute um mich herum steirisch reden, weiß ich wieder, wo ich zu Hause bin.

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Michael Kniely am WIAS