Über Grenzen hinausdenken
SHEE, ist ein optimierter Minimalraum, transformierbar und faltbar. Der Name steht für „Self-deployable Habitat for Extreme Environments“, der erste europäische Prototyp eines Weltraumhabitats, das sich selbst auffaltet. Gebaut wurde es zu Trainingszwecken auf der Erde für Mars- und Mondmissionen. – Das Habitat ist aber auch einsetzbar als Forschungsstation, zum Beispiel in der Antarktis oder als Hightech medizinische Einheit im Katastrophenfall. Anfang Dezember 2015 wurde SHEE offiziell fertiggestellt.
Abfall als Ressource
„Abfall ist eigentlich eine Ressource und nicht etwas, das man loswerden muss.“
Konstruiert wurde dieser Prototyp von Liquifer, einer interdisziplinären Plattform von Expertinnen und Experten aus Architektur, Design, Human Factors, Systemingenieurswesen, Terramechanik, Physik und Satellitentechnologie. „Wir arbeiten an hoch komplexen Fragestellungen zur bemannten Exploration“, erzählt Barbara Imhof, Mitgründerin und Geschäftsführerin von Liquifer. „Wie multifunktional kann man einen Minimalraum gestalten? Ist er transformierbar, faltbar?“, nennt sie einige der Fragen. Im Zentrum steht die Überlegung, wie man in geschlossenen Systemen mit den vorhandenen Ressourcen umgeht, die immer im Kreislauf bleiben. „Abfall ist eigentlich eine Ressource und nicht etwas, was man loswerden muss, was übrigens hier am Raumschiff Erde auch der Fall ist“, merkt die Architektin an.
Projekt „Growing As Building“
Die Basis für solche Entwicklungen wie SHEE ist Grundlagenforschung, wie das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte PEEK-Projekt „Growing As Building“ (GrAB), an dem Imhof und ihr Team noch bis Anfang 2016 arbeiten. Darin untersucht sie Wachstumsprinzipien aus der Natur, um diese in architektonische Konzepte zu transferieren, um eine lebendige Architektur zu gestalten. Die drei Hauptgebiete dieser Arbeit sind: Wachstumsprinzipien, Materialsysteme und geschlossene Kreisläufe. Daraus entstehen mitunter technologische Anwendungen wie etwa in Form von 3-D-Drucken. Das Projekt-Team, mit dem Imhof zusammenarbeitet, ist sehr interdisziplinär: Architektur, Mikrobiologie, Kunst, Bionik und Robotik treffen hier aufeinander.
Schleimpilz als Co-Designer
Um Wachstumsprinzipien aus der Natur zu untersuchen, musste das Team um Imhof auch neue wissenschaftliche Methoden anwenden –, und hat folglich an der Universität für angewandte Kunst, wo das Projekt beheimatet ist, ein Biolab installiert. Dort wird der Schleimpilz untersucht. Dieser Einzeller bildet von einer Nahrungsquelle zur nächsten ein optimiertes Netzwerk. Als Beispiel haben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter ein ungenutztes Gelände an der Küste Großbritanniens herangezogen, das im Zweiten Weltkrieg als Abwehrstellung gegen die Deutschen gebaut wurde. Die Brücken, die die Plattformen mit einander verbunden haben, wurden mit den Jahren zerstört. Das Forscher-Team hat dort ein maßstabsgetreues Modell dieser Anlage nachgebaut und Nahrungsquellen platziert. Der Schleimpilz wuchs durch dieses Modell von Haferflocke zu Haferflocke. Aus den so entstandenen Verbindungen wurde ein architektonisches Konzept entwickelt. „Der Schleimpilz wurde zu unserem Co-Designer“, schmunzelt Imhof.
„Wir möchten immer einen Schritt weiter gehen als State of the Art.“
Myzelien lassen Baumaterial wachsen
Zum Thema Materialsysteme arbeitet Imhof daran, aus Myzelien neues Baumaterial zu entwickeln. Diese fadenförmigen Zellen von Pilzen ernähren sich von Zellulose wie in Holzspänen oder Zeitungspapier. Aus Recycling-Material kann man so mithilfe der Myzelien Baumaterial wachsen lassen, das Eigenschaften von Weichholz hat. Dabei war es Imhof wichtig, über die einfache Form des Ziegelsteines hinauszugehen. „Wir haben mit Steckmodellen freie Formen entwickelt, die mit Myzelien und Zellulosematerial gewachsen sind. Die Schalungsform war der innere Kern aus Zellulose“, erläutert Imhof, die in ihrer Arbeit immer einen Schritt weiter gehen möchte als „State of the Art“ ist. Die große Idee hinter dieser Arbeit ist das mitwachsende Haus. „Häuser, die wir bauen, haben erst eine Funktion, wenn sie fertig sind. Unsere Vision sind Häuser, die bereits während des Baus nutzbar sind“, erzählt Imhof.
Städte aus Sand und Sonne
Das dritte große Hauptgebiet von Imhofs wissenschaftlicher Arbeit sind geschlossene Systeme. Dabei hat ihr Forschungsteam mit Algen experimentiert. Sie wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um und sind damit in einem Kreislauf wichtig, bei dem natürliche Stoffe für 3-D-Druck verwendet werden. „Einer unserer 3-D-Drucker operiert mit einem Material, das auf Kalk basiert. Beim Anmischen dieses Rezeptes entsteht Kohlendioxid, das man in den Kreislauf mit den Algen rückführen kann, die daraus wieder Sauerstoff produzieren. Diese Prozesse sind für geschlossene Systeme wie ein Weltraumhabitat essenziell“, erzählt Imhof im Gespräch mit scilog. Teil des PEEK-Projekts ist die Entwicklung eines 3-D-Druckers, der lokal vorhandenes Material verwenden kann. „So könnten man zum Beispiel Dubai, statt aus Glas und Stahl zu bauen, mit vorhandenem Material wie Sand und Sonnenenergie 3-D drucken“, schildert Imhof eine Zukunftsvision.
„Wenn man Gewohnheiten ändert, kann man auch die gebaute Umwelt ändern und umgekehrt. “
Umwelt und Gewohnheit
Dass sie Architektur studieren möchte, ist der heute 45-Jährigen schon als Jugendliche klar. Sie erinnert sich an ein Schlüsselerlebnis: Als 14-Jährige liegt sie auf der Rückbank des Renault 4 ihrer Eltern und betrachtet aus der Kopf-Über-Perspektive die vorüberziehende Stadt und denkt sich: „Das interessiert mich. Ich werde Architektin!“ Ihr besonderes Interesse gilt den Strukturen einer Stadt und den Zusammenhängen zwischen Lebensgewohnheiten und gebauter Umwelt: „Das eine beeinflusst das andere. Wenn man Gewohnheiten ändert, kann man auch die gebaute Umwelt ändern und umgekehrt“, ist Imhof überzeugt. Sie beginnt ihr Architekturstudium zunächst an der Technischen Universität (TU) Wien, geht dann nach London an die Bartlett School of Architecture. Schon immer sehr am Künstlerischen interessiert, fühlt sie sich dort sehr gut aufgehoben. Nach einem Auslandssemester am Southern California Institute of Architecture in Los Angeles, kommt sie schließlich zurück nach Wien an die Universität für angewandte Kunst zu Wolf Prix, der ihren Weg entscheidend prägen wird.
Zum Weltraum
Die Grenzen des Denkbaren, des Vorstellbaren überschreiten – das war das Credo ihres Lehrers. „Wenn man die Grenzen immer mehr erweitert, kommt man zu der Frage: Wie ist es am Mond oder am Mars? Welche gesellschaftlichen Systeme sind dort denkbar? Welchen Einfluss kann die Architektur auf das Zusammenleben haben?“, schildert sie ihren Weg zur Beschäftigung mit Weltraumarchitektur.
Space Studies
So ist es auch ein logischer Schritt für Imhof, den Master of Space Studies an der International Space University in Straßburg zu machen. Als das Prägendste aus dieser Zeit nennt die Wienerin die Internationalität. In diesen zwei Jahren arbeitet sie mit 35 Menschen aus 30 verschiedenen Ländern eng zusammen. “Was ich von dort mitgenommen habe – außer Freundschaften in der ganzen Welt – ist, dass ich aus meiner europäischen Perspektive als toleranter Mensch hingekommen bin und gleich an die Grenzen meiner eigenen Toleranz gestoßen bin“, erinnert sich Imhof. Auch diese Grenzen musste sie überschreiten. Die österreichische Weltraumszene ist klein, da bewegt man sich schnell auf internationaler Ebene. Imhofs Arbeit überschreitet Grenzen auf vielfältige Art und Weise.
Barbara Imhof leitet das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte PEEK-Projekt „Growing As Building“ an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie studierte Architektur an der Technischen Universität Wien, an der Bartlett School of Architecture in London und an der Universität für angewandte Kunst sowie Space Studies an der International Space University in Strasbourg. Sie ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Liquifer Systems Group, einer interdisziplinären, internationalen Plattform, die sich mit Design und Entwicklung von Weltraummissionen beschäftigt.