Kurz nach dem Doktorat einige Zeit im Ausland zu verbringen, war mir seit langem wichtig. Ich halte einen längeren Forschungsaufenthalt außerhalb des gewohnten, eingespielten Umfelds der Alma Mater für prägend und ausgesprochen förderlich für die persönliche und berufliche Entwicklung. Neben der Erweiterung des eigenen Horizonts ist vor allem der wissenschaftlichen Selbstständigkeit gedient. Es ist heute für junge Mathematiker unumgänglich, an mehreren verschiedenen Forschungsstätten Erfahrungen zu sammeln, bevor sie sich Hoffnungen auf eine feste Stelle machen dürfen. Das Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendium bietet einen hervorragenden Rahmen dafür. Es ermöglicht, (maximal) zwei Jahre lang an den besten internationalen Forschungseinrichtungen mit weltführenden Wissenschaftern zusammenzuarbeiten.
Exzellente Forschung
Mein Weg hat mich für neun Monate nach Pisa und anschließend für 14 Monate nach Toronto geführt. Mein Forschungsprojekt hatte sowohl analytische als auch geometrische Aspekte. Ich suchte für den analytischen Teil die Zusammenarbeit mit Ferruccio Colombini in Pisa, einem Experten für partielle Differenzialgleichungen. In Toronto war mein Kontakt Edward Bierstone, ein algebraischer und analytischer Geometer. Sowohl in Pisa als auch in Toronto gibt es neben den universitären Mathematikdepartments mit dem Centro di Ricerca Matematica Ennio De Giorgi beziehungsweise dem Fields Institute exzellente mathematische Forschungszentren. So fand etwa von Jänner bis Juni 2009 am Fields Institute in Toronto das „Thematic Program on O-minimal Structures and Real Analytic Geometry“ statt. Die Teilnahme an diesem Schwerpunktsemester erwies sich als sehr nützlich für mein Schrödinger-Projekt und es ergaben sich viele neue Kontakte; mit einigen arbeite ich bereits zusammen. Das Fields Institute, welches unmittelbar an das Department für Mathematik der University of Toronto angrenzt, wird seit Juli 2009 von Edward Bierstone geleitet.
Der Stellenwert der Lehre
Ein großer Unterschied zwischen dem nordamerikanischen und österreichischen Universitätsbetrieb besteht im Unterricht. An der University of Toronto hielt ich zwei „undergraduate courses“ und es hat mich schon überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit mich die Studenten für ihren Studienerfolg und ihre Zufriedenheit verantwortlich gemacht haben. Andererseits: Sie bezahlen auch viel dafür. Das hat auch Auswirkungen auf die Vergabe akademischer Stellen, bei der Erfahrungen in der Lehre einen ungleich höheren Stellenwert als in Europa haben. So werden „undergraduate courses“ größtenteils von Postdocs abgehalten. Der akademische Arbeitsmarkt für junge Mathematiker ist zurzeit immens angespannt. In Italien gibt es schon seit Jahren kaum neue Stellen und viele nordamerikanische Universitäten leiden unter den Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise.
Kulturelle Vielfalt Kanadas
Umso glücklicher schätze ich den Umstand, dass ich meine Forschung nach meiner Rückkehr nach Österreich im Rahmen meines FWF-Einzelprojekts an der
Universität Wien fortsetzen kann. Selbstverständlich bleibt bei einem zweijährigen Aufenthalt im Ausland neben der Arbeit auch Zeit, Land und Leute kennenzulernen. Als Südtiroler bin ich mit der italienischen Lebensart schon hinreichend vertraut, sodass in Pisa keine großen Überraschungen auf mich warteten. Toronto zählt zu den größten Metropolen Nordamerikas und ist die wirtschaftliche Hauptstadt Kanadas, welches nach wie vor ein Einwanderungsland ist. Dementsprechend ist die Stadt ein multiethnisches Zentrum mit breitgefächertem Kulturangebot. Dem wird auch die populärste Interpretation des Namens „Toronto“ gerecht: Der Historiker Henry Scadding leitete diesen Namen im 19. Jahrhundert von einem Wort der Huron ab, welches „viele Menschen“ oder „Treffpunkt“ bedeutet. (Diese Interpretation wird von vielen Historikern heute abgelehnt. Vielmehr stamme der Name von einem Mohawk-Wort für „wo Bäume im Wasser stehen“ und bezeichne ursprünglich einen Ort in der Nähe des heutigen Lake Simcoe.) Am meisten hat Kanada aber abseits der Siedlungszentren zu bieten, wo riesige Flächen relativ unberührter Natur zu entdecken sind. Einen Bruchteil davon konnte ich auf meinen Reisen durch Ontario, Alberta und British Columbia erforschen.
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